Europäische Union: Die Nutzung der Offshore-Windenergie
Dr.-Ing. Marcel Oberweis
Die Energieversorgung, bisher zu hohen Anteilen auf den fossilen und atomaren Energieträgern beruhend, wird angesichts der Klimadiskussion mitsamt ihren schleichenden negativen Folgen für Mensch und Umwelt einer wachsenden kritischen Bewertung unterzogen. Für die Europäische Union stellt sich die Frage der sicheren und nachhaltigen Versorgung mit relativ kostengünstigen Energieträgern in einem verstärkten Maß, weist sie doch eine ständig steigende Energieabhängigkeit auf, die mittelweile mehr als 70 Prozent beträgt. Sie muss sich deshalb intensiv mit der Erhöhung der Energieeffizienz sowie der Nutzung der heimischen erneuerbaren Energien beschäftigen. Die EU-Mitgliedstaaten haben ebenfalls die Verringerung der CO2-Emissionen um mindestens 20 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 vorgesehen, dies im Sinn der geforderten kohlenstoffarmen Gesellschaft. Die Internationale Energieagentur hat diesbezüglich verlautbart, dass sich der weltweite Energieverbrauch ohne grundlegenden Wandel um 40 Prozent bis 2030 erhöhen wird. Als Folge der ungebremsten Verbrennung von fossilen Energieträgern wird die Atmosphäre mit schädlichen Treibhausgasen auf das Äußerste strapaziert, im vergangenen Jahr wurden mehr als 33 Milliarden t CO2 eingebracht. China ist für 28 Prozent, die Vereinigten Staaten von Amerika für 16 Prozent und die Europäische Union nur noch für 11 Prozent verantwortlich.
Um ihre wirtschaftliche Rolle behalten resp. ausbauen zu können, muss die Europäische Union demzufolge ihre Energieversorgung auf sichere Standbeine stellen. Neben der großflächigen Nutzung der Sonnenenergie durch die Parabolrinnensolarkraftwerke und der Biomasse auf Hundertausenden nicht genutzter Flächen bietet sich die Windenergie im offshore-Bereich zur Produktion von elektrischer Energie an.
Die Windenergie auf dem Meer ernten
Die elektrische Leistung hinsichtlich der Nutzung der Windenergie in der Europäischen Union wird auf etwa 75.000 MW geschätzt und könnte sich auf etwa 230.000 MW – Horizont 2020 – erhöhen. Davon stehen rund 80 Prozent in den onshore-Windparks und die restlichen 20 Prozent in den offshore-Windparks zur Verfügung. Um die produzierten Energiemengen sinnvoll an die Verbraucher zu transportieren, bedarf es einer umfassenden Logistik von Übertragungskapazitäten. Die Europäische Union sieht in der Verwirklichung dieses ambitiösen Versorgungssystems ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel.
Damit die Windenergie im offshore-Bereich genutzt werden kann, haben die Benelux-Staaten, Deutschland und Frankreich das Pentalaterale Energieforum am 6. Juli 2007 unterzeichnet, gemäß welchem es zu einem optimierten Stromverbund mit hoher Versorgungssicherheit in Nordwesteuropa kommen soll. Die Vorarbeiten hatten im Jahr 2005 begonnen. Diesem Forum schlossen sich Österreich, die Schweiz, das Vereinigte Königreich und Norwegen an. Weiterhin haben Irland, Dänemark und Schweden ihr Interesse an der Energieversorgungszusammenarbeit kundgetan. Am 7. Dezember 2009 wurde ein weiterer Schritt hinsichtlich der nachhaltigen Energieversorgung unternommen – Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, die Niederlande und Schweden haben die Nordsee-Offshore-Initiative (North Seas Countries’ Offshore Grid Initiative) geschaffen, zu welcher auch Norwegen mittlerweile beitrat.
Der Hintergrund für diese Aktivitäten sind die Unterstützung der Wirtschaft, die Beschleunigung des Ausbaues zur Nutzung der offshore-Windenergie, die Erhöhung der Versorgungssicherheit, die Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen, der Ausbau der Innovations- und Forschungsaktivitäten sowie die Abfederung der wetterbedingten Schwankungen in der Erzeugung der erneuerbaren elektrischen Energie. Erste Schätzungen hinsichtlich der Finanzierung sprechen von einem Investitionsschub von 30 Milliarden Euro in den kommenden Jahren. Dies wird die Europäische Union näher an die Verwirklichung des europäischen Energiebinnenmarkts bringen.
Dass die Idee kein Papiertiger geblieben ist, beweisen die errichteten Windenergieparks küstennah in Belgien, in den Niederlanden, im Vereinigten Königreich, in Dänemark und in Deutschland. Das bislang nutzbare Potenzial der Windparks weist 32.000 MW aus. Der erste deutsche Windpark „Bard offshore 1“ mit 400 MW elektrische Leistung wurde im Jahr 2010 aktiv und weitere sind in der Planung oder im Einsatz. Im Vereinigten Königreich sollen etwa 5.000 offshore-Windenergieanlagen bis zum Jahr 2020 installiert werden. Die „Dogger Bank“ liegt etwa 125 bis 195 km vor der Küste der ostenglischen Grafschaft Yorkshire. Hier werden 9.000 MW installiert, um später auf 13.000 MW erhöht zu werden. Vor der Küste Belgiens werden die Windenergieparks „Belwind“ und „Thornton Bank“ mit mehr als 600 MW errichtet und sind z.T. in Betrieb. Allein für die zweitgenannte Anlage wurden 1,3 Milliarden Euro investiert. In den Niederlanden sollen bis zu Jahr 2020 offshore-Windenergieanlagen mit einer elektrischen Leistung von 6.000 MW errichtet werden.
Erfolge auf breiter Basis
Gemäß den Angaben der „European Wind Energy Association“ (EWEA) wurden 3.820 MW offshore-Leistung im Jahr 2011 in der Europäischen Union errichtet, im Jahr 2012 weitere 1.166 MW, im Jahr 2013 weitere 1.400 MW und im Jahr 2014 zusätzlich 1.900 MW errichtet. Bis zum Jahr 2020 soll das 30 bis 40-fache und bis zum Jahr 2030 sogar das 100-fache der bisherigen Leistung errichtet werden. Bedingt durch Forschung & Innovation sowie des technischen Fortschrittes wurde die elektrische Einheitsleistung von einigen 100 kW in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf mehrere MW erhöht. Mittlerweile werden Windenergieanlagen mit 6 und 7 MW im offshore-Bereich installiert und die Experten sprechen bereits von Anlagen mit 10 MW. Wohl steigen die Investitionskosten für die Anlage, die Kosten für die erzeugte elektrische Energie verringern sich zusehends – eine Windenergieanlage mit 5 MW liefert 22,3 Millionen kWh im Jahr und vermindert die CO2-Emission von 13,4 Millionen kg CO2.
Während heute überwiegend die Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke die elektrische Energie nahe bei den Verbrauchern erzeugen, wird u.a. die Windenergie vom Meer zuerst an die Küsten gebracht werden. Diese großen Mengen an elektrischer Energie müssen über lange Strecken transportiert werden, wobei die Übertragung mit Drehstrom an ihre Grenzen stößt. Man muss auf die Hochspannungs-Gleichstromübertragung zurückgreifen. Zusätzlich liefern, bedingt durch die Liberalisierung der Energieversorgung, immer mehr dezentrale Produktionseinheiten mit einer geringen elektrischen Leistung ihre Energie in das Versorgungsnetz. Als Konsequenz der Einspeisung der fluktuierenden erneuerbaren Energien muss sich die Energiewirtschaft neu aufstellen. Durch die Vorrangeinspeisung der „elektrischen Windenergie“ müssen vor allem die effizienten umweltfreundlichen Erdgaskraftwerke zeitweise vom Netz geschaltet werden. Mittlerweile werden neue Kraftwerke eingemottet, sodass den Eigentümern hohe Verluste entstehen. Wenn das vernetzte System aus wachsendem Anteil erneuerbaren Energien und fossilen Kraftwerken versorgungsmäβig optimal funktionieren soll, dann sind jedoch die modernen „fossilen“ Kraftwerke noch für längere Zeit unerlässlich. Durch ausgeklügelte Algorithmen müssen die Erzeuger, die Verbraucher und die Speicher im intelligenten Netz frequenzgerecht und sicherheitstechnisch verbunden werden. Um den angestrebten Umbau der Energieversorgung zu erreichen, sind Investitionen in Höhe von 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 nötig.
Da die Speicherung der fluktuierenden elektrischen Energie, gewonnen in den offshore-Gebieten, eine wichtige Angelegenheit für die sichere Energieversorgung darstellt, hat sich Luxemburg bereit erklärt, die elektrische Leistung des Pumpspeicherkraftwerks Vianden von 1.100 MW um eine Pumpturbineneinheit mit 200 MW zu erhöhen. Die überschüssige elektrische Energie wird nach Vianden geliefert und bei Bedarf von elektrischer Spitzenleistung wieder in das Verbundnetz rückgespeist – die Stromveredelung steht an. Neben der Speicherung der überschüssigen elektrischen Energie, erzeugt aus der offshore-Windenergie, fällt der sich aufbauenden Elektromobilflotte eine wachsende Rolle zu. Die Elektromobile sollen die elektrische Energie in ihren Lithium-Ionen-Akkumulatoren eine gewisse Zeit speichern, diese Energie wird dann bei Bedarf im Versorgungsnetz wieder bereitgestellt.
Es soll jedoch auch auf die Akzeptanz der offshore-Windenergieanlagen hingewiesen werden. Sie erhöht sich laut den Umfragen, je weiter diese von der Küste entfernt stehen. In Deutschland müssen sie „hinter dem Horizont verschwinden“, im Vereinigten Königreich stehen sie bisweilen nur wenige km in 10 bis 15 m tiefen Meereswasser. Es muss jedoch auch der Meeresbiodiversität hohe Beachtung geschenkt werden. Außerdem erschließt die Energieerzeugung auf hoher See neue Perspektiven für die Wirtschaft, vor allem werden dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen. Die Europäische Union rechnet mit etwa 170.000 bis 200.000 neuen Arbeitsplätze im Bereich der Offshore-Windenergienutzung. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die auf Kirchberg beheimatete Europäische Investitionsbank EIB sich an den unterschiedlichen offshore-Windenergieprojekten beteiligt, dies beweist ihre nachhaltige Weitsicht bezüglich der sicheren Energieversorgung. So finanziert sie den größten Windenergiepark der Ostsee – EnBW Baltic 2 – mit 500 Millionen Euro.
Schlussfolgerungen
Die Europäische Union hat die Gefahren der wachsenden Energieabhängigkeit und des Klimawandels eindeutig erkannt, die Energieversorgung entwickelt sich zur Achillesferse der EU-Wirtschaft. Sie hat sich dem Ziel verschrieben, ihre Energieversorgung, bisher beruhend auf den fossilen und atomaren Energieträgern zu verändern und den Anteil der erneuerbaren Energiequellen stetig zu erhöhen. Das ausgemachte Ziel der EU, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 resp. 30 Prozent bis zum Jahr 2020 resp. 2030 zu erhöhen, beweist ihr Umweltengagement.
Dass sie richtig liegt, zeigt das UN-Umweltprogramm, laut welchem die weltweiten Investitionen zur Nutzung der erneuerbaren Energien im Jahr 2012 auf 84 Milliarden Euro angestiegen sind – die Welt bewegt sich auf dem nachhaltigen Entwicklungsweg. Die UN-Experten gehen des Weiteren davon aus, dass der Boom zur „grünen“ Energieversorgung weiter anhalten wird, denn die Schwellenländer China und Indien setzen nunmehr auch auf die erneuerbaren Energieträger. Die Menschheit tut gut daran, die Umwelttechnologien in einem vermehrten Maß einzusetzen, sonst wird 2 Grad C Grenze überschritten – die Gefahren für die Menschen und den Planeten könnten dann außer Kontrolle geraten.