Aufbau einer gerechten und solidarischen Welt

Prof. Dr.-Ing. Marcel Oberweis

Zu Beginn des Jahres 2017 haben die Vereinten Nationen bekannt gemacht, dass die Marke der 7,5 Milliarden Menschen in den kommenden Wochen überschritten wird – eine Erhöhung um 83 Millionen Menschen innerhalb Jahresfrist. Würde man, laut der deutschen Stiftung Weltbevölkerung, alle Menschen in einem Dorf von 100 Einwohnern zusammenbringen, dann kämen 10 aus Europa, einer aus Ozeanien, acht aus Lateinamerika und fünf aus Nordamerika – 24 insgesamt. 16 Erdenbürger kämen aus Afrika und 60 aus Asien.

Die Vereinten Nationen teilen mit, dass sich die Einwohnerzahl auf etwa 9,7 Milliarden Menschen im Jahr 2050 erhöhen wird und möglicherweise auf 11,2 Milliarden im Jahr 2100. Eine weitere Zahl mag erschrecken, soll doch die Zahl der Menschen in Afrika von derzeit 1,2 Milliarden auf 4,4 Milliarden hochschnellen und dies angesichts der herrschenden Armut und Perspektivlosigkeit. Afrika zählt eindeutig zu den großen Verlierern der Globalisierungspolitik und die Industrieländer stehen in der Verantwortung. Diesbezüglich möchte ich darauf hinweisen, dass Europa derzeit erst die Anfänge der Migration aus anderen Weltregionen verspürt.

Sind wir uns bewusst, dass mehrere Hundert Millionen junge Menschen in Afrika nur einen Wunsch haben, zu uns zu kommen und etwas Lebensglück „erhaschen“. Tausende sind skrupellosen Schleuserbanden ausgeliefert und viele von ihnen werden die gefährliche  Überfahrt nach Europa mit dem Leben bezahlen.

Es ist deshalb sehr informationsreich zu wissen, dass laut dem rezenten missio-magazin, die politischen Mauern und Grenzanlagen der Welt mittlerweile eine Länge von fast 11.000 km erreicht haben. Die längste Grenzmauer mit 4.000 km befindet sich zwischen Indien und Bangladesch, eine weitre Grenzanlage mit 2.400 km Länge wurde zwischen Marokko und dem von der Frente Polisario beanspruchten Gebietes in der Westsahara.

Hier Armut und dort üppiger Wohlstand

Die gegenwärtige globale Entwicklung zeigt in aller Deutlichkeit, dass sich angesichts der erhöhende Weltbevölkerung und der nicht ausreichenden Ernährungslage sowie der prekären Wasserversorgung eine ernsthafte Ungerechtigkeit einstellt. Dort wo Millionen armer Menschen verzweifelt nach etwas Glück vergebens suchen, staut sich eine explosive Kraft auf, deren Wucht in allen der Erde verspürt wird.

Für die Entwicklungsländer stellt die Bekämpfung der Armut die größte Herausforderung dar, aber bedingt durch die fehlenden Geldmittel bewältigen sie diese Aufgabe nicht. 2,8 Milliarden Menschen müssen den täglichen Überlebenskampf mit weniger als zwei Euro bewerkstelligen, dies umgeben von Hunger und Elend, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Es sind dieselben Menschen, welche über keinen Zugang zu den kommerziellen Energien verfügen.

Eine direkte Folge dieser grassierenden Armut stellen die nicht endenden Flüchtlingströme dar. Kamen im Jahr 2016 weniger Flüchtlinge über die mittlerweile geschlossene Balkanroute, so strandeten Hunderttausende an den äußeren Grenzen der Europäischen Union und fristen ein erbärmliches Leben. Der Flüchtlingstrom aus Libyen über das Mittelmeer hält jedoch unverändert an und die Rekordzahl von 181.436 Bootsflüchtlingen wurde, gemäß den Informationen des Uno-Flüchtlingshilfswerks, in Italien im vergangenen Jahr erreicht. Da gleichzeitig Frankreich, die Schweiz und Österreich ihre Grenzen dicht gemacht haben, kommen die Asylanten nicht weiter und „überfüllen“ die Aufnahmelager in Italien. Hier werden derzeit 175.000 Menschen betreut, davon etwa 85 Prozent Notunterkünften.

Die oben zitierten Grenzen mögen noch so hoch sein, sie werden den Zustrom von Migranten nicht bremsen. Erst wenn in den Heimatländern die Chance auf ein menschenwürdiges Leben besteht, wenn die Infrastrukturen vorhanden sind, wenn die Armut und der Hunger besiegt sind, wenn die Schulausbildung funktioniert und die korrupten Regierungen abgedankt haben, werden die Jugendlichen ihre Zukunft aufbauen.

ausgebildete Kinder - die Chance für Afrika

Die größte Bedrohung stellt nicht die Bevölkerungsentwicklung dar, sondern die Explosion des weltweiten Egoismus. Die wenigen Reichen haben Angst, dass der bisher von ihnen allein verprasste Wohlstandskuchen mit den vielen Armen gerecht geteilt werden muss. Im Vorfeld der diesjährigen Tagung des Davoser Gipfel hat die Entwicklungsorganisation Oxfam auf die jüngsten Entwicklungen hinsichtlich der ungleichen Verteilung des Wohlstandes hingewiesen. Das Ergebnis der Studie zeigt, dass die acht reichsten Menschen der Welt, nur Männer, ein ähnlich großes Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit – 3.7 Milliarden Menschen – ihr Eigen nennen. Seit dem Jahr 2015 verfügt ein Prozent der Weltbevölkerung über mehr Besitz als die restlichen 99 Prozent.

Es muss ebenfalls hinterfragt werden, wieso mittlerweile 24 $-Milliardäre in Afrika leben? Da die Grenzen zwischen der politischen und der wirtschaftlichen Welt in Afrika fließend sind, häufen die politisch Mächtigen hohe Reichtümer an und der Verdacht der Vetternwirtschaft ist allgegenwärtig. Diesbezüglich darf nicht übersehen werden, dass jährlich 50 Milliarden $ an Entwicklungszusammenarbeitshilfe nach Afrika fließen, der wirtschaftliche Fortschritt  jedoch gering ist. Hingegen werden jährlich etwa 50 Milliarden $ aus Afrika in den reichen Norden „umgelenkt“ und fehlen so bei Aufbau.

Einige Beispiele als erste Lichtblicke in Afrika

            Den Unterlagen der Weltbank entnimmt man, dass 30 der 54 Staaten in Afrika regelmäßig mit Störungen in der Bereitstellung von elektrischer Energie geplagt sind. Mehr als 600 Millionen Menschen haben in diesem mit einem überaus großen Angebot an erneuerbaren Energie gesegneten Kontinent keinen Zugriff zur elektrischen Energie, das Lebenselixier für den wirtschaftlichen Fortschritt, für die verbesserte Ernährung und die Ausbildung aller sozialen Schichten.

1°         Der Bau des weltweit größten Parabolrinnensolarkraftwerkes in Ouarzazate (Marokko) begann im Mai 2013. Im Dezember 2016 wurde die erste Anlage des gigantischen Kraftwerkes in der Wüste südöstlich der Stadt Marrakesch mit einer elektrischen Leistung von 150 MW in Betrieb genommen. Der erste Teil des Kraftwerkes Noor I enthält Parabolrinnen, welche  sieben m hoch und drei m breit sind. Die 537.000 Parabolrinnen sind in 400 parallelen Reihen von 300 m Länge aufgestellt. Die Investitionskosten für den ersten Abschnitt belaufen sich auf 2,2 Milliarden Euro. Im Endausbau sind an diesem Standort 500 MW installiert.

Die Parabolrinnen werden permanent computergesteuert der Sonne nachgefühlt und sammeln das Sonnenlicht, um es auf das Absorberrohr im Brennpunkt des gebogenen Spiegels, zu reflektieren. Das im Rohr zirkulierende Thermoöl wird auf fast 400 °C aufgeheizt, um die nachgeschaltete Dampfturbine anzutreiben. Mit dieser Turbine wird die benötigte elektrische Energie über den Generator erzeugt. Die Anlage nutzt das Sonnenlicht nicht nur während den Tagesstunden, sondern auch in den Abendstunden, wenn der Bedarf besonders hoch ist. Neben der Erwärmung des Wassers für den Dampfkreislauf wird auch ein spezielles, flüssiges Salz erwärmt, welches anschließend seine Wärme zur Erzeugung von elektrischer Energie während weiteren sechs Stunden bereitstellt.

Zur Information sei gesagt, dass die jährliche Solareinstrahlung etwa 2.500 kW/m2 beträgt und somit mehr als doppelt als in unseren Breitengraden. Marokko möchte bis zum Jahr 2020 weitere 2.000 MW auf erneuerbarer Basis an das Versorgungsnetz bringen. Der Anteil der erneuerbaren Energie an der Erzeugung von elektrischer Energie soll auf 42 Prozent gegenüber aktuell 14 Prozent erhöhen.PUBLICITÉ

        Die Haushalte, welche in Afrika keine Anbindung an das Versorgungsnetz der elektrischen Energie haben, sind alltäglich mit Problemen geplagt, die es in der westlichen Welt nicht gibt. Bislang mussten die Menschen oft eine Tagesreise in die nächste Stadt in Kauf nehmen, um ihr Handy für etwa 50 Cent aufzuladen. Durch die Errichtung von dezentralen Solarkiosks können die Menschen diese Dienstleistung nunmehr in ihren Orten erhalten. Zusätzlich werden  empfindliche Medikamente in den Kühlschränken aufbewahrt. Der Solarkiosk besteht aus einer leichten, aber stabilen und zerlegbaren Hülle, einem Solardach und einer Batterie, die Menschen in den Dörfern stellen diese mittlerweile selbst zusammen und erhalten Zutritt zum zivilisatorischen und technischen Fortschritt.

Dezentrale Photovoltaikversorgung

Die aufgestellten Kornmühlen und die Solarkocher „erlösen“ die Frauen und Mädchen von schwerer Arbeit, die mit Photovoltaik betriebenen Brunnenerlauben nehmen ihnen den oft beschwerlichen Gang zu entfernten Wassertümpeln ab. Die Solarlampen liefern vielen Menschen nach Einbruch der Dunkelheit Licht, ohne dass sie den giftigen Dunst von Kerosinlampen einatmen müssen.

Hinsichtlich der Ausgestaltung der Versorgung mit elektrischer Energie wurde seitens der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit der „African Development Bank“ das Ziel ins Auge gefasst, dass innerhalb der kommenden zehn Jahre, die Stromversorgung für ganz Afrika bereitgestellt werden soll. Für dieses pharaonische Projekt müssen jährlich 55 Milliarden $ investiert werden, immerhin ein Bruchteil der in der Welt pro Jahr bereitgestellten Militärausgaben.

3°         Eine Möglichkeit, das Anwachsen der Wüsten, vor allem die Sahara, zu begrenzen, stellt die Anpflanzung der Purgiernuss „Jatropha curcas“ – einem widerstandsfähigen Strauch aus der Familie der Wolfsmilchgewächse – dar. Diese Pflanze erreicht die beachtliche Höhe von fast acht m. Sie wächst auf kargen, trockenen Böden, die für die Nahrungsmittelproduktion nicht genutzt werden können. Außerdem gedeiht sie unter extremen Umweltbedingungen sehr gut und mit der aus den Pflanzenkläranlagen stammenden Flüssigkeit kann sie sogar gedeihen.

„Jatropha curcas“ wird mittlerweile in der Wüste plantagenweise angebaut und beeinflusst das regionale Klima positiv, erhöht die Niederschläge und bindet große Mengen Kohlendioxid. Sie weist außerdem enorme wirtschaftliche Effekte, denn sie trägt nach wenigen Jahren ölhaltige Früchte. Das extrahierte Öl ist stark giftig und nicht für den Verzehr geeignet, es kommt jedoch als Biotreibstoff zum Einsatz und die verbleibenden Presskuchen dienen als hervorragender Dünger.

4°         Dem Ausbau der Infrastrukturen in Afrika fällt eine zentra­le Rolle zu. Den Informationen der Weltbank zu Folge, verfügt die Subsahara derzeit über die schlechteste Infrastruktur weltweit, dies hinsichtlich der Quantität als auch der Qualität. Die schlechten  Eisenbahnverbindungen und Straßeninfrastrukturen führen zu hohen Transportkosten und verhindern das wirtschaftliche Wachstum, vor allem verhindern sie den Aufbau der Logistik, um die ländlichen Bevölkerungen zu ernähren und zu bedienen.

Mittlerweile zeichnet sich jedoch ein Umdenken ab, haben doch viele afrikanische Re­gierungen, die Afrikanische Union, die internationale Geber­organisationen und auch die bilateralen Geber die Notwendigkeit verstärkter Investitionen erkannt. So hat u.a. die Afrikanische Union das „Programme for Infrastructure Development in Af­rica (PIDA)“ initiiert, welches Investitionen in Höhe von 380 Milliarden $ für den Zeitraum von 2010 bis 2030 vorsieht.

Schlussgedanken

Wer rechtzeitig das Notwendige tut, hat ungeahnte Chance, nicht nur die Richtung mitzubestimmen, sondern auch, das Neue zu seinem Vorteil zu nutzen. Die zentrale Herausforderung, vor der die Menschheit heute steht, ist es Sorge zu tragen, dass die Globalisierung für alle Menschen auf der Welt zu einer positiven Kraft wird, statt Milliarden von ihnen im Elend zurückzulassen.

Durch die Förderung der privaten Kapitalströme in die einkommensschwachen Länder, insbesondere in Form von ausländischen Direktinvestitionen, können dort Arbeitsplätze geschaffen werden, damit die Menschen ihre angestammte Heimat nicht verlassen und sich nicht auf eine ungewisse Reise in die industrialisierten Länder einlassen. Hierin liegen die Chancen, die uns alle zu einer verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung befähigen. Wenn diese Chance vertan wird, dann werden die notleidenden Menschen zu uns kommen. Auch wenn sie am Rand der Gesellschaft stehen, ist dies für sie immer noch erstrebenswerter als ein von Hunger, Elend und frühem Tod gekennzeichneten Leben in ihren Heimatländern.