Am 31. Oktober ist Austrittstag. Es darf keine weitere Verlängerung des Spektakels geben
Fräi Tribüne vum CSV-Nationalpresident Frank Engel am Luxemburger Wort.
Die Posse um den Austritt Großbritanniens aus der EU nimmt kein Ende. Tragisch, wie eine einstmals große Nation und ihre Institutionen seit Jahren der interessierten Weltöffentlichkeit vorführen, wie ihre unsinnige Europa-Obsession ihnen die Fähigkeit zu rationalen Entscheidungen genommen hat. Die britische Politik ist zu einem Theater des Absurden verkommen. Höchste Zeit, dass der Vorhang fällt. Das Vereinigte Königreich darf nicht die gesamte Europäische Union dauerhaft zur Geisel seiner eigenen Inkonsequenz machen.
In Kontinentaleuropa grassiert weitverbreitet der Glaube, der Brexit wäre eigentlich nicht gut. Diese Annahme resultiert aus einer mittlerweile bis ins Lächerliche romantisierten Auffassung britischen Wirkens in der EU. Vom Atlantik her wäre Verlässlichkeit und Pragmatismus in die europäische Politik eingeflossen, Britannien habe die emotionalen Südländer mit einem Hang zu überhöhten Staatsausgaben in wirksamer Allianz mit dem tugendhaften germanischen Teil Europas in Schach gehalten, die britische Armee und der diplomatische Dienst Ihrer Majestät dürften Europa nicht verlustig gehen, ansonsten die weltpolitische Irrelevanz der Union drohe – so in etwa formulieren sich die nachträglichen Wunschvorstellungen der EU-Realität mit ihrem Mitglied Großbritannien. Nichts davon stimmt jedoch. Tatsache ist: Großbritannien hat die EU während nunmehr über vier Jahrzehnten gehemmt, blockiert und gelähmt. Sein Austritt aus der EU wäre ein Segen für Europa.
Als ob es nicht reichte, dass das Vereinigte Königreich Europa über 40 Jahre am Handeln gehindert hat und selbst nie in Kernbereiche europäischer Politik eingebunden sein wollte – es gibt jenseits des Ärmelkanals keinen Euro, das Land ist nicht Mitglied im Schengener Raum, es macht bei der europäischen Sozialpolitik nicht mit und war immer strikt gegen jede Form einer europäischen Verteidigungskapazität – begeht das Londoner Parlament jetzt das absolute Summum an Selbstüberschätzung und Solidaritätsverleugnung. Es will selbst beschließen, dass Großbritannien nicht aus der EU austritt, wenn seine Bedingungen nicht erfüllt werden. Bedingungen, die besagtes Parlament nicht einmal formulieren konnte und kann, trotz Dutzender Beschlüsse über Dinge, die es nicht will.
Das alles fast ein halbes Jahr, nachdem die Briten die EU hätten verlassen sollen, und ihnen absolut ALLES angeboten worden ist, was es außerhalb einer Mitgliedschaft an Sondervereinbarungen geben kann. Alles wurde abgelehnt. Von den Briten, vom britischen Parlament.
Was in London dieser Tage debattiert und beschlossen wird, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Das Parlament will keinen No-Deal-Brexit. Den will keiner, und genau deswegen liegt ja ein Deal auf dem Tisch. Diesen anzunehmen, war das House of Commons über Monate hinweg nicht willens. Es wird aber keinen anderen geben. Und deswegen ist am 31. Oktober Austrittstag. Es darf keine weitere Verlängerung des Brexit-Spektakels geben.
Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft, es gelten die sie strukturierenden und organisierenden Verträge. Die besagen klar und deutlich, dass ein Land, das seinen Austrittswillen erklärt, binnen zwei Jahren austreten muss. Während dieser zwei Jahre – nicht drei, nicht sieben, nicht zehn – soll ein Austrittsvertrag mit der EU abgeschlossen werden, der die Modalitäten des Austritts und die zukünftigen Beziehungen mit der EU regelt.
Einen solchen Vertrag hat die Regierung von Premierministerin Theresa May ausgehandelt. Das britische Parlament weigert sich, ihm zuzustimmen. Alle politischen Akteure der Europäischen Union sind jedoch mit ihm einverstanden. Nicht auszutreten, den Austritt zu verweigern, die Europäische Union zu nötigen, weiter über Dinge zu verhandeln, über die nicht verhandelt werden kann, ist der ultimative Beweis für die Vertragsunfähigkeit des Vereinigten Königreichs.
Dort gilt mittlerweile das gebrochene Wort. Oder eben: die Lüge. So, wie während der Brexit-Kampagne, als der aktuelle Premierminister Boris Johnson mit frei erfundenen Zahlen und der Beschreibung nicht existierender Realitäten für den Brexit warb. So, wie wir alle gemeinsam mit David Cameron den Schotten erklärten, im Falle eines Votums für die schottische Unabhängigkeit müsste Schottland die EU verlassen.
Das war eine besonders gemeine Lüge, denn: Großbritannien existiert nur seit und durch den Unionsvertrag von 1707 zwischen den Königreichen England und Schottland. Sollte Schottland seine Unabhängigkeit erklären, hört der Staat Großbritannien auf zu existieren. Schottland, als aktueller Teil der EU, wäre dann absolut berechtigt, in der EU zu verbleiben, gemeinsam mit England oder eben alleine. Hätten die Schotten diese Botschaft gehört, der Brexit wäre ihnen erspart, und die EU-Mitgliedschaft erhalten geblieben.
Tatsache ist leider: Großbritannien wird es nach dem EU-Austritt nicht besser gehen. Jene Landesteile, die gegen den Brexit votiert haben, Schottland, Nordirland und London, hatten für ihr Wahlverhalten gute Gründe, allein: Ihre Nein-Stimmen reichten im Gesamtergebnis nicht aus. Demnach muss jetzt endlich der Brexit erfolgen.
Man hätte – im Fall, wo Vernunftfähigkeit in Westminister geherrscht hätte – dreieinhalb Jahre Zeit gehabt, ein zweites Referendum zu organisieren, Artikel 50 zurückzuziehen, oder was auch immer zu tun, um wirksam etwas anderes zu tun, als auf den Austritt zuzudriften und ihn eigentlich bis nach seinem Vollzug nicht zu wollen. Es wurde aber nichts getan. Entsprechend lächerlich ist heute das Verhalten des House of Commons, das jedwedes sinnvolle Handeln der Regierung seit Monaten verhindert und selbst nicht fähig ist, einen alternativen Kurs zu formulieren.
Jetzt nicht nur die britische Regierung, sondern auch die Europäische Union mit einem Gesetz zu erpressen, das gegenstandslos ist, weil es die Kompetenzen eines nationalen Parlaments im Rahmen internationaler Vertragsvereinbarungen bei weitem überschreitet, ist ein sinnloser Akt der Verzweiflung. Er sollte bei Beobachtern eher Mitleid auslösen als Zustimmung.
Am 1. November wird die nächste Europäische Kommission ihr Amt antreten. Im Falle einer weiteren Fristverlängerung zugunsten der Briten wäre dies eine unvollständige Kommission, da Großbritannien niemanden vorgeschlagen hat, der innerhalb der bestehenden Prozeduren vom Europäischen Parlament angehört, akzeptiert und anschließend mit dem gesamten Kollegium ins Amt gestimmt werden könnte. Das würde die Handlungsfähigkeit Europas einschränken und Rechtsakte dieser Kommission anfechtbar machen. Die EU darf sich auf eine solche Eventualität nicht einlassen. Es ist peinlich genug, dass im Mai britische Europa-Abgeordnete gewählt werden mussten, eben und nur, weil die britische Austrittsfrist verlängert wurde. Ein Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU über den 31. Oktober hinaus, sodass das normale Funktionieren der Europäischen Kommission infrage gestellt würde, ist rein rechtlich nicht mehr hinnehmbar.
Die EU hat in den vergangenen Jahren viele Kröten geschluckt, um die politische Unfähigkeit Großbritanniens und seiner höchsten Vertreter zu überspielen. Genug ist genug. Die Obsession mit Europa kann das Vereinigte Königreich in seinen Grundfesten erschüttern, aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Brexit-Obsession die EU in den Wahnsinn treibt. Großbritannien muss am 31. Oktober raus aus der EU. Was danach passiert, wird man sehen. Es steht nirgendwo, dass ein Staat, der einmal austritt, nicht wieder eintreten darf.