Der Wirtschaftsminister und ebenso der Arbeitsminister, beide LSAP, stellen sich gerne als große Kämpfer für Arbeitnehmer mit niedrigeren Einkommen dar.
Doch die Regierungspolitik, die sie entscheidend mitgestalten, nimmt den gegenteiligen Effekt in Kauf: Die Ungleichheit in unserer Gesellschaft nimmt zu, trotz eines starken Wirtschaftswachstums und sprudelnder Steuereinnahmen!
Laut Statec-Bericht „Travail et cohésion sociale“ ist jeder fünfte Einwohner in Luxemburg von Armut bedroht. Während die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über ein durchschnittliches Einkommen von 7.900 Euro im Monat verfügen, beträgt das Durchschnittseinkommen der zehn ärmsten Prozent 984 Euro.
Parallel nehmen die Working Poor zu, Menschen die trotz Arbeit arm sind. Hier schneiden wir im internationalen Vergleich schlecht ab. Ein Armutszeugnis, im wahrsten Sinn des Wortes! Ein halbwegs würdiges Leben wird für immer mehr Menschen, obwohl sie jeden Tag zur Arbeit gehen, zu einem unerreichbaren Ziel.
Fernab dieser Lebensrealitäten mag der Wirtschaftsminister vielleicht vor ausgewähltem Publikum und in Fernsehsendungen großzügig die zukünftigen Produktivitätsgewinne der digitalen Wirtschaft verteilen, der Arbeitsminister mag (zurecht) die Griechenland auferlegte Sparpolitik als Skandal bezeichnen. Fakt ist, viele Arbeitnehmer tragen Tag für Tag zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Sie selbst und ihre Familien kommen aber nicht über die Runden.
Die Mindestlohnerhöhung, die zum 1. Januar 2017 in Kraft trat, reicht nicht aus. Es wäre mehr drin gewesen, wenn die Regierung im Rahmen ihrer Steuerreform auf die konkreten Vorschläge der CSV für die stärkere Entlastung der unteren Einkommensschichten eingegangen wäre, anstatt sie abzulehnen.
Es gibt kein Wundermittel, um Armut und prekäre Lebensverhältnisse von heute auf morgen auszuradieren. Mit einer beharrlichen Politik, die einem klaren Kompass folgt, kann es aber Schritt für Schritt besser werden.
Es braucht eine Familien- und Sozialpolitik, die gezielt dort handelt, wo die Armutsrisiken am größten sind, bei Einelternhaushalten, kinderreichen Familien … Gerade hier geht die aktuelle Regierung aber den entgegengesetzten Weg mit einer Kindergeldreform die für kinderreiche Familien zu starken finanziellen Einbußen führt und der Streichung von Familienzulagen.
Diese Regierung, gestützt von den drei Mehrheitsfraktionen, macht eine Familien- und Sozialpolitik ausschließlich unter einem finanzpolitischen Gesichtspunkt. Es leuchtet ihnen nicht ein, dass Familien- und Sozialpolitik keine kurzfristige Kosten-Nutzen-Rechnung ist, sondern es immer zuerst darum geht, sozialen Zusammenhalt und sozialen Frieden in einer Gesellschaft langfristig zu sichern.
Es braucht eine Politik, welche die Trendwende auf dem Wohnungsmarkt schafft und die Wohnkosten als größte Belastung vieler Haushalte senkt. Hier sind die Gemeinden der wichtigste Partner, der nach Kräften unterstützt werden muss. Die Gemeinden müssen darauf zählen können, dass sie mit den Folgekosten und Infrastrukturausgaben, die sich aus dem Bevölkerungswachstum ergeben, nicht vom Staat allein gelassen werden.
Aber neben Politiken, die auf Lastenausgleich hinwirken, muss auch über Lohnpolitik gesprochen werden. Daran führt kein Weg vorbei, wenn Wachstum zu mehr Wohlstand führt aber gleichzeitig das Armutsrisiko in der Gesellschaft zunimmt.
Nachdem viel übereinander gesprochen wurde, aber nicht miteinander, ist es jetzt Zeit, dass sich die Sozialpartner und die Politik an einem Tisch zusammensetzen, um über Lohnpolitik zu sprechen und insbesondere um gemeinsam den Spielraum für eine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns zu erörtern. Das muss eine breitgefasste Diskussion sein, wo es auch darum geht, nach Möglichkeiten zu suchen, um jene Branchen und Betriebe zu unterstützen, wo Mindestlöhne in besonders großer Zahl gezahlt werden.
Diese Diskussionen werden bestimmt keine leichte Übung sein, aber sie sollten trotzdem von allen Seiten unaufgeregt und pragmatisch geführt werden, mit dem Ziel möglichst jedem Arbeitnehmer einen Lohn zu bieten, der es ihm und seiner Familie ermöglicht, angemessen und selbstbestimmt zu leben.
Jede Arbeit hat nicht nur ihren Preis, sondern auch ihren Wert.
Marc Spautz
CSV-Abgeordneter
(Quelle: Luxemburger Wort, 02/12/2017)