Vernetzte Landesplanung – ein Element der Nachhaltigkeit

Prof. Dr.- Ing. Marcel Oberweis

Die Nachhaltigkeit in der Raumbesiedlung liefert den Stoff, aus dem wir zukünftig die Städte und Dörfer bauen, die Landschaften aufwerten, die Energie dezentral herstellen und die Biodiversität schützen, dies unter Berücksichtigung von verkehrstechnischen Aspekten. Es geht um die Verwirklichung eines Konzepts, mittels welchem wir die unterschiedlichen Bereiche Wohnen, Arbeiten, Bildung, Freizeitgestaltung und Versorgung optimal zusammenführen werden.

Die Urbanisierung in der Europäischen Union ist sehr weit fortgeschritten, wohnen hier bereits 75 Prozent der Bevölkerung in den Städten und den sie umgebenden Räumen – die Städte bilden die Kristallisationspunkte der europäischen Integration.

Heute lebt schon mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in einer Stadt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es noch 10 Prozent und bis zum Jahr 2030 dürfte sich der Anteil auf 60 Prozent erhöhen – die Verstädterung ist unumkehrbar. Die chinesische Stadt Chongqing, die größte Metropolregion der Welt, weist rund 32 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 82.403 km2 aus. Hunderte Millionen Menschen werden in den Ballungsgebieten leben, der Schwerpunkt wird sich von den bisher führenden Metropolen New York, London, und Tokio zu den Metropolen der aufstrebenden Schwellenländer, u.a. in die Städte Kairo, Mexico-City, Rio de Janeiro, Lagos, Djakarta und Beijing, verschieben.

75 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und 80 Prozent der von den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen werden in den urbanen Zentren verursacht. Das Mikroklima in den städtischen Gebieten wandelt sich zusehends und die Temperaturen werden sich in den Stadtzentren weiter erhöhen. Aufgrund der aktuellen Städteplanung mit ihren Häuserschluchten wird die Luft immer weniger zirkulieren und die warmen Luftmassen führen zu einer „Vertrocknung“. Und die Biodiversität verringert sich zusehends durch die Versiegelung der Landschaften und das krakenhafte Ausbreiten der Städte in den ländlichen Raum hinein. Laut den vorliegenden Studien wird die Globalstrahlung der Städte durch die Schadgase und Aerosole um bis 20 Prozent verringert.

Durch die fortschreitende Oberflächenversiegelung und den geringeren Grünflächenanteil der Städte wird die Verdunstung reduziert, dies bewirkt eine Erhöhung der Temperatur in den Städten. Die erhöhte Wärmespeicherung in den Gebäuden und den Straßen bedingt eine langsame Wärmeabgabe während den Nachtstunden. Die Städte und die Ballungszentren spielen deshalb eine immer größere Schlüsselrolle im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität; neben diesen Einflüssen gesellt sich noch der Lärm. Ein Element von hoher Wichtigkeit stellt demzufolge die nachhaltige Entwicklung dar, mittels welcher die „richtige“ Lebensart gefunden werden kann.

Angesichts dieses Tatbestandes besteht unsere Aufgabe darin, umweltfreundliche Städte zu schaffen. Wir müssen auf die Verringerung des Einsatzes von Rohstoffen setzen, saubere Verkehrsmittel einbringen, energieeffiziente Gebäude bauen und die drei Lebensressourcen auf das Sorgsamste schonen. Vor allem muss Sorge getragen werden, dass vermehrt Grünflächen in den Städten angelegt werden, da diese den Städten ein Mehr an Lebensqualität geben.

Die grünen Freiräume fördern die sozialen Kontakte, sie erlauben die Schaffung des nötigen öffentlichen Raumes und erleichtern es den Menschen, das Fahrrad und die eigenen Füße zu benutzen. Außerdem erlauben die Grünflächen, den ländlichen Raum nachhaltig mit den Städten zu verbinden.

Ein wichtiger Aspekt der Beruhigung und der Erhöhung der städtischen Lebensqualität stellt die Neuausrichtung des Verkehrs dar. Durch die Einführung von Mautgebühren wird der Zugang zu den Städten finanziell uninteressant, so dass die Pendler auf die sanfte Mobilität zurückgreifen – das Elektromobil wird eine Paraderolle übernehmen. Durch die neue Mobilitätskultur zwischen dem Fahrrad, dem Elektromobil und dem öffentlichen Verkehr wird die Benutzung des Straßenraumes neu ausgerichtet. Im Umkehrschluss verringert sich der Pkw-Verkehr in den Städten und es können Parkplatzflächen an die Menschen zurückgegeben werden.

Viele Metropolen stellen sich heute bereits dieser Verantwortung und haben unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern, u.a. Stockholm, Kopenhagen, Hamburg, Melbourne und Nantes.

Die Leipzig-Charta – neuer Leitfaden hin zur nachhaltigen Stadt

Mit der Leipzig-Charta, welche anlässlich eines informellen EU-Ministertreffens in Leipzig am 24. und 25. Mai 2007 unterschrieben wurde, werden die Grundlagen für eine neue Städtepolitik in der Europäischen Union neu formuliert. Die Charta empfiehlt, dass Wohnen, Arbeiten und Freizeit in den Städten wieder stärker vermischt werden. In den europäischen Städten müssen die bisherigen isolierten Interessen, u.a. der Verkehr, das Wohnen, das Wirtschaften sowie die Freizeit, zusammengeführt werden.1)

Es muss stärker auf die soziale und kulturelle Integration hingewirkt werden. Demzufolge wird die bürgerintegrierte Stadtentwicklungsplanung im Mittelpunkt stehen, denn nur so können die Menschen und ihre Aktivitäten wieder lebhaft in die Innenstädte geholt werden. Darüber hinaus wird ein wichtiger Beitrag in Richtung von mehr Klimaschutz durch weniger Stadtverkehr und weniger Flächenversiegelung geleistet.

Die nachhaltige Entwicklung muss als ein generationsübergreifendes „Projekt“ zur Suche nach der richtigen Lebensart angesehen werden. Diese Aufgabe können wir jedoch nur lösen, wenn wir uns bequemen, neue Pfade zu betreten, sie muss derart ausgestaltet werden, dass wir die Auswirkungen auf die Lebensqualität der kommenden Generationen im Blick haben; die kurzfristigen und egoistischen Einzelinteressen haben ausgedient. Außerdem sind es nicht nur die wirtschaftlichen Zwänge, u.a. die steigenden Energiepreise sowie die wachsende Energieabhängigkeit, die uns zwingen, neue Wege bezüglich der Energieversorgung und der Besiedlung des Raumes aufzusuchen.

In Anbetracht der weltweit steigenden Treibhausgasemissionen – die Europäische Union trägt weniger als 12 Prozent dazu bei – muss die Politik einerseits dem Verkehr und andererseits dem Energieverbrauch in den Gebäuden und Häusern eine hohe Bedeutung beimessen. Das Umdenken beim Mobilitätsverhalten hat zum Ziel, weniger und kürzere Wege umweltverträglicher zurückzulegen. Das Zufußgehen und das Radfahren sowie ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr sind die Kernelemente dieser neuen Mobilität.

Die zukunftsorientierte Ausrichtung der Mobilität ist ohne das Radfahren in den Städten sowie dem Umland nicht mehr denkbar, zusätzlich fällt dem Car-sharing eine wachsende Bedeutung zu. Das elektrisch unterstützte Fahrrad wird dieses Verhalten revolutionieren, können doch mit ihm größere Distanzen zurückgelegt werden, dies auch in topographisch anspruchsvolleren Städten und Gegenden.

Neben der Verringerung des Energieverbrauchs in den Haushalten und im Verkehr werden wir uns demzufolge eine neue Kultur „Bauen & Wohnen sowie Mobilität“ aneignen müssen. Gefordert sind hier die Raumplaner, die Planer und die Bauherren. Ein wichtiger Partner in diesem Umdenkprozess sind ohne Zweifel die Architekten, sie werden einen entscheidenden Einfluss auf die Konzeption in den Bereichen Raumbesiedlung, Stadtplanung, solare Gebäudegestaltung, effizienter Energieverbrauch und Verwendung von einheimischen Baumaterialien nehmen.

Die Nachhaltigkeit in der Raumbesiedlung liefert den Stoff, aus dem wir unsere Städte und Dörfer bauen, die Landschaften aufwerten und die Biodiversität schützen werden. Die Politik ist gefordert, die Belange der Verkehrserschließung und -besänftigung sowie der Raumbesiedlung aufeinander abzustimmen, und dies unter Berücksichtigung von siedlungsbezogenen, verkehrstechnischen und umweltschützerischen Aspekten. 2)

Die zukünftigen kommunalen Bebauungspläne werden neue Siedlungsflächen für Wohnungen und für Unternehmen ausweisen, zusätzlich werden neue Verkehrsinfrastrukturen, u.a. Umgehungsstraßen ausgewiesen. Die sektoriellen Pläne werden dieses Vorhaben noch verfeinern, so dass ein Gesamtkonzept – die unterschiedlichen Bereiche Siedlungen, Unternehmen und Arbeitsplätze, Bildung und Forschung, Freizeitgestaltung und Versorgung optimal vernetzend – erarbeitet werden kann.

Das Konzept der Nachhaltigkeit verlangt von den Architekten den Einsatz von intelligenter Technik und innovativen Konstruktionen sowie umweltverträglichen Baumaterialien. Zusätzlich werden wir der umweltbezogenen Energiebelieferung einen hohen Stellenwert einräumen, dies insbesondere durch den Einsatz der aktiven und der passiven Solarnutzung in den Gebäuden und Häusern. Die Plusenergiesiedlungen, in denen mehr Energie bereitgestellt als deren verbraucht wird, stellen weitere Elemente der Nachhaltigkeit dar.

Dieses gewagte Vorhaben macht deshalb Sinn, weil die Verknappung der fossilen Energieträger durch die weltweit steigende Nachfrage erkennbar ist. Die nachhaltige Mobilität muss deshalb verstärkt in den Industrie- und Schwellenländern ansetzen. Es leuchtet ein, dass die individuelle Mobilität stetig prekärer wird, bedingt durch die anspruchsvolleren Grenzwerte für die Emissionen und Immissionen, sowie die immer knapper werdenden Flächen für Straßen.

Luxemburg muss sich in diesen Prozess einbringen

Eingedenk der Herausforderungen und der sich bietenden Chancen hinsichtlich der historischen, wirtschaftlichen, ökologischen, technischen und sozialen Hintergründe benötigen wir eine durchdachte Strategie für die Stadtentwicklung, das Umland begreifend.

Da der sparsame Umgang mit der Ressource Boden in Luxemburg ein wichtiges Element in der Raumplanung und der Stadt- & Dorfentwicklung darstellt, muss die Planung so gestaltet werden, dass die ausgewiesenen Siedlungsflächen in den Gemeinden optimal genutzt werden können. Dem aktuellen Landverbrauch von 1,3 ha pro Tag, in den meisten Fällen Ackerland und Wiesen, muss umgehend Einhalt geboten werden.

Es sei außerdem hervorgehoben, dass die sozial schwächere Bevölkerung oft in städtischen Bereichen mit hoher Umweltbelastung und wenig Grünflächen wohnt, d.h. ihre Lebensqualität ist geringer. Da die bestehenden Umweltprobleme nur durch hohe Investitionen behoben werden können, kommen die Städteplaner nicht umhin, die ökologischen, die sozialen und die wirtschaftlichen Bereiche zu vernetzen – ein strategisches Handlungsfeld.

Außerdem bedarf es dem Einsatz von intelligenten Technologien und von innovativen Bauweisen mit heimischen umweltverträglichen Baustoffen. Zusätzlich soll neben der Siedlungsplanung auch dem Verkehr ein hohes Augenmaß gewidmet werden. Wir werden vom „harten Verkehr“ Abschied nehmen und uns immer stärker der „sanften Mobilität“ zuwenden müssen; in den Städten und Dörfern wird dem Fußgänger und dem Radfahrer die nötige Priorität eingeräumt.

Die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien, den Raumgestaltern, den Landschaftsarchitekten, den Ingenieurbüros und den Stadtplanern sowie den Gemeinden wird die gewünschte Lebensqualität liefern. Es bedarf nunmehr des vernetzten Leitbildes, welches sich an den drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung orientiert.

Schlussgedanken

Die nachhaltige Entwicklung für den städtischen Bereich und der Schutz des ländlichen Raumes können nur Erfolg haben, wenn die unterschiedlichen Dimensionen sozial, wirtschaftlich, ökologisch sowie kulturell so verzahnt werden, dass die natürlichen Ressourcen nicht überstrapaziert werden. Ein wichtiges Instrument stellt die Suffizienzstrategie dar, mittels welcher erkannt wird, dass wir auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen leben; wir müssen die Grenzen unserer Belastungen anerkennen.

Die Stadtentwicklung muss sich deshalb an den unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzungsansprüchen ausrichten, gilt es doch einzelne Interessen abzuwägen und sie zu einem zukunftsfähigen Ausgleich zu führen. Es kann nicht angehen, die vorhandenen Natur- und Landschaftsräume durch die wachsende Zersiedlung zu zerstören. Die Stadtplaner und die Urbanisten sind hier gefordert, die bauliche Verdichtung zu optimieren und den Übergang von der Stadt in den ländlichen Raum optimal zu gestalten.

Diesen Paradigmenwechsel werden wird jedoch nur erreichen, wenn erkannt wird, dass die nachhaltige Stadtentwicklung gemäß der Leipzig-Charta aus umweltpolitischer Perspektive als eine Zusammenführung von Klimaschutz, sanftem Verkehr, Ressourceneffizienz, Luftreinhaltepolitik, Lärmverringerung und Raumgestaltung verstanden wird. Der ganzheitliche Ansatz, welche mehrere Bereiche der Stadtentwicklung umfasst u.a. den Wohnungsbau, die Stadtplanung, den Verkehr, die Einkaufsmöglichkeiten, die schulischen und kulturellen Einrichtungen, das Sozialwesen, den Sport, die Freizeit, die Biodiversität, die Energie- und Wasserversorgungen, die Einbindung des ländlichen Raumes sowie den Umweltschutz, steht hier im Mittelpunkt.

Die Politik aus der Sichtweise des Staates zusammen mit den Gemeinden verlangt nach einem Leitbild, welches den einzelnen Akteuren den Weg hin zur nachhaltigen kooperativen und ressourceneffizienten Städteentwicklung zeigt inklusiv der optimierten Kreislaufwirtschaft. Ausgehend von „best practice“-Beispielen eröffnet die nachhaltige Transformation der Städte mitsamt ihrem Umland definierte Entwicklungsmöglichkeiten, diese sollen wir nutzen zum Wohl unserer BürgerInnen.

Literarturhinweise:

1)              http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/34480/publicationFile/518/leipzig-charta-zur-nachhaltigen-europaeischen-stadt-angenommen-am-24-mai-2007.pdf

2)                     Das Projekt nachhaltige – Umwelt 5/2013 – BMU