Viele junge Menschen sind verunsichert, wenn sie zwischen ihren beruflichen Perspektiven und der Gründung einer Familie abwägen müssen.
Daher ist es äußerst wichtig, eine Politik zu gestalten, die größere Freiräume für Familien schafft. Daher ist es unerlässlich über die Bedürfnisse der Kinder und Eltern und über die Zukunft von „Familie“ in unserer Gesellschaft eine breite Diskussion zu führen.
Die meisten Frauen und Männer wollen Familie leben, ihr einen hohen Stellenwert und die notwendige Zeit einräumen. Sie wollen Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, der Gestaltung ihres Familienlebens und der Kindererziehung den Vorrang einzuräumen, ohne dass sie dadurch ihre berufliche Zukunft verbauen.
Unter diesem Gesichtspunkt kann sich Familienpolitik nicht auf die Frage beschränken, wie hoch das Kindergeld und sonstige familienpolitische Leistungen sind oder inwiefern es „technisch“ möglich ist, das Familienleben mit den Berufsanforderungen zu vereinbaren.
Moderne Gesellschafts- und Familienpolitik
Eltern haben ebenfalls das Recht auf Wahlfreiheit, d.h. ihre Kinder in eine Betreuungsstruktur zu geben oder dass einer der beiden Partner sich der Kinderbetreuung widmet.
Und nicht zuletzt sollte sich auch wieder verstärkt, um den Ausbau der betrieblichen Kinderbetreuung bemüht werden. Dieses Modell erlaubt es, den Eltern zu arbeiten und gleichzeitig in der Nähe ihrer Kinder zu sein.
Das Ziel darf nicht darin bestehen, das Familienleben arbeitsplatzgerecht zu machen, sondern, umgekehrt, die Arbeit familiengerecht zu organisieren. Arbeit und Beruf familiengerecht zu gestalten, bedeutet Freiräume zu schaffen, die das Familienleben braucht.
Der Kern einer wahrhaft modernen Gesellschafts- und Familienpolitik besteht darin, den Eltern die notwendige Zeit für ihre Kinder und die Ausübung der damit verbundenen Verantwortung zu geben. Eine moderne Gesellschafts- und Familienpolitik bemüht sich darum, die Erwartungen der Menschen, die Verantwortung für Kinder und Familie übernehmen, mit den Anforderungen der Arbeitswelt in Übereinstimmung zu bringen.
Erschwerend ist aber in diesem Zusammenhang, dass auch heute noch die Strukturen der Arbeitswelt in einem starken Maß auf Arbeitskräfte ausgerichtet sind, die keine familiären Verpflichtungen wahrnehmen müssen.
Neue Arbeitszeitkultur
Gefordert sind in diesem Zusammenhang die Sozialpartner und die Politik, die zusammen eine Charta über familiengerechte Arbeitszeiten ausarbeiten müssten, so wie dies in einer Reihe von EU-Staaten bereits der Fall ist. Es bedeutet konkret, die Arbeitszeit mit dem Rhythmus des Familienlebens zu harmonisieren und eine neue Arbeitszeitkultur zu entwerfen. Es gilt, das Instrument des Plan d’organisation du travail (POT) zu nutzen, welches das Gesetz längst vorsieht, wo sich aber die Sozialpartner bisher nicht auf eine Richtung einigen konnten. Eine andere Möglichkeit stellen Arbeitszeitkonten dar.
Des Weiteren müssten
- familienfreundliche Schichtmodelle geschaffen werden;
- der Wiedereinstieg nach einer Familienpause erleichtert werden
- die Lebensarbeitszeit so organisiert werden, dass sie besser mit den unterschiedlichen Bedürfnissen in den verschiedenen Lebens- und Familienphasen übereinstimmt.
Manche Betriebe haben verstanden, dass es Personal gibt, denen es nicht ausschließlich um die Entlohnung geht, sondern auch um Freiraum zur Gestaltung des Familienlebens. Was wir brauchen, ist ein neues und gestärktes Familienbewusstsein in der Gesellschaft und in den Betrieben.
Doch gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass das beste Arbeitszeitmodell zum Scheitern verurteilt ist, wenn die berufliche Karriere gebremst wird und Frau/Mann sich auf einem Abstellgleis wiederfinden. Deshalb muss bei den Überlegungen zu einer familienfreundlicheren Arbeitszeitorganisation ebenfalls intensiv über individuelle Aufstiegschancen diskutiert werden.
Wahlfreiheit
Es wird schließlich wichtig sein, die Wahlfreiheit der Familien zu gewährleisten. In diesem Sinn wurde in den 80er Jahren die Erziehungszulage geschaffen. Bei der Einführung des Elternurlaubs 1999 wurde bereits über die Abschaffung der Erziehungszulage diskutiert. Auch in den Reihen der Gambia-Koalition gibt es jetzt wieder Politiker, die sie abschaffen wollen. Die Erziehungszulage muss deshalb auf ein Neues verteidigt werden. Es ist nicht an der Politik und dem Staat darüber zu entscheiden, wie eine Familie ihr Leben gestalten will.
Familienpolitik muss es den Menschen erlauben, so zu leben, wie sie leben wollen. Es genügt daher auch nicht, so wie es die aktuelle Regierung macht, Änderungen bei den Familienzulagen anzukündigen und eine Gratis-Kinderbetreuung in den Raum zu stellen, ohne aber konkret zu sagen, wie die Änderungen aussehen, bzw. wie die Kinderbetreuung finanziert werden soll.
Besonders aber muss berücksichtigt werden, dass Familienpolitik auch über die Wohnungsbau- und die Steuerpolitik gestaltet wird.
Familienpolitisches Gesamtkonzept
Jede Neugestaltung bei den Familienzulagen muss sich somit in ein politisches Gesamtkonzept einfügen.
In einem neuen System, das nicht von oben herab dekretiert, sondern nur im Dialog erstellt werden kann, könnte beispielsweise das Kindergeld für das erste Kind erhöht, der gleiche Betrag für das zweite vorgesehen sein und eine Steigerung beim dritten Kind erfolgen.
Die „Prime de Rentrée scolaire“ könnte in Sachleistungen für Schulmaterial umgewandelt werden. Die Ausstattung mit Schreibmaterial, Farben und Heften in der Grundschule könnte von der öffentlichen Hand übernommen werden, während in den Sekundarschulen die Schulbücher bis zu einer bestimmten Höhe übernommen würden.
Es wäre ebenfalls sinnvoll, mit Blick auf die Finanzierung der familienpolitischen Aufgaben, ein Modell anzudenken, das ähnlich wäre wie die Pflegeversicherung und das darin bestehen würde, eine prozentual geringfügige Abgabe (unter einem Prozent) auf allen Einkommensarten zu erheben. Das macht umso mehr Sinn als die Kinder von heute die Beitragszahler von morgen sind und mit ihren Sozialbeiträgen zur Altersversorgung beitragen.
In Punkto Arbeitszeitorganisation ist es wiederrum der Vorschlag, einen Familientisch zusammenzurufen, wo Sozialpartner, Jugend- und Familienverbände sowie der Staat gemeinsam tragfähige Modelle ausarbeiten.
Familien brauchen Freiraum. Es ist die Aufgabe der Politik, diese Freiräume zu schaffen. Nicht durch Stückwerk in den einzelnen Ressorts, sondern durch einen entschlossenen ressortübergreifenden Ansatz, der von A wie Arbeitszeitgestaltung bis W wie Wohnungsbaupolitik reicht und alle Initiativen weitsichtig verzahnt.
Marc Spautz
Abgeordneter und Parteipräsident
Marc Spautz sprach auf der Generalversammlung der Action familiale et populaire (AFP) am 16. Juni 2014 zur Familienpolitik. Auf www.marc-spautz.lu findet sich der vollständige Text seiner Grundsatzrede zur Familienpolitik. |