LW Interview: Premierminister Jean-Claude Juncker zur Gipfel-Agenda
INTERVIEW: MARC SCHLAMMES
Nach zwei Verhandlungsrunden, die den Grundstein zur „Regierung der verantwortungsvollen Kontinuität“ legen sollen, verabschiedete sich Premierminister Jean-Claude Juncker gestern nach Brüssel, wo am Abend der traditionelle Benelux-Gipfel anstand. Heute und morgen findet dann in der belgischen Hauptstadt der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt.
LW: Welche Position nimmt Luxemburg in der Frage des künftigen Kommissionspräsidenten ein?
Jean-Claude Juncker: Da die EVP die jüngsten Europawahlen deutlich gewonnen hat, steht ihr auch das Vorschlagsrecht zu. Die Europäische Volkspartei hat sich auf Amtsinhaber José Manuel Barroso als ihren offiziellen Kandidaten geeinigt; ob es nun zu einer juristischen Berufung oder zu einer politischen Nominierung kommt, wird sich im Verlaufe des Gipfels ergeben. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass sich die Sozialisten aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten auf keinen Kandidaten verständigen konnten.
LW: Welches Ressort soll das luxemburgische Mitglied in der neuen Europäischen Kommission bekleiden?
Jean-Claude Juncker: Das soll sich aus den Gesprächen ergeben, die ich mit dem Kommissionspräsidenten führe. So sieht es die prozedurale Logik vor: Die Ernennung der Kommissionsmitglieder ist das Resultat eines Meinungsaustausches zwischen dem Vorsitzenden der EU-Kommission und den jeweiligen nationalen Regierungen. Ich bin denn auch zutiefst entsetzt über die Vorgehensweise einzelner großer Länder, die dem Kommissionspräsidenten ihren Vertreter quasi aufzwingen wollen.
LW: Eine andere Personalie betrifft den Parlamentsvorsitz. Noch ist nicht geklärt, wen die EVP bestimmen wird. Wer hat Ihre Präferenz: Jerzy Buzek aus Polen oder Mario Mauro aus Italien?
Jean-Claude Juncker: Ich empfinde eine extreme Sympathie für Jerzy Buzek. Er hat in Polen einst den Weg von der Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft geebnet und ist ein großer Demokrat. Ich sehe die Zeit auch reif, dass eine europäische Spitzenposition mit einem Politiker aus einem mittel- bzw. osteuropäischen EU-Land besetzt wird.
LW: Die Wirtschafts- und Finanzkrise bleibt ein Thema: Wird sich der Gipfel auf strengere Aufsichtsregeln für die Finanzbranche verständigen können?
Jean-Claude Juncker: Ich gehe ganz gelassen in diese Diskussionen. Die Vorschläge hin zu einem europäischen Überbau für die Aufsicht der Finanzmärkte gehen allemal in die richtige Richtung.
LW: Die Energie- und Klimafrage stellt eine andere große Herausforderung dar. Welche Signale wollen die Gipfelteilnehmer mit Blick auf die Kopenhagen-Konferenz senden?
Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht, dass es schon bei diesem Gipfel zu großen Signalen kommen wird. Der für die Klimakonferenz von Kopenhagen entscheidende EU-Gipfel wird im Oktober stattfinden.
LW: Im Hinblick auf die Wiederholung seines Referendums verlangt Irland eine Reihe von Garantien. Inwieweit wird hier ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen und könnten derartige Zugeständnisse auch Luxemburg dienlich sein, beispielsweise in Steuerfragen?
Jean-Claude Juncker: Nun, die Zugeständnisse wurden im Vorjahr beim Dezember-Gipfel gemacht und sollen eine stichhaltige Antwort auf die irischen Bedenken gegenüber dem Lissabon-Vertrag darstellen. Ich bin allerdings gegen Lösungen, die in einer Nachratifizierung in jenen Ländern münden können, die dem Vertrag schon zugestimmt haben. Wir müssen also eine exakte Textanalyse vornehmen und den Iren so weit entgegenkommen, ohne den Lissabon-Vertrag aufbrechen zu müssen. Dass die EU keine zusätzlichen Befugnisse in der Steuerpolitik bekommt und es dort beim Prinzip der Einstimmigkeit bleibt, sieht der Lissabon-Vertrag vor und wurde bis dato immer von Luxemburg befürwortet.
LW: Am Rande des EU-Gipfels werden die Milchbauern protestieren. Welche politische Reaktion dürfen sie erwarten?
Jean-Claude Juncker: Ich bin sehr empfindsam für die Sorgen der Bauern und habe dies auch im zurückliegenden Wahlkampf klargemacht. In der Frage der Milchpreise und -quoten müssen wir allerdings darauf bedacht sein, Lösungen zu formulieren, die den Akteuren EU-weit gerecht werden. Auch in dieser Problematik kann es nicht so sein, dass sich die Großen über die Kleinen hinwegsetzen.
Quelle : Luxemburger Wort, 18. Juni 2009