Die Vierte industrielle Revolution führt in die vernetzte nachhaltige Welt

Die Vierte Industrielle Revolution führt in die vernetzte nachhaltige Welt

Prof. Dr.-Ing. Marcel Oberweis

Möchte man die Zukunft erfolgreich gestalten, dann bedarf es einer konkreten und durchdachten Strategie. Die Aussage des griechischen Politikers Perikles aus Athen (500-429 v.Chr.) „Es kommt nicht darauf an, die Zukunft voraussagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.“ beschreibt dies vortrefflich.

Rückblick auf die bisherigen industriellen Revolutionen

Die Erste Industrielle Revolution ist mit dem Jahr 1769 fest verankert. Die Entwicklung der Niederdruck-Dampfmaschine und die im Gefolge aufkommenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen haben der damaligen Agrargesellschaft ihren Stempel aufgedrückt. Die verstärkte Nutzung der Kohle führte zur Bereitstellung der Dampfkraft und lieferte den Menschen eine neue Energiequelle. Das Holz, die Windkraft und die Wasserkraft sowie die Kraft von Menschen und Tieren waren die Energiespender, bis es dem englischen Handwerker und Ingenieur James Watt (1736-1819) nach vielen Versuchen gelang, seine Dampfmaschine zur Verrichtung von technischer Arbeit zu verwirklichen.

Durch eine Reihe weiterer Erfindungen verbesserte er die Dampfmaschine von Thomas Savery und James Newcomen erheblich. Es stand erstmals eine zuverlässige und leistungsfähige Antriebsmaschine zur Verfügung. Das Patent für diese Epoche machende Meisterleistung wurde ihm am 5. Januar 1769 vergeben Eine wichtige Erfindung bestand in Zyklusfolge der Auf- und Abwärtsbewegungen des Kolbens durch das Parallelogrammgestänge im Jahr 1781. Die Wattsche Dampfmaschine stellte den Beginn der industriellen Revolution dar und beflügelte den Übergang vom Manufaktur- zum Fabriksystem. Im Gefolge wurde ein rasanter Transformationsprozess der Gesellschaft entfacht. Es begann die industrielle Umwandlung von Rohstoffen in Produkte in den Fabrikhallen.

Durch die Einführung des Hochdruckes im Zylinder durch den englischen Techniker Robert Trevithick (1771-1812) kam es zur Verbesserung der Wattschen Dampfmaschine. Er setzte seine Hochdruck-Dampfmaschine zunächst in den „Puffing Devil“, einen Straßendampfwagen ein. Leider waren die Straßen zu jener Zeit in einem desolaten Zustand, sodass diesem dampfgetriebenen Fahrzeug keine Zukunft beschieden war. Anschließend installierte er die Dampfmaschine in eine „Lokomotive“ in den Eisenhüttenwerken in Südwales. Leider waren die Gleise dieser Last nicht gewachsen. Mit George Stephenson (1781-1848) wurde der Traum verwirklicht, die Dampfmaschine auf die Gleise zu bringen. Die Eisenbahnstrecke zwischen Stockton und Darlington wurde am 27. September 1825 eröffnet und der „Siegeszug des eisernen Dampfrosses“ begann unverzüglich. Das anbrechende Industriezeitalter rief einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel hervor; die städtischen Bürger übernahmen in einem verstärkten Maß die Führungsrolle.

Die Zweite Industrielle Revolution begann mit der Einführung der individuellen Mobilität durch das Automobil und dem Einsatz der elektrischen Energie ab dem Jahr 1870. Es waren Jean-Joseph Etienne Lenoir, Nikolaus Otto, Gottlieb Daimler und Carl Benz, welche stellvertretend für die vielen Wissenschaftler, Ingenieure und Handwerker zitiert werden sollen. Mit der Entdeckung des Erdöls trat neben die Kohle ein zweites Standbein in den Dienst der Industriegesellschaft. Die Wirtschaft in Europa sowie in den Vereinigten Staaten von Amerika wiesen immer neue Erfolge auf, die Massenproduktion von Gütern für den alltäglichen Gebrauch erhöhte die Lebensqualität der Menschen in den Industrieländern zusehends. Die Einführung der Kunststoffe, der Elektrizität und deren Übertragung von den Kraftwerken hin zu den Verbrauchern waren Kernelemente dieses technologischen Wandels, weitere Anwendungen waren das Telefon und die Telegraphie.

Im Jahr 1866 entdeckte Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip, welches die praktische Anwendung der Elektrizität ermöglichte. Die von ihm entwickelte Dynamomaschine wandelte die mechanische Energie in elektrische Energie um. Der Grundstein für die Energieverteilung und die vielfältigen Anwendungen der Elektrotechnik war gelegt. Für diese faszinierende Epoche mögen weitere Erfinder wie Thomas Alva Edison, Samuel Morse, Philipp Reis, Guglielmo Marconi und Nikola Tesla erwähnt werden  –  das Telefon und die Telegraphie wurden erfunden.

Als ein weiteres Element sei die Chemie erwähnt. Justus Liebig legte die Grundlage für die Düngerwirtschaft und die Ertragsteigerung in der Landwirtschaft war die Folge – der Hunger wurde besiegt. Die Herstellung von Soda durch Ernest Solvay erlaubte die Erhöhung der Produktion sowohl in der Glasindustrie als auch in der Papierindustrie. Als letzte große Erfindung wird die Erfindung des Flugzeugs durch die Brüder Wright zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Die Dritte Industrielle Revolution ist u.a. durch die Erfindungen der  elektronischen Bauteile: Diode und Transistor gekennzeichnet. Diese beflügelten die Entwicklung des Radios und später des Fernsehens. Man kann diese Epoche mit dem Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts festlegen. Ein weiteres Element jener bahnbrechenden Zeit war die Entwicklung des ersten programmgesteuerten, elektrischen Relaisrechners durch Konrad Zuse im Jahr 1941. Die Entwicklung der Atombombe im 2. Weltkrieg hatte die Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke ab dem Jahr 1950 zur Folge. Den Menschen sollte eine „neue und schier endlose“ Energiequelle zur Verfügung gestellt werden, dies hat sich leider durch die Probleme hinsichtlich der Behandlung der Abfallstoffe als ein Trugschluss herausgestellt.

Der Raketenantrieb beflügelte die Indienststellung der Flugzeuge mit Turbinenantrieb an Stelle der Kolbenexplosionsmotoren, die Distanzen zwischen Städten und Kontinenten schrumpften. Im selben Atemzug muss auch die rasante Verbreitung des Automobils für immer breitere Schichten der Bevölkerung erwähnt werden.  Mit der Einführung des Mikroprozessors Intel i4004 (4bit) im November 1971 wurde das Tor zur Entwicklung der Automatisierung aufgestoßen. Diese Prozessoren erlaubten die unterschiedlichsten Fertigungsprozesse u.a. die Elektronik, die Raumfahrt und die Elektronische Datenverarbeitung. Der erste Mikrorechner (Computer), der Kenback-1, verfügte über 256 Byte Speicher, drei Programmregister und 5 Adressierungsarten. Eine entscheidende Wende ereignete sich durch die Entwicklung des „Apple 1“ im Jahr 1976 durch Steve Jobs und Steve Wozniak, vor allem für den Privatgebrauch.

Als weitere Bausteine seien die Biotechnologie, die Wiederverwertung von Abfallstoffen in der Kreislaufwirtschaft sowie die Verarbeitung der nachwachsenden Rohstoffe zitiert. Mit dem Abheben von Trägerraketen wurden nicht nur Satelliten in das All geschossen, sondern auch Menschen – zuerst in eine Umlaufbahn um die Erde gehievt und später auf den Mond gebracht. Die Raketentechnik und der wissenschaftliche Fortschritt erlaubten Sonden auf die intergalaktische Reise zur Erforschung der letzten Geheimnisse der Entstehung des Weltraums zu schicken.

Dazu gesellten sich die unterschiedlichen Technologien zur Nutzung der erneuerbaren Energien: die Photovoltaïkzellen, die thermischen Solarkollektoren, die Windenergieanlagen größerer Leistung, die Wärmepumpen und die Informations- & Kommunikationstechnologien.

Die Vierte Industrielle Revolution wird den Planeten nachhaltig verändern

Die Menschheit steht zu Beginn des neuen Jahrhunderts vor einer Fülle von Problemen, die bei näherer Betrachtung vielfach eine vernetzte Struktur aufweisen. Es seien nur die Energiefrage, der Biodiversitätsverlust, die Ernährungslage, die Verstädterung, der Trinkwassermangel und die Gesundheitsprobleme angeführt. Viele dieser Probleme wurden im Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, erstellt vom „Club of Rome“, im Jahr 1972 angesprochen. Er wollte die Menschen auf ihre nicht nachhaltige Beanspruchung der Lebensressourcen: Boden, Luft und Wasser  aufmerksam machen – leider ohne Erfolg. Wohl hat der technische Fortschritt einigen Hunderten Millionen Menschen einen unglaublichen Wohlstand beschert – diese haben jedoch in kurzer Zeit die in Jahrmillionen entstandenen fossilen Energieträger mit einem geringen Nutzungsgrad verbrannt und hinterlassen den zukünftigen Generationen eine schwere Hypothek. Nur die Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum mit Blick auf eine erhöhte Lebensqualität führt zu einem „anderen“ Wachstumspfad.

Angesichts der Erhöhung der Weltbevölkerung von heute 7,4 Milliarden auf 9 Milliarden Menschen im Jahr 2050, dem Verlust von landwirtschaftlichen Flächen durch die Erosion und die Wüstenbildung sowie der Verringerung von Waldflächen mit Blick auf die Bindung von CO2, steht die Menschheit einer Reihe von schier unlösbaren Problemen: die Bekämpfung des Hungers und die Migration, die zunehmenden Ressourcenkonflikte, der Klimawandel und der Umbau der Energieversorgung auf der mittelfristigen Zeitachse gegenüber. Sollen die angeführten Probleme einer tragfähigen Lösung zugeführt werden, dann bedarf es wohl des global politischen Willens, aber auch der Innovation & Forschung.

Hinsichtlich des Standortes der Europäischen Union in der kybernetischen Welt stellen Innovation & Forschung die Triebfedern des Umdenkprozesses dar. Die Europäische Kommission hat dies erkannt und sie unterstützt deshalb die Informations- & Kommunikationstechnologien, die intelligente erneuerbare Energieversorgung, die nachhaltige Verkehrsführung, die Nanotechnologie und die Biotechnologie. Diese Bereiche spannen das Pentagon der Vierten Industriellen Revolution dar. Der verringerte Verbrauch von Primärressourcen und die allumfassende Verwertung von Stoffen durch die Kreislaufwirtschaft stellen weitere Elemente dieser Politik dar, welche auf die verstärkte Verringerung der Treibhausgasemissionen abzielt. Hier gilt ohne Zweifel  das geflügelte Wort: „Nur wenn sich flexibel und schnell genug an die sich rasch ändernden Bedingungen anpasst, wird vom Wandel nicht überrollt!“

Bezüglich der erhöhten Energieeffizienz und der Nutzung der erneuerbaren Energien lassen die rezenten Aussagen der Internationalen Energieagentur (IEA) aufhorchen. Sie verlautbarte, dass der globale Energiebedarf um etwa 50 bis 70 Prozent bis zum Jahr 2030 gegenüber heute ansteigen wird. Es sind vor allem die aufstrebenden Schwellenländer u.a. Indien, China, Mexiko, Brasilien und Südafrika, die ihr Wirtschaftswachstum durch die fossilen Energieträger stützen. Die fossilen Energieträger werden mit 75 Prozent die Hauptlast des Energieverbrauchs in den kommenden 30 Jahren schultern. Die damit verbundenen erhöhten Treibhausgasemissionen, die Jahr um Jahr auf neue Rekordwerte klettern, verhindern jedoch den Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel. Die Tatsache, dass der Anteil der erneuerbaren Energien weltweit im Wachsen begriffen ist, lässt Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel aufkommen. In Bezug auf die intelligente nachhaltige Energieversorgung in der Europäischen Union hat der Prozess: „Weg von der zentralen hin zur dezentralen Energieversorgung auf Basis der erneuerbaren Energieträger“ begonnen. Die Wirtschaft schafft neue Produktions­möglichkeiten und Einkommensquellen in den Regionen.

Ein wichtiges Element der dezentralen Versorgung stellt die Datenübertragung per Lichtwellen dar und der Bau von intelligenten Gebäuden. Die Photovoltaikanlagen und die Parabolrinnen-Solarkraftwerke im MW-Bereich, die offshore-Windenergieparks mit Leistungswerten bis zu Hunderten MW sowie die Biomasseanlagen der 2. Generation stehen als Beweis an. Ich möchte die folgenden Bereiche ebenfalls erwähnen: die nachhaltige Landwirtschaft, die Meeresforschung sowie die Bioökonomie, das Rohstoffmanagement, die intelligenten Städte,  die Satelliten gestützten Telekommunikationsnetze, die Glasfaserdatenübertragung, die Biomedizin und die Nanoelektronik.

Ein weiterer Pfeiler der  Vierten industriellen Revolution stellen die intelligenten Kommunikations- & Informationstechnologien und die Automatisierung von Prozessen dar – sie wird einen Paradigmenwechsel im Industriebereich auslösen. Die bisherige klassische Produktionshierarchie mit ihrer zentralen Steuerung verlagert sich hin zur dezentralen Selbstorganisation. Die Systeme werden sich selbst überwachen und falls nötig regelnd eingreifen. Die intelligenten Produktionsstätten weisen eine höhere Produktivität aus, aber eine erhöhte Energie- & Ressourceneffizienz. Mittels der verteilten Intelligenz werden das Monitoring verbessert und die Entscheidungsprozesse autonomer, um so die Unternehmen in nahezu Echtzeit zu optimieren.

Das wichtigste Bindeglied für die realen Abläufe sowie die Optimierung stellen die virtuellen, cyberphysischen und leistungsfähigen Systeme (CPS)  in die unterschiedlichsten Prozessketten dar. Sie erlauben eine bessere Programmierbarkeit und weisen ein höheres Speichervermögen auf.

Der besondere Nutzen der vernetzten Produktion auf intelligenter Basis liegt in der Möglichkeit, die Kontinent umspannenden Geschäfts- und Logistikprozesse zu optimieren und sich im globalen Markt behaupten. Zusätzlich wird die Sicherheit der Fertigungsprozesse erhöht – in einigen Bereichen wurden bereits Energie- und Ressourceneinsparungen von 50 Prozent eingefahren.

Schlussgedanken

Die Politik muss den Mut aufbringen, neben dem Dienstleistungssektor einen lebendigen Standort für Wissenschaft, Forschung und Innovation in der Gesellschaft zu verankern.

Es wäre deshalb wünschenswert, wenn sich in Luxemburg weitreichende Forschungs- & Innovationsvorhaben in den Bereichen, Logistik, Satellitenkommunikation, Energieeffizienz, Biodiversität und Biotechnologie unter der Bezeichnung „Intelligente Industrie“ aufbauen würden, wohlwissend, dass die ersten Schritte bereits unternommen wurden. Es gilt weitere Strukturen zu schaffen, damit die zentralen Herausforderungen der Wissensgesellschaft umgesetzt werden können.

Die Erfolgsstory hin zur Vierten Industriellen Revolution kann aber nur dann gelingen, wenn genügend wissbegierige junge Menschen diesen Weg mitbeschreiten wollen – die das „Neue“ mit viel Engagement und Ausdauer angehen. Uns fehlen aber diese jungen Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker und Handwerker, um dieses kühne Unterfangen mit Erfolg anzugehen. Ohne deren kreative Köpfe werden wird wohl nur Staunen, mit welcher Vehemenz und welchem Tatendrang die anderen „global player“ sich immer größere Stücke aus dem Weltwirtschaftskuchen herausschneiden, wir hingegen die Brosamen aufsammeln.

Von der Universität Luxemburg muss man in diesem Zusammenhang erwarten, dass sie die vorhandenen Potenziale in der luxemburgischen Wirtschaft auslotet und die  weitreichende Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, den Industriepartnern, den mittelständischen Unternehmen im Land sowie in der Großregion vertieft. Wohlwissend, dass die Schnittstellen zwischen der Wissenschaft & Forschung, den Produktionsprozessen, der Kreislaufwirtschaft und den Dienstleistungsbereichen zunehmend verschwimmen, muss das vernetzte Denken zwischen der Politik, der Wirtschaft und den Menschen zur Chefsache erklärt werden.

Wenn die Wirtschafts- und die Gesellschaftspolitik eng zusammenwirken, dies im Dienst aller Mitbürger, dann wird der faszinierende Gestaltungsprozess erfolgreiche Formen annehmen.