Die Verstädterung des Planeten – ein multidimensionales Problem
Prof. Dr.-Ing. Marcel Oberweis
Die aktuelle Migration der Bewohner aus den ländlichen Gegenden hin zu den Städten in den Entwicklungsländern wird geprägt von der Aussage, welche lange Zeit in Europa ausgegeben wurde: „Stadtluft macht frei!“ Die Vereinten Nationen schätzen, dass derzeit täglich etwa 175.000 Menschen die heimatlichen Gefilde verlassen, um in den wuchernden Städten „ihr Glück“ zu finden. Als Ursache wird die starke Magnetwirkung der Städte auf ihr Hinterland angeführt, die ärmeren Menschen in den ländlichen Gegenden werden, genährt vom Gedanken an ein besseres Leben in den Städten scharenweise angelockt.
Bedingt durch die prekäre Lage haben viele Menschen in den ländlichen Gegenden der Schwellen- und Entwicklungsländer nur ein Ziel vor Augen – in die Städte wandern. Leider finden die allermeisten Menschen dieses Glück nicht, sie fristen ein mühseliges und karges Leben am Rand der Städte, in den Slums sowie in den Pappkartonhütten. Dort herrschen teilweise katastrophale Lebensbedingungen, es gibt weder sauberes Wasser noch sanitäre Einrichtungen und die elektrische Energie ist nicht vorhanden. Auch wenn sich ein Ausbildungsplatz resp. ein Arbeitsplatz in der Stadt finden mag, so sind die Zuwanderer des Öfteren mit den gigantischen Problemen u.a. Wohnungsnot, Luftverschmutzung und Seuchen konfrontiert.
Laut den Schätzungen der Vereinten Nationen lebten im Jahr 1990 etwa 700 Millionen Menschen in den Slums der Millionenstädte, etwas mehr als 13 Prozent der damaligen Weltbevölkerung. Während der Zeitspanne 2000 bis 2009 wuchs die Zahl der Bewohner von etwa 770 Millionen auf etwa 830 Millionen Menschen in den Elendsquartieren. Bis zum Jahr 2050 wird diese Zahl auf über zwei Milliarden wachsen – 21 Prozent der Weltbevölkerung. Mit tiefer Verbitterung schauen die Menschen der Elendsviertel auf diejenigen, welche in gut bewachten Ghettos im Reichtum schwelgen. Das Aufkommen von Gewalt, das Zusammenrotten von Banden und die Zunahme der Gewaltkriminalität lassen nur den Schluss zu – in den Megastädten tickt zurzeit eine unkontrollierbare Zeitbombe.
Daten der Weltbevölkerung, die zum Nachdenken anregen
Zur Zeit der Geburt Christi lebten, gemäß den Angaben der Vereinten Nationen, etwa 300 Millionen Menschen, vor 1000 Jahren etwa 320 Millionen und zu Beginn der Moderne etwa 500 Millionen Menschen. Mit der Nutzung der fossilen Energiequelle Kohle wuchs durch den aufkommenden technischen Fortschritt die Zahl der Menschen, sodass die erste Milliarde Menschen um das Jahr 1800 erreicht wurde. Lebten zu Beginn des 20 Jahrhunderts zwei Milliarden Menschen auf dem Planeten, so waren es deren sieben Milliarden im Jahr 2010. Die Vereinten Nationen schätzen, dass 9,5 Milliarden Menschen im Jahr 2050 auf der Erde leben werden.
Um die Menschheit auf die inhärenten Probleme mit dem Bevölkerungswachstum aufmerksam zu machen, wurde der Internationale Weltbevölkerungstag von den Vereinten Nationen ausgerufen, welcher jährlich am 11. Juli begangen wird. In diesem Jahr wurde auf die steigende Verstädterung auf weltweiter Ebene hingewiesen. Den rezenten statistischen Daten kann man entnehmen, dass derzeit etwa 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde leben und davon sind 54 Prozent in den Städten ansässig. Im Jahr 2050 werden es bereits zwei Drittel der Weltbevölkerung sein. Bis zum Jahr 2030, so die Aussagen der Vereinten Nationen, werden 64 Prozent in Asien und 56 Prozent in Afrika in den Städten leben, viele werden sich zu Megastädten entwickeln.
Es sei des Weiteren vermerkt, dass fast 90 Prozent des Wachstums der Weltbevölkerung, etwa 2,5 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050, in Afrika und Asien stattfinden. Es ist ebenfalls bezeichnend, dass das Durchschnittsalter der Menschen bei 27,6 Jahren im Jahr 2004 lag und sich auf 38 Jahren bis Mitte des laufenden Jahrhunderts erhöhen wird.
Die Megastädte u.a. Kairo, Mumbai, Lagos, New Delhi, Sao Paulo, Djakarta, Beijing, Shanghai und Mexiko-City sehen sich, angesichts der auf sie zuströmenden Menschenmassen, außerstande, die notwendigen Infrastrukturen bereitzustellen. Unter dem Begriff Megastadt versteht man dicht besiedelte städtische Zentren mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Es gibt bereits eine Reihe von Ballungsräumen u.a. Raum Tokio-Yokohama mit 38 Millionen, New Delhi mit 25 Millionen, Dhaka mit 17 Millionen und Mexiko-City mit 20 Millionen Einwohnern, die diese Zahl überschreiten. Gab es im Jahr 1900 nur 17 Millionenstädte weltweit, so sind es derzeit 430 und bis zum Jahr 2025 werden mehr als 25 Megastädte mit mehr als 20 Millionen Einwohnern gezählt. Als wirtschaftliche Knotenpunkte, politische Steuerungszentralen und Anziehungspunkte von Millionen Menschen wachsen die Megastädte zu mächtigen Akteuren heran. Sie entwickeln sich zu „global players“ und sie werden das Weltgeschehen bestimmen.
Für die Städteplaner, Soziologen, Geographen, Architekten und Ingenieure stellen sich gewaltige Probleme, für welche eine multidimensionale Lösung gesucht werden muss. Wie sollen denn die zukünftigen Städte und vor allem die Megastädte entworfen und gebaut werden, um eine ausreichende Lebensqualität für deren Bewohner zu gewährleisten. Auf welchen Energien soll die Versorgung beruhen und wie sollen die Wasser- und Abwasserentsorgung funktionieren? Woher sollen die vielen Arbeitsplätze kommen und wie sollen die Millionen Menschen transportiert werden? Die hohe Bevölkerungsdichte in den Megastädten ruft die unkontrollierte Flächenexpansion hervor, immer stärker „fressen“ sie sich in das Umland hinein. Wächst die Nahrungsmittelproduktion nicht parallel im Umland mit, so bleiben Verteilungskonflikte nicht aus und vor allem wird sich die Überbeanspruchung der Lebensressource Wasser als das Damoklesschwert erweisen. Ein weiteres Problem, mit dem sich die Megastädte schwer tun, stellt die Beseitigung der anfallenden Müllmengen dar. In den meisten Fällen stehen weder gesicherte Deponien noch adäquate Verbrennungsanlagen zur Verfügung, sodass der Abfall in den Slums liegen bleibt, resp. über die Abwasserkanäle in die Flüsse und das Meer gelangt.
Die sich verschärfenden Probleme und die Konzentration von Armut bergen demzufolge zahlreiche soziale, ökologische sowie wirtschaftliche Risiken; sodass die nachhaltige Entwicklung der Megastädte hinterfragt werden muss.
Wenn die Menschheit das Erreichen der Millenniumsziele ernst nimmt, dann müssen die gleichen Chancen für alle Menschen einfordert werden – ein zutiefst ethischer globaler Prozess. Die Städteentwicklung nachhaltige gestalten, stellt eine Maxime des Zusammenlebens dar und ist ein wichtiger Beitrag zur langfristigen Friedenssicherung.
Das Engagement aller Menschen auf dem Planeten ist hier eingefordert – hier möchte ich auf die Aussage von Immanuel Kant hinweisen: „Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben.“