Premier Jean-Claude Juncker über den Lissabon-Vertrag im Rheinischen Merkur
Rheinischer Merkur: Gehen Sie davon aus, dass der Lissabon-Vertrag noch in diesem Jahr ratifiziert wird?
Jean-Claude Juncker: Das hängt wesentlich vom Entscheidungsprozedere in der Tschechischen Republik ab. Und es hängt ab vom Umgang der Iren mit sich selbst. Sie werden wohl im Herbst abstimmen, dann wird man sehen, ob sie sich zu diesem Lissabon-Vertrag bekennen. Sie haben inzwischen bemerkt, dass es Sonderwege in der EU nicht geben kann. Auch Sonderwege der größten Mitglieder müssten ins Abseits führen. Ich gehe davon aus, dass sie zustimmen. Aber ich halte wenig von dauernden Zurufen von außen. Man soll die Iren entscheiden lassen. Sie müssen selber zu Europa finden.
Rheinischer Merkur: Wäre das Reformprojekt gescheitert, wenn es in der Schwebe bleibt?
Jean-Claude Juncker: Wir können die Europäische Union nicht erweitern, wenn es diese im Lissabon-Vertrag nicht nur angedeuteten, sondern auch ausgedeuteten Reformen nicht gibt. Ich bin dagegen, ohne diesen Vertrag weitere Mitglieder aufzunehmen.
Rheinischer Merkur: Kerneuropa würde so bleiben, wie es ist?
Jean-Claude Juncker: Es gibt ein informelles Kerneuropa. Aber das ist auch eine Kerneuropa-Romantisiererei derer, die sich berufen fühlen, ein solches Kerneuropa zu bilden, also die großen Länder der Europäischen Union. Die Wahrheit ist doch: Sie würden im Dissens versinken, wenn es nicht die Handreichungen einiger mittlerer und kleiner Staaten der EU gäbe, die es ihnen erlauben, zu einer Schnittmenge zu finden, von der sie vorher nicht gedacht hätten, dass es sie geben könnte.
Rheinischer Merkur: Keine neuen Mitglieder ohne Reformvertrag – gilt das auch für Kroatien?
Jean-Claude Juncker: Nein.
Rheinischer Merkur: Haben Sie Verständnis für die Europaskepsis des tschechischen Präsidenten?
Jean-Claude Juncker: Nein. Ich kenne Vaclav Klaus seit 1991, er hat von Europa eine angelsächsische Auffassung, die nicht einmal die Angelsachsen teilen.
Rheinischer Merkur: Man kann ihn nicht überzeugen?
Jean-Claude Juncker: Er ist sehr beratungsresistent, leider
Quelle: Rheinischer Merkur, 8. April 2009