“Ich jubele lieber im Oktober 2018”
Die CSV befindet sich im Erneuerungsprozess und bereitet sich langsam, aber sicher auf die kommenden Wahlen vor. Laut Parteichef Marc Spautz dürfe man angesichts der günstigen Umfragewerte für die Christsozialen aber nicht in verfrühte Euphorie verfallen. Zumal Blau-Rot-Grün in den Augen der Partei weitere Angriffsflächen bietet. Bei aller Opposition und Kritik findet Spautz aber auch – zumindest ansatzweise – lobende Worte für die Regierung.
In den rezenten Umfragen stürzen die DP und die LSAP ab, die CSV befindet sich im Höhenflug. Läuft Ihre Partei nicht Gefahr, sich zu sehr auf diesen Ergebnissen auszuruhen?
Wir sehen die Gefahr und warnen vor allzu großer Euphorie. Bis zu den nächsten Wahlen ist es noch eine Weile hin. Vielmehr müssen sich die drei Regierungsparteien fragen, was bei ihnen schief gelaufen ist. Ich jubele jedenfalls lieber im Oktober 2018 als jetzt.
Was in der Presse weniger thematisiert wurde: Auch die CSV verliert in den Umfragen im Gegensatz zum Juli landesweit einen Sitz. Gibt es dafür eine Erklärung?
Auch hier gilt: Noch haben wir gar nichts gewonnen. Die Sitzverteilung, insbesondere im Norden und im Osten, hängt traditionell von wenigen hundert Stimmen ab. Deshalb würde ich weder die uns im Juli vorhergesagten 28 Sitze noch die jetzt prognostizierten 27 Sitze für bare Münze nehmen.
Die ADR gehört offensichtlich auch zu den Gewinnern in den Umfragen. Ihr Generalsekretär meinte im Interview mit dieser Zeitung aber, dass die Partei für die CSV keine Option sei. Schließen auch Sie eine Koalition mit der ADR aus?
Um eine Koalition zu bilden, braucht man genügend programmatische Schnittmengen. Allein in der Europapolitik gehen die Meinungen zwischen unseren Parteien weit auseinander. Insgesamt sind die aktuellen Schnittmengen zwischen der CSV und der ADR sehr, sehr gering, wenn nicht sogar inexistent.
Also, ausgeschlossen oder nicht?
Es ist jetzt noch zu früh, sich dazu zu äußern. Zunächst hat der Wähler das Wort. Aufgrund des Wahlergebnisses muss man dann sehen, mit welcher Partei man die größten programmatischen Schnittmengen hat.
Das Problem der CSV bei den vergangenen Wahlen war ja nicht, dass man ein schlechtes Resultat einfuhr, sondern dass man am Wahlabend ohne Partner dastand. Wie will die Partei sicherstellen, dass dies nach 2018 nicht mehr der Fall ist?
Einerseits ist es in Luxemburg nicht üblich, Koalitionsaussagen zu treffen. Andererseits lassen einige Politiker der aktuellen Mehrheit schon jetzt durchblicken, dass sie die Dreierkoalition gerne fortführen möchten. Falls wir 2018 den Wählerauftrag erhalten, eine Regierung zu bilden, wird es natürlich auch sehr auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ankommen. Und ich denke, dass wir zu Politikern von DP, LSAP und Grünen durchaus gute Beziehungen unterhalten. Es ist aber wie gesagt noch viel zu früh für irgendwelche Koalitionsgespräche. Alle Parteien werden sich zu gegebener Zeit positionieren.
Auch wenn die nächsten Wahlen noch weit entfernt sind, wird innerhalb und außerhalb der Partei natürlich schon über mögliche Spitzenkandidaten spekuliert. Dabei werden meist nur drei Namen genannt, aber nicht Ihrer. Ist der Parteipräsident nicht auch immer ein natürlicher Kandidat für den Spitzenposten?
Erstens: Es ist in der Tat noch sehr früh. Zweitens: Diese Frage ist zu diesem frühen Zeitpunkt vor allem in der Presse und in anderen Parteien von Interesse. Innerhalb der Partei ist das viel weniger ein Thema. Generell gilt aber, dass die Spitzenkandidatur nichts ist, was man selbst fordert, sondern etwas, was parteiintern an eine bestimmte Person herangetragen wird. Wir sind jetzt dabei, uns inhaltlich neu aufzustellen. Dann steht die personelle Erneuerung der Parteigremien an, die in den Bezirken die Listen für die Wahlen 2018 aufstellen werden. Davor kommen aber erst noch die Gemeindewahlen. Das hat für uns zunächst Priorität. Bis dahin werden sich die möglichen Kandidaten herausschälen. Wir gehen das ganz gelassen an.
Die Frage war, ob Sie sich diesen Job auch persönlich zutrauen …
Die Erfahrung, auch in anderen Ländern, zeigt, dass diejenigen, die sich zu früh selbst als Kandidaten ausrufen, oft den Kürzeren ziehen. Die Entscheidung wird zu gegebener Zeit getroffen. Ich habe auch heute schon ein bestimmtes Profil für einen Spitzenkandidaten im Kopf, aber – nehmen Sie es mir nicht übel – das werde ich Ihnen heute nicht verraten. (lacht)
Die CSV hat sich nach den Wahlen 2013 einen Erneuerungsprozess auferlegt. Ist der Prozess jetzt abgeschlossen? Was hat dieser Prozess konkret bewirkt?
Nach jeder Wahl sollte man die vergangene Mandatsperiode bilanzieren, ausmachen, was gut gelaufen ist und was nicht, und gegebenenfalls programmatische Anpassungen vornehmen, ohne jedes Mal die Grundprinzipien in Frage zu stellen. Ein Erneuerungsprozess ist somit ein ständiger, fortlaufender Prozess.
Was ist denn vor und nach den Wahlen 2013 so schlecht gelaufen, dass die CSV sich erneuern musste?
Die Erneuerung wäre so oder so gekommen. Dass Jean-Claude Juncker 2014 noch einmal als Spitzenkandidat antreten würde, war klar. Klar war aber auch, dass die CSV sich für die Zeit danach anders aufstellen müsste. Nur ging das alles etwas schneller und radikaler zu, als wir uns das vorgestellt hatten.
Welche Akzente wird die CSV in ihrem neuen Grundsatzprogramm setzen?
Wir nehmen keine 180-Grad-Wende vor. Wir werden keine liberale Partei, wir basieren uns auch weiterhin auf die christliche Soziallehre. Unser Auftrag bestand darin, das Grundsatzprogramm zu vereinfachen, damit es für jedermann verständlich wird. Unser Programm war zu umfangreich. So etwas liest keiner.
Sie haben gerade selbst gesagt, dass die CSV keine liberale Partei werden soll. Das heißt, das Wort „Geschäftsmodell“ wird sich im neuen Programm wohl nicht wiederfinden …
Die CSV ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Wir stehen zu Europa und wollen ein soziales Europa. Das ist ganz klar.
Sie teilen also nicht die Idee einer Europäischen Union, die vor allem wirtschaftlich neu erfunden werden muss, wie sie Ex-Finanzminister Luc Frieden in seinem jüngst erschienenen Buch entwickelt?
Europa ist mehr als Wirtschaftspolitik. Europa ist Sozialpolitik und Friedenspolitik. Die EU muss handlungsfähiger werden und sich gemeinsame soziale Standards geben. Das hat für die CSV Priorität. Nur so können wir die grassierende Euroskepsis und den Aufstieg extremistischer Parteien bekämpfen. Und nur so können wir die Akzeptanz der europäischen Idee in der Bevölkerung wieder erhöhen.
In einem Radiointerview haben Sie gesagt: Wenn Luc Frieden wieder in die nationale Politik zurückkehren sollte, müsse er aus deontologischen Gründen an der Diskussion über Themen, die ihn auch bei der Deutschen Bank betreffen, verzichten …
Nicht ganz. Säße Luc Frieden als Abgeordneter im Parlament und wäre gleichzeitig noch bei der Deutschen Bank angestellt, müsste er sich aus deontologischen Gründen aus Dingen heraushalten, die ihn als Vice Chairman betreffen. Als Minister wäre die Sache anders. Dann stünde er nicht mehr in einem Dienstverhältnis mit der Deutschen Bank.
Luc Frieden ist sicherlich ein verdienstvoller und kompetenter Politiker, er trägt aber auch noch Altlasten mit sich herum – Stichwort Bommeleeër-Prozess, Cargolux-Affäre. Würde die CSV sich mit einem exponierten Luc Frieden nicht angreifbar machen?
Luc Frieden wurde und wird immer noch von politischen Konkurrenten angegriffen. Doch die Entscheidung liegt beim Wähler. Würde Luc Frieden gewählt, möchte ich den sehen, der ihm eine Rückkehr auf die politische Bühne verweigern möchte. Sollte Luc Frieden sich unter den 60 CSV-Kandidaten positionieren, ist das auf jeden Fall ein Gewinn für unsere Partei.
Ein ganz anderes Thema: Laut dem Premier will die Regierung Anfang 2018 das zweite Referendum über die Verfassungsreform abhalten. Damit es dazu kommt, ist die Koalition aber auf die CSV angewiesen. Wie realistisch ist der Zeitplan der Regierungsparteien aus Ihrer Sicht?
Ich bin etwas verwundert über die Aussage des Premiers. Wenn man als Regierungschef weiß, dass die Verfassungsreform zunächst per Zwei-Drittel-Mehrheit durch das Parlament muss, dann erwarte ich, dass der Staatsminister auch mit den Vertretern der Opposition Rücksprache hält. Das war nicht der Fall. Dass sich die Regierung jetzt wieder zeitlich unter Druck setzt, ist aber auch deshalb erstaunlich, weil sie ja bereits das erste Referendum nicht gerade fachmännisch vorbereitet hat. Die CSV ist der Meinung, dass es nichts bringt, Zeitpläne aufzustellen, wenn man nicht vorher mit den Bürgern über die Verfassungsreform diskutiert hat und der fertige Text dann in aller Ruhe und mit der nötigen Sorgfalt die Instanzen der Gesetzgebung, inklusive Staatsrat, überstanden hat. Erst dann kann es um den Zeitpunkt eines Referendums gehen. Wir können uns über dieses Vorgehen also nur wundern. Die Koalition scheint in Sachen Referendum nichts aus ihren Fehlern gelernt zu haben.
Etienne Schneider führt die schlechten Umfrageergebnisse auf das Referendum vom vergangenen Jahr und auf die schlechte Kommunikation zurück. Mit der Arbeit der Regierung aber hätten sie nichts zu tun. Worauf führen Sie die desaströsen Werte für die Liberalen und die Sozialisten zurück?
Die Kommunikation hat ganz klar damit zu tun. Schuld ist aber vor allem die Inkohärenz der Regierungspolitik. Was die Regierung sagt und was sie macht, das sind zwei Paar Schuhe. Das sieht man sehr gut am Beispiel Kindergeld. Wer unter die Neuregelung fällt, bekommt viel weniger als vorher. Und die anderen versprochenen Leistungen wie die kostenlose Kinderbetreuung werden nicht erbracht. Die Regierung hat große Hoffnungen geweckt und gesagt, sie würde alles anders und besser machen als ihre Vorgänger. Anders? Ja. Besser? Nein. Man sollte besser von Dingen sprechen, die man gemacht hat, statt große Hoffnungen zu wecken, die man nicht erfüllt.
CSV-Generalsekretär Laurent Zeimet bezeichnete die CSV mit Blick auf 2018 als Alternative, ja als „Partei des Wechsels“. Was würde die CSV, käme sie wieder in die Verantwortung, anders bzw. sofort rückgängig machen?
Mit der Familienpolitik der Regierung können wir nicht einverstanden sein. Sollten wir 2018 wieder in der Regierung sein, werden wir das Kindergeld, sollte es wie geplant umgesetzt werden, ändern. Dazu braucht man allerdings einen Koalitionspartner, der diesen Weg mitgeht. Ob wir die abgeschafften Familienzulagen wieder einführen oder sie anders regeln würden, ist also letztlich Verhandlungssache. Wir arbeiten derzeit ein eigenes familienpolitisches Konzept aus, das wir noch vor den nächsten Wahlen auf den Tisch legen werden.
Bei aller Regierungskritik: Gibt es aus Ihrer Sicht eigentlich auch etwas, was diese Koalition gut gemacht hat?
Die Regierung hat zu Beginn einige gesellschaftliche Reformen verabschiedet, die noch von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden waren. Ich denke nur an die gleichgeschlechtliche Ehe. Der Weg in der Gesellschaftspolitik war anfangs der richtige. Nach und nach ist man aber zu weit gegangen und hat eine gefährliche Spaltung der Bevölkerung in Kauf genommen. Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es richtige Ansätze – zum Beispiel der jetzt in Kraft getretene Mietzuschuss. Auch das ist aber eine Initiative, die schon in der CSV-LSAP-Koalition in der Mache war. Generell hat die Regierung in vielen Punkten, die auch mit der CSV zu machen wären, die detaillierte programmatische Vorbereitung vernachlässigt. Deshalb kamen die vielen handwerklichen Fehler und die selbst von Koalitionsseite eingeräumte schlechte politische Kommunikation zustande. Zudem fehlt mit zunehmender Zeit das Gesamtkonzept von Blau-Rot-Grün. Das sind die Hauptprobleme, die die aktuelle Regierung hat und an denen sich, wie es aussieht, auch so schnell nichts zum Guten ändert.
Quelle: Luxemburger Wort, 16. Januar 2016, Gesprächspartner Michèle Gantenbein und Christoph Bumb