Ja zur Türkei, naja zu Barroso

Die neuen Europaabgeordneten im Wort-Porträt. Frank Engel plädiert für ein föderales Europa

Joelle Merges, Luxemburger Wort

Mit 34 Jahren ist Frank Engel der Jüngste unter den Luxemburger Abgeordneten im Europaparlament. Mit seinen 34 Jahren ist der gebürtige Diekircher aber auch bereits ein politischer Routinier. Viele trauen ihm eine große politische Karriere zu – eine Perspektive, die, sofern sie denn eintritt, manche Beobachter des politischen Zeitgeschehens überhaupt nicht begeistert.

Mit anderen Worten: Über die Persona Frank Engel scheiden sich die Geister. Sein politisches Gespür und seine Intelligenz stellen ihm weder Freund noch Feind in Abrede. Bewundert wird der studierte Jurist wegen dieser Eigenschaften aber nicht. Gefürchtet wird er schon eher. Und die Gerüchte, wonach der Gründer des Cercle Joseph Bech die CSV in die Ecke rechts von der politischen Mitte drängt, halten sich hartnäckig, seit er im Juni 2001 das Amt des Fraktionssekretärs der Christlich-Sozialen antrat.

Dabei ist der Bech-Zirkel nach den Worten von Frank Engel weder „rechts- noch links- noch sonst irgendwie lastig“. Nicht begründet sei auch der zeitweise erhobene Vorwurf, der Verein verbreite faschistisches Gedankengut. „Das muss man mir erst einmal beweisen.“ Die Kennzeichnung „konservativ“ lässt Engel gelten, schließlich schaffe dieser Begriff Raum zur Interpretation, denn was ist schon wirklich konservativ, und was ist fortschrittlich? Gegen vermeintlich fortschrittliche gesellschaftspolitische Errungenschaften wie die Homo-Ehe hat auch der Cercle Bech nichts einzuwenden, sagt dessen Präsident.

Dass es um den Verein mit seinen 30 Mitgliedern in den vergangenen Monaten still geworden ist, hat mit den anderwärtigen Verpflichtungen des Vorsitzenden zu tun. 47 620 Stimmen erhielt der 34-Jährige bei den Europawahlen am 7. Juni, was für den dritten Platz auf der CSV-Liste ausreichte. Dass er sich trotz der ihm unterstellten nationalpolitischen Ambitionen für einen Wechsel ins Europaparlament entschied, kann Engel ganz schnell rechtfertigen. Mit der Nationalpolitik habe er sich die vergangenen zehn Jahre über zur Genüge beschäftigt. Nun sei die Zeit für einen Wechsel gekommen. Und so fremd sei ihm das Europäische ohnehin nicht, schließlich habe er als parlamentarischer Mitarbeiter des Europaabgeordneten Jacques Santer in den Jahren 1999 bis 2001 so manche Erfahrung sammeln können. Zudem sieht der 34-Jährige in der nahen Zukunft „spannende Zeiten“ auf die EU zukommen.

Nach Ansicht von Frank Engel steht die Europäische Union nämlich am Scheideweg, und dies unabhängig davon, ob der Lissabonner Vertrag in Kraft tritt oder nicht. Denn zwischen den Standpunkten von 27 Mitgliedsländern oder mehr hin- und herzulavieren könne sich die EU in einer globalisierten Welt nicht länger leisten.

„Europa in der großen Krise“ heißt ein Faszikel aus der Feder von Frank Engel, das zwei Wochen vor den Wahlen erschien. In dem „Drama in drei Akten“ schreibt der Autor, die EU müsse der Welt „Spielregeln für die Globalisierung“ vorschlagen. Dieser Aufgabe kann sie nur dann gerecht werden, wenn sie sich zum föderalen Staatengebilde entwickelt, glaubt Engel. Zwar hat auch er die Worte von Premier Juncker im Hinterkopf, wonach die „Nationalstaaten keine provisorische Einrichtung der Geschichte“ darstellen. Doch diese Einschätzung hält der junge Europaabgeordnete wegen der Globalisierung für nicht mehr zeitgemäß. „Das politische Gemeinwesen Europäische Union muss sich auf einer übergeordneten Ebene ansiedeln.“ Und diese Ebene kann nur ein föderiertes Gebilde sein, zumal den EU-Institutionen bereits jetzt mehr Macht zusteht als etwa den Zentralregierungen in Washington oder Moskau oder Neu Delhi. „Die EU ist in vieler Hinsicht ein Superstaat.“ Und der Union noch mehr Kompetenzen zuzugestehen, hält auch Engel für nicht angebracht.

Stattdessen wäre es nach Erachten des CSV-Politikers schon ein Fortschritt, wenn die EU-Kommission der politisch gestaltenden Mission gerecht werden würde, die ihr die EU-Verträge zuschreiben. Sein Missfallen am amtierenden Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso äußert Frank Engel mit aller Deutlichkeit. Auch wenn beide die Zugehörigkeit zur Europäischen Volkspartei teilen, vermisst der Christlich-Soziale beim portugiesischen Parteifreund die Sorge für das europäische Gemeinwohl, für das sich ein Kommissionspräsident eigentlich einsetzen müsse.

Dass dieses Gemeinwohl in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten schwieriger zu ergründen ist, als dies noch unter Barrosos Vorgängern der Fall war, dessen ist sich Frank Engel wohl bewusst. Deswegen sein Plädoyer für ein föderales Europa. Deswegen auch seine lautstarke Kritik am Integrationsunwillen der britischen Konservativen, der polnischen PiS und des tschechischen Staatspräsidenten. Solange niemand Konsequenzen aus dieser EU-Skepsis ziehe, führe wohl kein Weg an einem Kerneuropa vorbei, gibt Engel zu bedenken. Seiner Meinung nach stellt dieser Kooperationsmodus aber beileibe keinen Fortschritt dar: „Ein Kerneuropa findet in der Welt weniger Gehör als eine starke Union mit vielen Mitgliedstaaten.“

Zu den EU-Mitgliedern zähltnach Überzeugung Frank Engels auch ein Land wie die Türkei – selbstverständlich nur, wenn alle Verhandlungskapitel zur allgemeinen Zufriedenheit abgeschlossen sind. Ein solcher Beitritt würde nicht nur die gemäßigten Strömungen in der Türkei stärken, sondern sei aus kultureller und geostrategischer Sicht für die EU von Vorteil. Die großen Vorbehalte, die etwa in der bayrischen CSU oder bei Frankreichs Staatspräsident Sarkozy zum Vorschein kommen, kann Frank Engel nicht dulden. Vor zehn Jahren habe die EU der Türkei den Kandidatenstatus zuerkannt. Nun stehe die Union in der Pflicht, das Land auch aufzunehmen, sobald es die Bedingungen erfüllt.

Kein Interesse am Posten des CSV-Generalsekretärs

Mit solchen Ansichten macht sich der junge Europaabgeordnete in der eigenen Partei nicht unbedingt viele Freunde. Doch das stört ihn nicht weiter. Frank Engel macht keinen Hehl daraus, dass er sich auch von Brüssel und Straßburg aus ins nationale Politikgeschehen einmischen wird. Ohnehin sei sein Wechsel ins Europaparlament nur ein Abschied auf Zeit. Spätestens in zehn Jahren, wenn er wieder Lust auf was Neues verspürt, kündet sich seine Rückkehr an.

Übrigens: CSV-Generalsekretär will der ehemalige Fraktionssekretär nach eigenem Bekunden nicht werden. Ein solcher Posten würde eine ständige Präsenz im Land voraussetzen. Auch wenn Brüssel und Straßburg nicht unbedingt in weiter Ferne liegen – ständig hin- und herzupendeln hat Frank Engel in den kommenden fünf oder zehn Jahren nicht vor.

Quelle: Luxemburger Wort, 2. September 2009, Joelle Merges