Die Entwicklungszusammenarbeit in neue Bahnen lenken

Die Europäische Union kann nicht tatenlos zusehen, dass seit Jahren hoffnungsvolle junge Menschen im Mittelmeer ertrinken, die illegal diesen Weg in das für sie ersehnte Paradies gehen. Die rezenten Tragödien in den Gewässern nördlich des afrikanischen Kontinentes decken vor allem die skrupellosen Machenschaften der Schleuser auf und rufen höchste Anteilnahme in der Bevölkerung hervor. Die Politik ist im höchsten Maß gefordert, u.a. hat sich der Europarat während seiner Aprilsession eingehend mit der Schiffstragödie (mehr als 900 ertrunkene Flüchtlinge) beschäftigt. Und am Wochende des 1. Mai wurden mehr als 6.000 Flüchtlinge gerettet. Die griechische Küstenwache nahm 530 Menschen aus Syrien, Somalia und Afghanistan auf und brachte sie an Land, derweil die mittlerweile verstärkte Mission „Triton“ mehr als 5.000 Menschen aus voll besetzten Schlauchbotten rettete.

Es muss hervorgehoben werden, dass es eine Illusion war, zu glauben, dass die Einstellung der im Jahr 2013 initiierten Seerettungsmission „Mare Nostrum“ die Verzweifelten davon abhalten würde, die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer zu wagen, etwa 100.000 Menschen wurden gerettet. Im Jahr 2014 suchten 280.000 Flüchtlinge Asyl in der Europäischen Union, etwa 220.000 illegale Einwanderer überquerten das Mittelmeer. 3.500 Menschen bezahlten die riskante Überfahrt mit dem Leben. Im ersten Trimester des laufenden Jahres waren es bereits 30.000 Menschen, die die gefährliche Passage antraten und 1.500 Menschen, getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben ertranken.

Um die Dramatik zu erhöhen, sollte hervorgehoben werden, dass diese Flüchtlinge nur 2 bis 3 Prozent aller Migranten des afrikanischen Kontinents darstellen. Die Seerettungsmission „Mare Nostrum“ wurde durch die neue EU-Mission „Triton“ abgelöst, die nur begrenzte Mittel und begrenzte Reichweiten hat und sich nur auf eine Grenzüberwachungsaufgabe in der Nähe der Küsten beschränkt.

Aufgrund der politischen Wirren in Libyen hat die EU dort keinen Ansprechpartner mehr, das Land verfällt seit dem Sturz des früheren Herrschers zunehmend und mehrere Hundertausende Flüchtlinge warten auf die Rettung über das Mittelmeer mittels seeuntauglichen Schaluppen.

Die vordringlichste Aufgabe der Politik besteht in der Bekämpfung der Schlepper, die die Flüchtlinge aus Asien und vor allem aus Afrika auf die Boote treiben und sie oft einer ungewissen Zukunft überlassen. Angesichts des Elendes, denen diese jungen Menschen ausgesetzt sind und die Hoffnung ihrer Familie, dass sie den Sprung nach Europa schaffen, müssen wir uns auf noch größere Flüchtlingswellen vorbereiten.
Neben dem Europarat hat das Europäische Parlament anlässlich seiner Aprilsession, zu welcher der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker eingeladen war, eingesehen, dass es ein Irrtum war, die Rettungsmission „Mare Nostrum“ einzustellen. Außerdem müsste die illegale Zuwanderung überdacht und die Zuteilung der an die Gestade Europas gelangenden Menschen auf die 28 EU-Mitgliedsstaaten neu ausgerichtet werden. Die Politik muss deshalb umgehend einen verpflichtenden Verteilungsschlüssel verabschieden, sodass sich alle EU-Staaten solidarisch an der Aufnahme der Hilfesuchenden beteiligen. Über die Quoten werden wir die Solidarität, den Pfeiler der europäischen humanistischen Einstellung, in den Mittelpunkt rücken.

Laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen suchten im Jahr 2014 etwa 100.000 Menschen Asyl in Deutschland suchten, 70.000 in Frankreich, 40.000 in Schweden, 35.000 in Italien, 28.000 in Großbritannien, 20.000 in Belgien und in den Niederlanden. Schweden ist das einzige EU-Mitgliedsland, welches den meisten Asylsuchenden (30.000 Menschen) ein Bleiberecht eingeräumt hat. Ein weiterer wichtiger Punkt in dieser Flüchtlingsproblematik stellt die „Dublin-Verordnung“ dar, regelt diese doch die Aufnahme und die Behandlung der illegalen Migranten und Asylsuchenden.

Der kürzlich verabschiedete Zehn-Punkte-Plan der EU sieht wohl die Neuausrichtung der Seenotrettung vor und das Grenzüberwachungssystem „Triton“ soll ausgeweitet werden. Außerdem wird die Vernichtung der Schleuserboote gefordert, wohlwissend, dass die Schleuser, angesichts der gigantischen Gewinnspanne, schnell über neue Boote verfügen. Dies stellt nur ein Trostpflaster auf das berühmte Holzbein dar, denn die Probleme sind vielschichtiger und müssen an der Wurzel bekämpft werden.

Die Entwicklungsländer – Partner auf dem Weltmarkt

Auch wenn die EU nicht abrücken darf, den hilfesuchenden Menschen den nötigen Beistand anzubieten, so darf nicht verkannt werden, dass wir die bisherige Entwicklungshilfe neu überdenken müssen. Es wird anlässlich der Debatte um die Flüchtlinge oft darauf hingewiesen, dass Hunderte Milliarden Euro seit Jahrzehnten in die Entwicklungsländer geflossen sind – man dort jedoch nur spärliche Fortschritte verzeichnen kann. Wohl gibt es Ausnahmen u.a. Ghana und Burkina Faso, welche es geschafft haben, ihre Bevölkerung auf die „Sonnenseite“ emporzuhieven.

Wir müssen jedoch anerkennen, dass in vielen Staaten südlich der Sahara die Lebensbedingungen aus dem Ruder gelaufen sind und dies aufgrund des Bevölkerungswachstums, des Ressourcenmangels, der Gleichgültigkeit der politisch verantwortlichen Elite und vor allem den Bedingungen, welche vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung gestellt wurden.

Es kann deshalb nur eine Lösung für diese Tragödie geben – den Menschen in den Herkunftsländern helfen, ihre demokratische Strukturen zu verbessern, die Ernährungslage garantieren, die sozialen Spannungen abbauen und die Ausbildung fördern. Vor allem müssen den Jugendlichen die nötigen Perspektiven in ihren Heimatländern angeboten werden, dass sie dort bleiben, um mit ihrem Wissen und Können die Lage verbessern.

Remedur kann jedoch nur geschaffen werden, dann muss der Bevölkerungszuwachs gebremst werden. Wie soll sich Afrika sinnvoll entwickeln, wenn die Zahl der Menschen von derzeit 1,2 Milliarde auf 2,5 Milliarden im Jahr 2050 hochschnellen wird. Afrika südlich der Sahara ist die ärmste Region der Welt, der Index der menschlichen Entwicklung (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen zeigt uns, dass unter den 30 am wenigsten entwickelten Ländern 28 aus diesem Teil der Erde sind – in der Subsahara hat die Armut seit dem Jahr 1990 zugenommen.

Mehr als 20 Prozent der dort lebenden Menschen sind unterernährt. Etwa 620 Millionen Menschen in der Subsahara haben keinen Zugang zur elektrischen Energie, sondern sie müssen die Biomasse für das Heizen verwenden. Durch die Verbrennung kommt es zu fast 600.000 vorzeitigen Todesfällen durch die erhöhte Luftverschmutzung.

Der ersehnte Aufstieg auf der „sozialen Leiter“ kann in Afrika auch gelingen, wenn es diesen Ländern gelingt, die Bereitstellung von gesundem Trinkwasser für jeden Menschen zu garantieren und die Ernährungslage zu verbessern – Asien und Lateinamerika dienen, außer einigen wenigen Ausnahmen, als lobenswerte Beispiele.

Es darf auch nicht verkannt werden, dass ohne ausreichende, zuverlässige und sichere Energieversorgung dieser Aufstieg nicht gelangen kann. Durch die Bereitstellung von elektrischer Energie erhalten die Jugendlichen und die Frauen durch die Ausbildung das nötige Wissen, um ihren Beitrag leisten zu können und dies vor allem durch die Bereitstellung von Mikrokrediten an die Frauen. Nur so werden diese Länder vom Trog der Entwicklungshilfe unabhängig und es wird ihnen ermöglicht, regionale und Länder übergreifende Ernährungsmärkte aufzubauen, zu welchen die multinationalen Geschäftsriesen keinen Zugang haben.

Es stellt in meinen Augen ein Trauerspiel dar, wenn einerseits die Weltbank und der Internationale Währungsfonds den ärmsten Ländern Strukturprogramme aufbürden, die sie nie stemmen können. Die geforderten drastischen Maßnahmen würgen jede gutgemeinte Initiative vor Ort ab und es kommt zu weiteren Kürzungen, das Elend erhöht sich im Gegenzug. Die Liberalisierung der Märkte führt dazu, dass die Industrieländer mit ihren subventionierten Waren die örtlichen und regionalen Märkte austrocknen. Den Produkten aus den Entwicklungsländern hingegen wird der Zugang zu unseren Märkten verweigert.
Zusätzlich tritt das „Landgrabbing“ in Erscheinung, die Industrie- und vor allem die aufstrebenden Schwellenländer pachten und kaufen riesige Landflächen in Afrika. Sie entziehen den Menschen das Land, auf welchen sie noch bescheidene Ernteerträge erwirtschaften könnten.

Des Weiteren müssen die Erlöse für Ressourcen u.a. Erze, Seltene Erden und Diamanten den Menschen für die Besserstellung ihrer Lebensbedingungen überlassen werden. Wissend, dass in der Entwicklungszusammenarbeit eine kopernikanische Revolution stattfinden muss, werden die bereit gestellten Milliardenbeträge nicht mehr an die Regierungen „ausgeschüttet”, sondern gezielt in übergreifende Projekte einfließen. Die riesigen Potenziale an erneuerbaren Energien in Afrika, Wasserkraft (Kongo und Niger)und Windkraft sowie Solarenergie, müssen genutzt werden. Bei näherer Betrachtung der Küsten erkennt man das hohe Potenzial an Windkraft an den westlichen Küsten u.a. in Marokko.

Mittlerweile wurden hier die ersten Windenergieanlagen dort errichtet und dienen als Vorzeigemodelle. Neben der dezentralen Nutzung der Solarenergie durch die Photovoltaikanlagen kommt den Parabolsolarrinnenkraftwerken eine steigende Bedeutung zu. Es ist zutiefst bedauernswert, dass dem Desertec-Projekt der Durchbruch verwehrt wurde. Dieses Projekt hätte den Ländern im Solargürtel Afrikas erlaubt, nachhaltige elektrische Energie zu erzeugen und sauberes Trinkwasser bereitzustellen. Marokko ist zu beglückwünschen, dass es das 500 MW Parabolsolarrinnenkraftwerk in Ouarzazate errichtet – ein Vorzeigebeispiel der Entwicklungszusammenarbeit.

Wenn es der Weltgemeinschaft gelingt, in Zusammenarbeit mit den Menschen der nicht vom Glück verwöhnten Länder die Ernährungslage, die Ausbildung, die Trinkwasserversorgung und die Versorgung mit elektrischer Energie zu gewährleisten sowie die grassierende Korruption auszumerzen, dann werden die Menschen auch dort blühende Landschaften aufbauen, wo vor allem die Jugendlichen eine reelle Chance, ihr Leben aufzubauen.

Wird das nicht geschehen, dann werden die armen Bevölkerungsschichten unentwegt an die Pforten der „Festung Europas“ anklopfen, um mit den reichen Bürgern die übervollen Töpfe zu leeren. Dies kann jedoch keine Perspektive auf unserem Planeten sein. Wir müssen umgehend beginnen, die angeführten Ungerechtigkeiten in Afrika und in Teilen von Lateinamerika und Asien in Frage zu stellen. Andernfalls versinken die angepeilten acht Millenniumsentwicklungsziele im Treibsand Afrikas.

Marcel Oberweis