Die massive Verschwendung von Lebensmitteln sorgt laut den Vereinten Nationen nicht nur für enorme Wirtschaftseinbußen, sondern richtet auch hohe Umweltschäden an. Es kann nicht angehen, dass die Reichen dieser Welt riesige Mengen an Lebensmittel, die erzeugt werden, in die Mülltonnen, auf die Müllhalden, in die Abflüsse und in die Ozeane werfen, derweil fast eine Milliarde Menschen Hunger leidet – vor allem die Kinder.
Lassen die Bilder von Millionen Menschen, die täglich in den Müllbergen der Großstädte wühlen, um etwas Essbares zu ergattern, uns denn unberührt? Es ist mir wohl bewusst, dass keiner von diesen armen Menschen unmittelbar satt wird, wenn wir dem Umgang mit Lebensmitteln eine höhere Bedeutung beimessen. Aber aus Respekt vor den Mitmenschen muss sorgsam mit den Lebensmitteln umgegangen werden, denn das nicht ethische Verhalten trägt zur Verknappung der Lebensmittel bei und erhöht deren Preise.
Mittlerweile werden sich immer mehr Menschen bewusst, dass in jedem „weggeworfenen“ Lebensmittel eine Menge wertvoller Ressourcen: Wasser, Rohstoffe, Energie und Arbeitskraft verarbeitet wurden – Ressourcen, die mit jedem weggeworfenen Apfel oder Brot sinnlos verschwendet werden. Um einen kg Äpfel zu ernten, werden etwa 700 l Wasser benötigt – etwa 1.000 l Wasser bei der Produktion von einem kg Brot. Um ein kg Rindfleisch auf den Markt zu bringen, werden 15.000 l Wasser aufgewendet.
Eine Kette von Missständen
Den rezenten Berichten der Welternährungsorganisation entnimmt man, dass jährlich etwa 1.300 Millionen Tonnen Lebensmittel „entsorgt“ werden. Diese verwerfliche Aktion bedeutet das Vernichten von 750 Milliarden $, das 6fache der weltweiten Entwicklungshilfe. Mit dieser Menge Lebensmittel könnten die Hungernden dieser Welt drei Mal versorgt werden.
Über 54 Prozent der Nahrungsmittelverschwendung fallen bereits während der Produktion, der Nachernte und der Lagerung an. Die Verschwendung beginnt bereits bei der Nutzung des Ackerlandes. Es kann nicht angehen, dass die Nahrungsmittel, die auf 28 Prozent der weltweiten Anbauflächen erzeugt werden, später auf dem Müll landen. Dadurch entstehen jährlich finanzielle Einbußen von über 800 Milliarden Euro. Die Agrarflächen werden umsonst jährlich mit Millionen l Wasser bewässert (man spricht von 250 km3 Wasser) sowie mit Pestiziden und Düngern belastet. Riesige Landstriche werden verwüstet und Wälder umsonst gerodet. Die restlichen 46 Prozent fallen bei der Weiterverarbeitung, der Auslieferung und dem Verbrauch an.
Die Umweltkosten und die sozialen Kosten rufen, laut den Schätzungen der Vereinten Nationen, einen Gesamtschaden an der Gesellschaft in Höhe von 2.600 Milliarden $ hervor. Ein gigantischer Betrag, welcher sicherlich, wenn sinnvoll eingesetzt, zu mehr Gerechtigkeit führen würde.
Die Geschichte der Lebensmittelverschwendung ist eng mit der Globalisierung verknüpft. In einer vernetzten Welt werden die Wertschöpfungsketten immer länger. Das bedeutet, dass zwischen Produzenten und Verbrauchern immer mehr Zwischenhändler, Logistiker, Verpackungs- und Lagerungsspezialisten liegen. Es muss demzufolge zu einer verbesserten Abstimmung zwischen dem Angebot und der Nachfrage kommen.
Sollte trotzdem ein Nahrungsüberschuss eintreten, dann muss darauf geachtet werden, dass dieser der Wiederverwertung oder dem Recyclingprozess zugeführt wird. Außerdem werden für den Abtransport der riesigen Berge an verschwendeten Lebensmitteln teure Energien benötigt und unnötige Treibhausgasemissionen hervorgerufen. Wenn jedoch Lebensmittelabfälle anfallen und die sich nicht vermeiden lassen, dann sollten sie möglichst sinnvoll weiterverwertet werden u.a. in den Biogasanlagen und im Komposthaufen.
Fakten zum Nachdenken
Laut der FAO-Studie „Global food and food waste“ liegt die jährliche pro Kopf Verschwendung an Lebensmittel in der Europäischen Union, über die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet, zwischen 280 bis 300 kg. Des Weiteren wird geschätzt, dass jeder einzelne EU-Bürger jährlich zwischen 95 bis 115 kg Essen in die Mülltonne wirft. In Luxemburg schätzt man die weggeworfene Menge Lebensmittel auf jährlich 123 kg pro Bürger.
Gemäß einer von der EU finanzierten Untersuchung gehen 42 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel auf das Konto der privaten Haushalte. 39 Prozent landen bei den Herstellern im Müll, 14 Prozent in der Gastronomie und fünf Prozent bei den Einzelhändlern.
Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Jogurts nur einen Tag überschritten, wandert es bei den meisten Menschen ohne weitere Gedanken in den Mülleimer. In den Abfallcontainern der Konsumtempel stapeln sich Tonnen von Lebensmitteln, die eigentlich noch völlig in Ordnung sind. Neben dem überschrittenen Mindesthaltbarkeitsdatum sind auch eine beschädigte Verpackung oder gar ein leicht lädiertes Äußeres schon Grund genug für die frühzeitige Entsorgung. Es wird den Menschen verstärkt bewusst, dass die Fleischproduktion, die aus industrieller Massentierhaltung resultiert, unmittelbar zur Umweltzerstörung und Ungerechtigkeit führt.
Zu dieser riesigen Menge an „entsorgten“ Nahrungsmitteln aus der Land- und Obstwirtschaft fallen auch noch 38 Millionen Tonnen an Fischen und Meerestieren (38 Prozent der weltweiten Fangmenge) an, die als Rückwurf vernichtet werden. Dies zerstört auf lange Sicht den Lebensraum Ozean und es ist ethisch nicht vertretbar, diese Lebewesen wie Müll zu behandeln.
Wohl werfen die Menschen in Afrika und im südöstlichen Asien kaum Lebensmittel weg. Trotzdem gibt es auch dort große Lebensmittelverluste von über 40 Prozent, insbesondere durch die schlechte und unzureichende Lagerung, die Verpackung, die Kühlung und den desolaten Transport. Die klimatischen Bedingungen in den Entwicklungsländern fördern die Verderblichkeit. Nehmen die Zwischenhändler den Kleinbauern die produzierten Nahrungsmittel nicht ab, weil diese den Erwartungen der Konsumenten „nicht entsprechen“, dann bedeutet dies oft die existenzielle Not und nicht selten Hunger für die kleinbäuerlichen Familien.
Fazit
Es erfreut, dass mittlerweile eine Diskussion hinsichtlich der Verschwendung der Lebensmittel angefacht wurde und dieses Thema die Regierung und das Parlament auf den Plan gerufen hat.
Im September 2015 wurden die 17 neuen nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen verabschiedet. Das Ziel ist eindeutig: „Wir müssen den Hunger bis zum Jahr 2030 beenden, die Ernährungssicherheit garantieren und die bessere und gerechte Ernährung für alle Menschen erreichen.“ Die nachhaltige Landwirtschaft stellt einer der wichtigsten Eckpfeiler dar.
Die Aussage der Umweltkonferenz von Rio im Jahr 1992: „Global denken und lokal handeln.“ muss heute mehr denn je die Mantra für unseren gerechten Umgang mit Lebensmitteln werden – denn jedem der 7,4 Milliarden Menschen stehen die gleichen Rechte zu.
Prof. Dr.- Ing. Marcel Oberweis