Selbstverwirklichung statt Selbstverbrennung

Klimaschutz… oder die historische Chance zu mehr Lebensqualität

Montag, 6. November 2017. In Bonn beginnt die 23. Weltklimakonferenz. Eigentlich eine geschäftsmäßige Tagung. Doch die Bonner Kinder mischen die technokratische Stimmung gehörig auf. „Save The World“ rufen sie voller Überzeugung. Ein bewegender Moment, der selbst hartgesottene Diplomaten, Wissenschaftler und Politiker spürbar zum Nachdenken bringt.  Auch der Klimawandel ist längst spürbar. Nicht nur auf den Fidschi-Inseln mit ihren „Land unter“-Meldungen, die souverän den COP23-Vorsitz gemeistert haben, sondern auch bei uns in Europa. Was fehlt, sind der Mut zum Neubeginn und die Zuversicht in die Zukunft!

Vom Schutz zum Neuanfang

Hier wollen wir ansetzen und für einen Strategiewechsel plädieren: weg von der fatalistischen „Selbstverbrennungs“-Rhetorik hin zum Mut machenden Selbstverwirklichungs-Aufruf, weg von der Miesmacherei des Verzichts hin zur Vision einer menschengerechteren Gesellschaft, weg vom Schutz hin zum Neuanfang. Das Tragödien-Szenario ist zwar gut gemeint und begründet. Doch verhindern Krebsfotos das Rauchen? Verhindert die Todesstrafe Morde? Verhindert Anti-Kriegs-Rhetorik Euroskeptizismus? Statt den Menschen Angst vor „Selbstverbrennung“ zu bereiten, sollte man ihnen Mut zur Selbstverwirklichung machen. Dies sieht heute auch Klimaexperte Schellnhuber so, wenn er Bonn mit einem „Kindergeburtstag“ vergleicht und von einer „Kulturwende“ spricht.

Renaissance der Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft

Diese Kulturwende brauchen wir. Mit einer neuen Klima-Erzählung, die Perspektiven aufzeigt und die Bürger mitnimmt. Sonst wird die Reaktion nicht „Save The World“, sondern „après nous, le déluge“ sein. Wir wollen einen Neuanfang. Weg von der Postmoderne hin zu einer neuen „Renaissance“, wie auch Rifkin sagt. Der Klimaschutz muss zum Nebeneffekt einer Wirtschaftsordnung werden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dies kann der Markt nicht allein, sondern nur in einer menschlich ausbalancierten Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft. Unser überdrehtes Wirtschafts- und Wachstumsmodell ist nicht das „Ende der Geschichte“.  Als Christdemokraten stehen wir für die Bewahrung der Schöpfung. Im Klimaschutz sehen wir eine Chance – der Klimatologe Jouzel sprach dieser Tage in Luxemburg von einer „opportunité“ – zum Neuanfang im Sinne des Vorrangs des Menschen über andere Prioritäten sowie zur Versöhnung von Ethik und Wirtschaft. Und sei es nur, weil sonst die Klimakosten bis 2100 auf bis zu zehn Prozent des globalen BIP steigen werden. Ein Blick auf die Bonner Experten-Handreichung reicht: Klimaschutz ist eine Frage von Leben und Tod. Vor allem, wenn das Weltklima binnen der nächsten 20 Jahre kippt, was bei einem „Weiter so“ wahrscheinlich ist. Dennoch bleibt Angst ein schlechter Ratgeber.

Übergangskonferenz mit Talanoa-Geist

Klimapolitisch geht es um die Begrenzung des Temperaturanstiegs im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf zwei, besser auf 1,5 Grad. Bonn hat als Übergangskonferenz von Paris nach Kattowitz die Regelarbeit für vergleichbare Treibhausgasdaten sowie die Finanzregelung samt Nachbesserung beim Entwicklungshilfe-Fonds geliefert. Begrüßenswert sind der Ausbau der NDC-Partnerschaft mit den Entwicklungsländern sowie die Einbeziehung indigener Völker. Vor allem aber ist der „Geist von Paris und Bonn“ aus der Flasche und wird sich „nicht mehr einfangen und zurückstopfen lassen“ (Schellnhuber). Indes: beim Kohleausstieg bleibt Bonn trotz Ausstiegsallianz hinter den Erwartungen zurück. Entscheidend wird 2018 die COP24 im Kohlestandort Polen sein. In Kattowitz muss die Umsetzung von Paris beschlossen werden. Auch beim schwierigen Dossier Landwirtschaft. Der Talanoa-Dialog von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft soll den Klimaschutz voranbringen. Die Fidschi-Methode setzt auf Austausch und Respekt statt auf Egoismus und Gefeilsche. Doch sie muss Resultate liefern. Nach 2020 müssen die globalen Emissionen heruntergefahren werden. Auch deshalb wünschen wir uns eine parteiübergreifende Klimadebatte im Wahljahr 2018.

Erfolgsmodell kommunaler Klimapakt

Eine CO₂-Diät reicht also nicht aus: wir brauchen eine Ernährungsumstellung, einen nachhaltigen Lebenswandel. „Talanoa ist ein Way of Life“, so die Fiji Times. Hier haben wir Nachholbedarf. Weiter sind schon die Verbraucher. Für 92 Prozent der EU-Bürger ist Klimawandel ein „ernstes“ Problem. Die Politik muss den Weg aufzeigen. Doch letztlich liegt die Verantwortung für morgen bei jedem von uns selbst. Oder wie Großherzog Henri in Bonn sagte: „Nous devons changer d’état d’esprit, changer nos habitudes, (…) c’est aussi par de petits gestes de tous les jours que des milliards d’individus donneront une nouvelle dimension à notre engagement commun.“ Dies gilt auch für den Fleischkonsum. Den Klimaschutz-Geist mit Leben erfüllen, will auch der von Co-Autor Marco Schank initiierte Klimapakt. Aufbauend auf einem Vertrag zwischen Staat und Gemeinde setzt der Pakt auf „Best Practices“. Mit lokalen Maßnahmen wird so der Klimaschutz kommunal heruntergebrochen. So entsteht ein Wettbewerb der Ideen, der auch zum kommunalen Branding beiträgt. Wir begrüßen, dass die aktuelle Mehrheit diesen Weg weitergeht. Und dass heute alle Gemeinden Teil des Paktes sind. Doch wir müssen noch konkreter werden.

Mehr nationale Kohärenz in strukturierter Partnerschaft

Auch national sind wir auf einem guten Weg. Ambitionierte Ziele wie die Reduzierung um 40 Prozent der Ausstöße in 2030 im Vergleich zu 2005 sowie die elf Prozent Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 sind berechtigt. Das 40-Prozent-Ziel werden wir jedoch nur erreichen, wenn die Politik den Bürger mit ins Klimaboot nimmt. Deshalb brauchen wir eine „strukturierte Partnerschaft“ von Politik und Zivilgesellschaft. In diesem Sinn hat Co-Autor Marco Schank einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der eine solche strukturierte Partnerschaft von Staat, Gemeinden, ONGs, Gewerkschaften und Patronat in die Wege leiten soll. Wir bedauern, dass die Regierung diesen Weg ablehnt. Begrüßenswert sind indes die Klimabemühungen der „Green Finance“, die Nachhaltigkeits-Fonds des Finanzplatzes, die „Green Bonds“ der Börse, die Klimapartnerschaft mit der Europäischen Investitionsbank sowie die 120 Millionen Euro, die Luxemburg bis 2020 projektorientiert an gefährdete Staaten zahlt. Was wir jedoch bei Blau-Rot-Grün vermissen, ist politische Kohärenz. Wie passen grüne Nachhaltigkeit mit blauem Wachstumsfetisch und roter Wirtschaftspolitik zusammen? Etwa in Sachen Rifkin-Prozess, Energiepolitik, Landesplanung, Wohnungsbau oder Mobilität. Hier haben wir es zu oft mit planlosen Konzepten zu tun, die die Menschen nicht mitnehmen. So wird ein Neubeginn mit „Green Jobs“ nicht gelingen. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss gezielter verfolgt werden. Gleiches gilt für die Nachhaltigkeit der Mobilität. Die Wiedereinführung einer steuerunabhängigen Prämie für Elektroautos wäre ein weiterer wichtiger Schritt. Vor allem aber wird es auf den Dritten Nationalen Klimaplan ankommen, der 2018 nicht am Bürger vorbei beschlossen werden darf.

Globaler Leadership von Europa

Auch die Geopolitik des Klimawandels darf nicht verkannt werden. Es geht hier um Energie-Unabhängigkeit vom Mittleren Osten und von Russland sowie um die Vermeidung künftiger Klimakriege und Klima-Flüchtlingsströme. Für den Westen muss Europa – in Abwesenheit der Trump-USA – Leadership übernehmen. Bonn hat gezeigt: weder China noch Indien werden dies tun. Insofern hat der Klimaschutz auch das Potenzial einer globalen Europa-Renaissance. Europa muss vor der eigenen Haustür kehren und seine Zusagen erfüllen. Vor allem bei der Reduzierung der EU-Emissionen bis 2050 gegenüber 1990 um 80 bis 95 Prozent. Aber auch bei Bauvorschriften, Hochwasserschutz und trockenheitsresistenten Kulturen.

Ein Aufruf an uns alle

Kurzum: die Klima-Uhr tickt. Der Wecker hat geklingelt. Doch der Weckruf hat uns nicht aus einem Traum, sondern aus einem Albtraum geholt. Klimawandel ist für uns in erster Linie eine historische Chance zum Neuanfang. Wir setzen auf diese Strategie der guten Nachricht. Klimagerechtes Leben bedeutet keinen gesellschaftlichen oder persönlichen Rückschritt. Es ist an der Zeit, die verbrauchende Wirtschaftsordnung zu überwinden. Worauf warten wir also, um dem Aufruf der Bonner Kinder Taten folgen zu lassen? Dieser war nicht nur an die Teilnehmer gerichtet. Es war ein Aufschrei an uns alle. An jeden einzelnen von uns.

Von Marco Schank und Laurent Zeimet

CSV-Abgeordnete

(Quelle: Luxemburger Wort 25/11/2017)