Die Wahlen zum Europaparlament vom 26. Mai 2019 werden wichtige Wahlen in einer Zeit voller Umbrüche und tief gehender Veränderungen sein. Die Europäer werden konkrete Erklärungen verlangen, wie die unterschiedlichen politischen Kräfte die Europäische Union ausgestalten und sich ihrer Erwartungen und Sorgen annehmen wollen.
Soziale Rechte müssen die gleiche Bedeutung erhalten wie die wirtschaftlichen Freiheiten. Die soziale Dimension von Europa muss gestärkt werden. Das steht für die CSV außer Frage. Die Zukunft von Europa wird nur gelingen, gemeinsam mit den europäischen Bürgern und der europäischen Arbeitnehmerschaft.
Unter dem Impuls von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker konnten in den vergangenen vier Jahren große Fortschritte erzielt werden. Das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort wurde in die Praxis umgesetzt. Der Sozialgipfel von Göteborg nahm im Herbst 2017 die Europäische Säule Sozialer Rechte an. In ihr sind die Grundsätze und Rechte zusammengefasst für ein leistungsfähiges Sozialsystem und einen fairen Arbeitsmarkt in Europa.
Schluss mit Hungerlöhnen in Europa
Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, diese Grundsätze und Rechte allgemein verbindlich zu machen. Insbesondere müssen wir uns dafür einsetzen, dass es endlich in jedem europäischen Mitgliedsstaat einen Mindestlohn gibt. Jeder Arbeitnehmer in Europa hat den Anspruch auf eine gerechte und würdige Entlohnung für seine geleistete Arbeit. Daher muss es in allen Mitgliedsstaaten einen Mindestlohn geben, der sich an den nationalen Lebenshaltungskosten orientiert.
Mit Hungerlöhnen in Europa muss Schluss sein. Daher sollte die CSV die Einführung einer Mindestlohn-Direktive vorschlagen. Eine Mindestlohn-Direktive wäre der zentrale Baustein, um der flagranten Verletzung des Grundrechts auf faire Entlohnung einen Riegel vorzuschieben. Sie wäre gleichzeitig ein weiterer wichtiger Baustein im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping. Da Dumpingpraktiken nicht an unserer Grenze halt machen, wird die Direktive auch gut für luxemburgische Unternehmen sein, besonders für Klein- und Mittelunternehmen und deren Beschäftigte.
Das Phänomen der Working Poor muss mit ganzer Kraft angegangen werden. Immer mehr Arbeitnehmer und ihre Familien in Europa können nicht über die Runden kommen, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Auch in Luxemburg ist das ein gravierendes Problem, das von der Regierung sträflich vernachlässigt wird.
Die CSV sollte sich deshalb in ihrem künftigen Europawahlprogramm für verbindliche Standards einsetzen, die allen europäischen Arbeitnehmern und ihren Familien angemessene Lebensbedingungen ermöglichen.
Die Digitalisierung stellt einen epochalen Wandel dar. In Wirtschaft und Arbeitswelt verändern sich das Verhältnis und die Rollen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Es muss sich daher für Regeln auf europäischer Ebene eingesetzt werden, die den in neuen Arbeitsverhältnissen Beschäftigten, die Möglichkeit geben, eine Altersversorgung aufzubauen, sozialen Schutz im Falle von Krankheit, bei Unfällen und Arbeitslosigkeit zu beanspruchen und das Recht auf Urlaub zu haben.
Die Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme ist eine nationale Kompetenz. Das ist auch gut so und muss so bleiben. Doch Digitalisierung und grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitnehmer müssen als Folge haben, dass das Europaparlament seine sozial- und arbeitsmarktpolitische Koordinationsarbeit verstärkt und für gemeinsame Mindeststandards sorgt. Die gemeinsamen Regeln und Standards dürfen dann aber nicht nur auf dem Papier stehen. Zurzeit verhandeln Europaparlament, Kommission und Ministerrat über die zukünftige Europäische Arbeitsbehörde. Sie wird die Kompetenzen und Mittel erhalten müssen, um dafür zu sorgen, dass geltende Sozial- und Arbeitsmarktregeln von allen Arbeitnehmern in Europa eingefordert werden können.
Zukunftschancen für junge Menschen
Ein starkes soziales Europa bedeutet, dass der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mit verstärkter Kraft fortgesetzt wird. Vor allem müssen wir in Europa die Jugendarbeitslosigkeit abbauen. In Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien beläuft sich die Jugendarbeitslosigkeit auf teilweise über 30%.
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist dabei nicht das Problem einiger Länder, sondern ein gesamteuropäisches Problem. Denn die jungen Menschen, die in Griechenland, Italien und Spanien zu einer verlorenen Generation werden, sind nicht nur für ihre Heimatländer, sondern auch für Europa verloren.
Instrumente wie die europäische Jugendgarantie müssen daher verstärkt und mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Die Berufsausbildung (das gilt im besonderen Maß für Luxemburg) muss einen höheren Stellenwert erhalten. Nicht von ungefähr weisen jene Mitgliedsstaaten in denen es eine hochwertige und praxisnahe Berufsausbildung gibt, eine niedrigere Jugendarbeitslosigkeit auf. Das Plädoyer der Arbeitsmarktexperten, das Prinzip der dualen Ausbildung zu stärken, muss in Europa auf offene Ohren stoßen. Die Schaffung eines europaweiten Ausbildungsrahmens mit gemeinsamen Maßstäben und Qualitätsstandards für Ausbildungsberufe muss zu einer besonderen Aufgabe des neuen Europaparlaments werden. Und nicht zuletzt bedarf es einer gezielteren Berufsberatung, die neben dem jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt auch den europäischen und grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt in Betracht zieht.
Offensive gegen Kinderarmut
Die Zukunft der jungen Menschen und der Kinder darf uns nicht egal sein, weder in Luxemburg noch in Europa. Vor allem darum wird es bei den kommenden Europawahlen gehen. Daher ist es enttäuschend, dass der Bericht der Agentur der EU für Grundrechte, der vor einiger Zeit hinwies, dass 25 Millionen Kinder in Europa unter unzumutbaren Bedingungen leben, nicht wahrgenommen wurde.(*) Bei 25 Millionen europäischen Kindern sind die Schulbildung und die Gesundheitsversorgung nicht ausreichend sichergestellt. Es ist nicht gewährleistet, dass sie jeden Tag eine warme Mahlzeit haben. In Europa, das nicht müde wird, seine Überalterung zu bejammern, werden 25 Millionen Kinder von Beginn an um ihre Zukunftschancen gebracht!
Kinderarmut auf unserem reichen Kontinent ist ein himmelschreiender Skandal. Europa braucht eine Offensive gegen Kinderarmut! Die CSV ist von ihrem Selbstverständnis her gefordert, den Kampf gegen Kinderarmut und die soziale Ausgrenzung Jugendlicher auf die europäische Tagesordnung zu setzen. Mitgliedsstaaten, die mit konkreten Maßnahmen Kinderarmut bekämpfen, sollten finanziell besonders unterstützt werden. In den länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission müssen Kinderrechte zum Thema gemacht werden.
Wenn uns die Zukunft unserer Kinder und Enkel nicht egal ist, sorgen wir für ein Europa, das gute Jobs bietet, gerechte Entlohnung, ein faires Arbeitsrecht und starken sozialen Schutz gerade für die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft.
Entschlossenes Handeln für Klimaschutz
Weil wir es den Kindern und den jungen Menschen schuldig sind, ihre Zukunft zu erhalten und nicht zu zerstören, müssen wir den Klimaschutz ganz vorne auf der europäischen Agenda platzieren. Die extreme Trockenheit des vergangenen Sommers, die massiven Niederschläge die in Teilen unseres Landes für Verwüstung sorgten, waren längst mehr als Vorboten des Klimawandels. Viele Regionen und Länder sind bereits ungemein mehr vom Klimawandel betroffen. Die Weltbank rechnet in den kommenden drei Jahrzehnten mit 133 Millionen Klimaflüchtlingen. Die Folgen des Klimawandels sind unabsehbar, wenn es uns nicht gelingt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Klimaschutz ist zu einem wesentlichen Teil eine europäische Aufgabe. Das künftige Europaparlament muss hier das führende europäische Kraftzentrum werden. Es muss mit aller Kraft klimaneutrale Energieträger und Antriebstechnologien voranbringen. Atomkraft ist dabei keine Alternative.
Die Herausforderungen sind gewaltig aber noch grösser sind die Chancen für Innovation und Fortschritt, zukunftsorientierte Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze.
Klimaschutz ist ebenso eine nationale Aufgabe. Auch hier läuft die Zeit. Wir haben ein Jahrzehnt, um das Ruder herumzureißen. Doch die flammenden Reden für Klimaschutz sind nicht vereinbar mit dem Wachstum um jeden Preis, das Rot, Blau und Grün für die bevorstehenden fünf Jahre verschreiben und das die CO2-basierte Mobilität weiter wachsen lässt.
Nach fünf verlorenen Jahren in der Landesplanung bräuchte es jetzt eine durchdachte Strategie für Dezentralisierung mit der verkehrsmäßigen Entlastung des Zentrums und von Luxemburg-Stadt. Das ist ein Gebot der Vernunft. Eine zielführende landesplanerische Strategie von Rot, Blau und Grün ist aber nicht erkennbar.
Ebenso braucht es ein Konzept, um die Funktionen Wohnen, Arbeiten und Freizeit zusammen zu bringen und so den Individualverkehr zu reduzieren. Doch im voluminösen Koalitionsabkommen ist ein solches Konzept nicht auszumachen.
Einzelmaßnahmen ersetzen kein Konzept und keine Strategie.
Inwiefern sind die Koalitionsparteien tatsächlich bereit, kurzfristigen Eigennutz hinten anzustellen und stattdessen Verantwortung für künftige Generationen zu übernehmen und einen konkreten Beitrag zum Schutz des globalen Klimas zu leisten?
Die Erde gehört nicht nur einigen wenigen. Für Rot, Blau und Grün offenbar eine unbequeme Wahrheit, für andere eine Selbstverständlichkeit die in den Mittelpunkt gehört.
Marc Spautz
CSV-Nationalpräsident
(*) Combating child poverty: an issue of fundamental rights, Oktober 2018