Nachdem die CSV im Frühjahr die Idee aufwarf, eine umfassende und strukturierte Diskussion über die zukünftige Entwicklung des Landes zu organisieren und zu prüfen, welche Alternativen es zum 1,1-Millionen-Einwohner-Staat gibt, war die Reaktion der Regierung heftig und überzogen.
Sowohl der Premierminister, der Vizepremierminister und besonders der Nachhaltigkeitsminister lehnten den Vorschlag ab, ohne sich zuvor die Mühe zu machen, sich auf eine seriöse Weise damit auseinanderzusetzen.
Zur Erinnerung: Was war das Anliegen der CSV? Vor dem Hintergrund einer dynamischen demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung sollte ein Zukunftstisch mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft organisiert werden, an dem auf eine transparente und geordnete Weise über die Entwicklungsperspektiven des Landes diskutiert wird und unterschiedliche Handlungsoptionen auf den Tisch kommen. Die Dringlichkeit des Zukunftstischs geht aus den Zahlen hervor. Allein 2015 betrug das Bevölkerungswachstum 14.000 Personen und es wurden über 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Die Zivilgesellschaft, die Sozialpartner, Experten und Politik sollten sich am Zukunftstisch auf Augenhöhe begegnen und als gleichberechtigte Diskussionspartner über die Problemstellungen diskutieren, die sich bei der Entwicklung des Landes stellen. Am Zukunftstisch sollten landesplanerische, soziale, umweltpolitische und wirtschaftliche Aspekte der Entwicklungsdynamik vernetzt analysiert werden, um auf einer wissenschaftlich fundierten Basis gemeinsam wahrscheinliche Zukunftsszenarien zu entwerfen.
Nicht mehr und nicht weniger !
Doch die Regierung blockte die Initiative der CSV mit Polemik und einem gehörigen Schuss Arroganz ab.
Kehrtwende der Regierung
Über den Sommer setzte dann die völlige Kehrtwende ein: Mit der gleichen Vehemenz mit der vor allem der Nachhaltigkeitsminister den Zukunftstisch ablehnte, fördert die Regierung ihn nun. Es ist nur schade, dass die Regierung für ihren Meinungswandel sechs Monate gebraucht hat, sechs wertvolle Monate, die nutzlos verloren gingen.
Denn die zentralen Fragen sind die gleichen wie sie von der CSV bereits zu Anfang des Jahres aufgeworfen wurden:
Wie ist es mit der Verkehrsinfrastruktur?
Die Verkehrsprobleme werden weiter ausarten, wenn das Wachstum, dem sich die Regierung mit ihrer kurzsichtigen Finanz- und Haushaltspolitik alternativlos verschrieben hat, tatsächlich eintritt. Die Verkehrsüberlastung ist dabei bereits heute Realität. Sie droht zu einem Standortnachteil zu werden, wenn Lieferketten nicht mehr funktionieren, Kunden im Stau stehen und die Grenzgänger, auf deren Arbeitskraft wir angewiesen sind, unser Land meiden, weil der Weg zur Arbeit, bzw. die Heimfahrt einen zu großen Zeitverlust darstellt. So müssen Grenzpendler z.B. von Trier oder Thionville für die tägliche An- und Rückfahrt über drei Stunden berechnen und das mit weiter ansteigender Tendenz.
Die richtigen Fragen stellen
Auch wenn der Öffentliche Transport weiter nach Kräften ausgebaut wird, so wird parallel auch der Individualverkehr zunehmen. Wir kommen in diesem Zusammenhang nicht am weiteren Ausbau des Straßennetzes vorbei. Besteht die Möglichkeit, die Kapazitäten des Autobahnnetzes auszubauen (sowohl für den Individualverkehr als auch für den Öffentlichen Transport)? Wem gehören die Trassen entlang der Autobahnen? Dem Staat oder wie sind die Besitzverhältnisse? Hier müssen wir heute die richtigen Fragen stellen.
Wie verhält es sich vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung mit der zukünftigen Gesundheitsversorgung und den Krankenhaus- und Pflegeinfrastrukturen?
Der Bevölkerungszuwachs mit der sich verändernden Altersstruktur und mehr älteren Menschen stellt das Gesundheitswesen vor neue gewaltige Herausforderungen. Der Bedarf an Gesundheitsleistungen sowie der Infrastrukturbedarf werden stark ansteigen.
Auch hier braucht es eine Gesamtstrategie, die auf der Grundlage von mittel-und langfristigen Entwicklungsszenarien erstellt wird. Der Spitalplan liefert auf eine Reihe von Fragen Antworten, aber es bleiben auch noch Fragen offen. Das übergeordnete Ziel muss dabei ein doppeltes sein: Zum einen eine flächendeckende, patientennahe und hochwertige Gesundheitsversorgung, die weiter höchste Qualitätsstandards sichert zum anderen muss der allgemeine Zugang zu den gleichen Gesundheitsleistungen gewährleistet und jedes Abgleiten in eine Zwei-Klassen Medizin verhindert werden.
Und es reicht nicht aus, um die langfristige Finanzierung einer zusehends kostspieligen Gesundheitsversorgung zu sichern (bei einer wachsenden Bevölkerung und einem größeren Anteil älterer Menschen), ausschließlich auf mehr Beitragszahler in die Sozialkassen zu setzen.
Vorsorge und Prävention müssen die besonderen Schwerpunkte der Gesundheitspolitik werden.
Ein weiterer wichtiger Ansatz ist der Ausbau der ambulanten Behandlung, ohne dass dies zu Lasten der Patienten sein darf oder zu einer Überbelastung der ambulanten Pflegedienste führt.
Auch hier kann die Politik nicht allein entscheiden, sondern sie muss sich mit allen Akteuren konzertieren: Dem im Gesundheitswesen tätigen Personal, den Krankenhausbetreibern, den Interessenvertretern der Patienten sowie den Sozialpartnern.
Eine dritte maßgebliche Frage lautet, wie die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt entschärft werden kann.
Es ist der aktuellen Regierung nicht gelungen, die Kostenspirale auf dem Wohnungsmarkt zu brechen, trotz der gerade in diesem Zusammenhang besonders vollmundigen Versprechen bei Regierungsantritt. Die Schere am Wohnungsmarkt öffnet sich weiter. Das Bevölkerungswachstum setzt voraus, dass jedes Jahr rund 6.500 Wohneinheiten errichtet werden. Zurzeit werden aber nur 3000 fertiggestellt.
Hier muss vordringlich die administrative Vereinfachung kommen, die ebenfalls von Rot, Blau und Grün großspurig angekündigt wurde. Weil eine einzelne Genehmigung fehlt, verzögert sich oft die Baulanderschließung oder es stellt sich heraus, dass die existierenden Kanalinfrastrukturen und Kläranlagenkapazitäten unzureichend sind und erst nach neuen langwierigen Genehmigungsprozeduren angepasst werden können.
In den 90er Jahren ist zu einem Moment die Idee aufgekommen auf Nossbierg eine neue Ortschaft zu schaffen, diese Idee wurde in der Folge wieder fallen gelassen. Aber wäre das vielleicht heute eine Idee, die wieder aufgegriffen wird, um an einem geeigneten Ort eine neue Ortschaft zu konzipieren und zu bauen? Eine neue Ortschaft, in der die notwendigen sozialen Infrastrukturen und Geschäfte von Anfang an mitgeplant werden, in der alle Bauten den erforderlichen Klimaschutz- und Umweltstandards entsprechen und in welcher der Öffentliche Transport von Anfang an Vorrang vor dem Individualverkehr hat.
Auch diese Idee würde zweifellos nicht allein die Schieflage am Wohnungsmarkt beseitigen. Sie könnte aber vielleicht den Trend, dass Wohnen im Vergleich zu den anderen Lebenshaltungskosten zusehends teurer und für viele Familien unfinanzierbar wird, in einer ersten wichtigen Etappe bremsen. Sie könnte uns den notwendigen Atem verschaffen, eine unhaltbare Situation – nämlich dass Wohnen in Luxemburg zu einem Luxus wird – Schritt für Schritt zu beseitigen. Wie gesagt: Zauberlösungen um die Probleme am Wohnungsmarkt über Nacht verschwinden zu lassen, gibt es nicht. Aber es gibt die Möglichkeit, durch beharrliches ziel- und resultatorientiertes Arbeiten den Negativtrend umzukehren.
Auch hier muss die Politik auf die Problemlösungskompetenz von anderen Partnern zurückgreifen, die oft durchdachte Modelle ausgearbeitet haben, aber in den Ministerien und Verwaltungen nicht durchdringen weil diese im Korsett des politischen Tagesgeschäfts und einer bürokratischen Überregulierung gefangen sind.
Verkehrsinfrastruktur, Gesundheitsversorgung Wohnungsbau … das sind nur drei Beispiele, wo die verantwortlichen Politiker endlich über ihren Schatten springen müssen und unvoreingenommen den Erfahrungsschatz der Zivilgesellschaft, von Unternehmen, Gewerkschaften, Experten und engagierten Bürgern nutzen müssen.
Diskussion zwischen gleichberechtigten Partnern
Was es braucht, ist eine Diskussion auf Augenhöhe, ohne dass die politisch Verantwortlichen die Schlussfolgerungen bereits in der Schublade haben.
Und genau das stört in der aktuellen Diskussion. Es ist die Regierung und insbesondere der Nachhaltigkeitsminister der alles bestimmt: den Zeitplan (nachdem er sehr lange auf der Bremse stand), die Tagesordnung, den Diskussionsrahmen und den Teilnehmerkreis.
Das ist eine von oben orchestrierte Scheindebatte, ein Publicity Event aber keine öffentliche Diskussion zwischen gleichberechtigten Partnern in der sich neue Ideen entfalten können.
Neue Ideen, die wir übrigens auch brauchen zur nachhaltigen Ausrichtung und finanziellen Absicherung des sozialen Netzes. Wir sollten die zurzeit gute Konjunktur nutzen, um in Ruhe und durchdacht die langfristige Gestaltung unseres sozialen Netzes zu planen. Ein forciertes Wachstum ist auch hier keine dauerhafte Lösung.
Mit einigen Diskussionsrunden, ausgewählten Gesprächspartnern und einer fest geschnürten Tagesordnung ist es nicht getan. Kreativität und Kompetenz limitieren sich nicht auf einige wenige Regierungsmitglieder, Interessenvertreter und Fraktionsvorsitzende, die zuvor gnädig vom Minister ausgewählt wurden.
Das ist nicht der Zukunftstisch, den das Land braucht.
Lëtzebuerg ass méi!
Marc Spautz, CSV-Parteipräsident, Abgeordneter
(Quelle: Luxemburger Wort 01/10/2016)