„Méi sozial Gerechtegkeet“ darf keine inhaltsleere Floskel in Sonntagsreden sein. Um mehr soziale Gerechtigkeit muss jeden Tag aufs Neue gerungen werden. Soziale Rechte am Arbeitsplatz, im Krankheitsfall, im Alter, bei Pflegebedürftigkeit oder beim Verlust der Arbeit, sind keine Selbstverständlichkeit. Sie wurden und werden erkämpft von Gewerkschaften wie dem LCGB!
Gewerkschaften (wie auch Parteien) mögen belächelt und als „aus der Zeit gefallen“ bezeichnet werden. Doch mehr denn je brauchen wir starke Gewerkschaften, die sich mit Kompetenz, Beharrungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein für die berechtigten Anliegen der Arbeitnehmer einsetzen und für sie streiten.
In der modernen Arbeitswelt nimmt die Rolle der Gewerkschaften nicht ab, sondern, im Gegenteil, sie nimmt zu. Sie muss zunehmen, wenn wir den umfassenden Wandel, den die Digitalisierung in der Industrie, den Dienstleistungen und den Verwaltungen bedeutet, für sozialen Fortschritt und mehr soziale Gerechtigkeit nutzen wollen.
Die Digitalisierung der Arbeitswelt, die sogenannte Arbeit 4.0, kann den Arbeitsalltag erleichtern und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz stärken. Sie kann für mehr Kreativität und Selbstbestimmtheit sorgen, aber sie kann auch in die entgegengesetzte Richtung führen und zunehmenden Stress und Arbeitsverdichtung für die Arbeitnehmer bedeuten. Schlimmstenfalls untergräbt sie das Arbeitsrecht dadurch, dass parallel zu den bekannten (und durch den Code du travail geregelten) Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen neue Modelle entstehen, ohne die bewährten und gewerkschaftlich erkämpften Mindeststandards in Sachen Entlohnung, Sozialleistungen und Arbeitszeiten.
Deregulierung und Abbau von Sozial- und Arbeitsrechten auf Kosten der Beschäftigten dürfen nicht die Perspektive der Zukunft sein. Gerade für eine Gewerkschaft wie der LCGB, für die der Mensch im Mittelpunkt steht, wird es eine zentrale Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass der digitale Fortschritt dem Menschen dient und nicht umgekehrt.
Der Mensch muss auch in der zukünftigen Arbeitswelt das Maß aller Dinge sein. Aber das muss erstritten und erkämpft werden und daher braucht es starke Gewerkschaften mit einem klaren Kompass.
Eine weitere wichtige Herausforderung um soziale Gerechtigkeit auch künftig weiter zu stärken, wird die Gestaltung der Arbeitszeitpolitik sein. Es geht dabei nicht nur um die künftige Organisation der täglichen, wöchentlichen, monatlichen oder Jahresarbeitszeit, sondern es gilt, den Erwerbsverlauf über die Dauer des gesamten Berufslebens in den Blick zu nehmen. Die CSV hat sich im Rahmen eines Forums vor kurzem intensiv mit den Herausforderungen einer modernen Arbeitszeitpolitik beschäftigt.
Viele Arbeitnehmer wollen mehr persönlichen Spielraum bei der Gestaltung ihrer Lebensarbeitszeit. Die Erwartungen der meisten Menschen haben sich verändert. Sie wollen Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren. Vor dem Hintergrund des tiefgehenden Wandels in der Arbeitswelt und der Tatsache, dass das klassische Modell der kontinuierlichen Erwerbsbiographie bei einem Arbeitgeber abnimmt, wollen (und brauchen) viele Arbeitnehmer mehr Zeit für die Weiterentwicklung und Weiterbildung im Beruf.
Hier brauchen wir flexible Instrumente für eine moderne Arbeitszeitpolitik. Alle sind gefordert, Gewerkschaften, Arbeitgeber und Politik. Dabei macht sich eine erfolgreiche Arbeitszeitpolitik zuerst in den Betrieben. Nirgendwo sonst können die Erwartungen der Arbeitnehmer und die von Betrieb zu Betrieb unterschiedlichen wirtschaftlichen Anforderungen besser miteinander vereinbart werden. Solche maßgeschneiderten innerbetrieblichen Absprachen müssen von einem soliden gesetzlichen Rahmen und guten Kollektivträgen getragen werden.
LCGB und CSV sind auf einer Linie, wenn sie aber eine dirigistische und starre Herangehensweise ablehnen. In diesem Sinne hat die CSV gegen das überarbeitete Pan-Gesetz gestimmt. Die sogenannte Reform des Pan-Gesetzes, die im Dezember 2016 mit den Stimmen der Mehrheitsparteien angenommen wurde, ist eine verpasste Chance.
Ebenso hat die CSV im Juli 2015 die Neufassung des Mitbestimmungsgesetzes abgelehnt, das die demokratischen Grundsätze in den Betrieben mit Füssen tritt.
Politik für mehr soziale Gerechtigkeit kann und darf sich nicht auf Kosten des gewerkschaftlichen Pluralismus machen. Die aktuelle Regierung macht einen gravierenden Fehler auf Kosten aller Arbeitnehmer wenn sie vom Gegenteil ausgeht. Sie gefährdet damit den wichtigsten und beständigsten luxemburgischen Standortvorteil, den sozialen Frieden.
Marc Spautz
Abgeordneter und Parteipresident