Die Europäische Union: die Millennium-Entwicklungsziele 2015 im Fokus

Die Europäische Union: die Millennium-Entwicklungsziele 2015 im Fokus

Dr.-Ing. Marcel Oberweis

Die 55. Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte acht Millennium-Entwicklungsziele im September 2000 definiert und ihre Verwirklichung für das Jahr 2015 angepeilt.  DieStaats- und Regierungschefs einigten sich auf einen Maßnahmenkatalog mit konkreten Zielen, vor allem sollte die Armut bis zu diesem Datum halbiert werden. Angesichts der Tatsache, dass zu jener Zeit über eine Milliarde Menschen in extremer Armut lebten, mehr als 700 Millionen Menschen unterernährt waren, über eine Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehrt war und zwei Milliarden Menschen keine Möglichkeit hatten, sanitäre Anlagen zu nutzen, beschreibt zur Genüge die Ursachen für diesen mutigen Schritt.

Die acht Entwicklungsziele sind: die extreme Armut und den Hunger beseitigen, die allgemeine Grundschulbildung verwirklichen, die Gleichstellung der Geschlechter fördern und die Rolle der Frauen stärken, die Kindersterblichkeit senken, die Verbesserung der Gesundheit von Müttern, HIV, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen, die ökologische Nachhaltigkeit sichern und die Entwicklungspartnerschaft aufbauen. Es leuchtet ein, dass die Menschen in den Entwicklungsländern in diesen Prozess eingebunden werden müssen, wenn diese Ziele erreicht werden sollen.

Es verbleiben wohl noch einige Monate bis zur Zielmarke 2015, leider muss sich die Weltgemeinschaft bereits heute eingestehen, dass nur wenige der acht Millennium-Entwicklungsziele erreicht werden, dies in Anbetracht der Tatsache, dass es sich letztendlich um die Berücksichtigung der Menschenrechte handelt, die für jeden Erdenbürger gelten. Aus heutiger Sicht muss man erkennen, dass damals weder der Aufbau von demokratischen Strukturen, noch gute Regierungsführung sowie der Wunsch nach Frieden auf der Agenda standen.

Nur zaghafte Fortschritte sind zu verzeichnen und Roberto Bissio, Koordinator des internationalen Netzwerks Social Watch, meint diesbezüglich: „Der große Defekt der Millenniumsziele war, dass vor lauter Konzentration auf die Armutsbekämpfung die große Konzentration von Reichtum in den vergangenen 15 Jahren vernachlässigt wurde. Die Um­setzung auf na­tiona­ler Ebene war schwie­rig, denn die Aus­gangs­situa­tion war von Land zu Land unterschiedlich und insbesondere die am wenigsten ent­wickel­ten Länder taten sich schwer mit der Umsetzung und der Erreichung der Ziele, vielfach waren die finanziellen Mittel und die menschlichen Ressourcen nicht vorhanden.“

Die sozialen Unterschiede haben sich durch die aktuellen Wirtschaft- & Finanzkrisen  weiter verschärft und die prekäre Ernährungslage der vergangenen Jahre führte zu weltweiten Spannungen. Die Frage muss demzufolge gestellt werden: „Wie kann die Welt die Existenz von 1226 Euro-Milliardären im Jahr 2012 tolerieren, die über ein Vermögen von insgesamt 3.500 Milliarden Euroverfügen, dies angesichts der Existenz von 1,3 Milliarden Menschen, die in extremer Armut leben?“

Noch gravierender ist die Tatsache, dass 5 weltweit agierende Konzerne 75 Prozent des weltweiten Getreidemarktes kontrollieren und so über das Wohl von Hunderten Millionen Menschen Einfluss nehmen können. Durch den „Landgrabbing“ in den am wenigsten entwickelten Ländern werden riesige Landflächen aufgekauft resp. gepachtet werden, um dort Lebensmittel zu erzeugen, welche der einheimischen Bevölkerung vorenthalten, jedoch in die Industrie- und Schwellenländer exportiert werden. Die Schätzungen sprechen von mehr als 100 Millionen ha Landfläche im Jahr 2010 mit steigender Tendenz. Es sei daran erinnert, dass drei von vier Afrikanern noch immer von den Erträgen ihrer Felder leben. Angesichts der komplizierten Landrechte  und der undurchsichtigen Verpachtungspraxis in vielen Ländern Afrikas entwickelt sich der Kampf um ertragreiche Agrarflächen zu einem Konfliktstoff der kommenden Jahrzehnte, der möglicherweise den gesamten Globus in den Abgrund reißen kann.

Konferenzen mit hoher Aussagekraft für das zukünftige friedliche Zusammenlaben

Die vorliegenden Zahlen zur Entwicklung der Weltbevölkerung weisen ein stetiges Wachsen aus, von derzeit 7,3 Milliarden auf 9,6 Milliarden Menschen im Jahr 2050. Leider sinken die Geburtsraten weniger stark, als bisher von den Vereinten Nationen angenommen. Die Weltbevölkerung wächst vor allem in den Entwicklungsländern, man erwartet ein Anschwellen in Afrika von derzeit 1,1 Milliarden Menschen auf etwa 4,2 Milliarden Bewohner im Jahr 2100. Auch wenn diese Zahl gewagt ist, so beschreibt sie die Misere – denn wir soll der afrikanische Kontinent, der am meisten unter dem Klimawandel leidet, diese Menschen ernähren?

Nur durch eine erhöhte Demokratie, eine adäquate Bildung der Frauen, einer verbesserten einheimischen Landwirtschaft, einer ausreichenden Straßeninfrastruktur und einer dezentralen Energieversorgung im ländlichen Raum können diese Probleme mit „Sprengkraft“ gelöst werden. Da empirisch belegt ist, dass die Kinderzahl in der Familie mit zunehmendem Wohlstand geringer wird, fällt der Erhöhung der herrschenden  Lebensbedingungen eine überaus wichtige Rolle zu.  Sind wir uns bewusst, dass es weltweit immer noch 760 Millionen Jugend­liche und Er­wach­sene gibt, die nicht lesen und schrei­ben können, davon fast zwei Drit­tel Frauen? Aus eigener Erfahrung vor Ort, durch meine Aktivitäten in NGOs, gilt für mich, dass „Menschen den Zugang zur Bildung verwehren, bedeutet, ihnen ein elementares Menschenrecht vorenthalten“. Nicht umsonst wurde die Förderung der Bildung zu einem inter­nationalen Entwicklungsziel auserkoren.

Der rezenten OCDE-Studie zufolge müssten sich die Ernten bis zu diesem Jahr verdoppeln, leider haben wir einen Rückgang während der vergangenen Dekade festgestellt. Diese Zeilen deuten auf erhöhte Spannungen um Trinkwasser, Nahrungsmittel, Energie und Rohstoffe hin. Laut der Expertenstudie „Inter-Action Council“ müssen wir, bedingt durch die Wasserknappheit, mit verheerenden politischen Folgen rechnen. Die im Juni 2012 stattgefundene Konferenz der Vereinten Nationen zu Nach­haltiger Ent­wick­lung (Rio + 20)  in Rio de Janeiro beschloss globale Ziele für die nachhaltige Entwick­lung bis zum Herbst 2014 zu erarbeiten. Man hatte erkannt, dass die öko­logische Dimen­sion der Nach­haltig­keit nicht genügend in den Millennium-Entwicklungszielen verankert worden war. Sie sollten in die Ausgestaltung der der post- 2015-Ziele eingebunden werden.

Hinsichtlich der Ausarbeitung der neuen Ziele werden die jeweiligen Ergebnisse der Konferenz zu den Ergebnissen der Millenniumziele in New York im September 2013 mit denjenigen der Umweltkonferenz in Warschau im November 2013, beide unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, zusammengeführt. Die vernetzten Zusammenhänge gegenüber der Umwelt und der Biodiversität werden stärker in den Fokus der Diskussionen rücken. Der aufkommende Klimawandel fordert die Ausarbeitung eines weltweit verbindlichen Vertrages mit eindeutigen Zielen, es müssen vor allem die Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern erhöht werden. Dies hat zur direkten Folge, dass die Bewohner der reichen Industrieländer den bisherigen Lebensstil mit hohem ökologischem Fußabdruck ändern müssen – d.h. Verringerung der Treibhausgasemissionen,  Erhöhung der Ressourceneffizienz und Schutz der Biodiversität.

Es ist löblich, dass die Europäische Union eine Vorreiterrolle in diesem brisanten Themenkomplex übernommen hat. Der EU-Entwicklungshilfekommissar Andris Piebalgs sagte vor kurzem, das vor allem der politische Willen vorhanden ist, die angestrebten  Ziele zu erreichen. Man muss leider feststellen, dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten es jedoch nicht geschafft heben, dies sicher infolge der Wirtschaftskrise, das gemeinsame Ziel: 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2015, zu erreichen. Schweden, Dänemark, die Niederlande und Luxemburg haben diese Aufgabe ehrenvoll absolviert. Die EU-Quote liegt nur bei 0,42 Prozent – der Musterschüler Luxemburg bei 1 Prozent.

Die luxemburgische Entwicklungszusammenarbeit möchte durch die finanzielle Unterstützung den Lebensstandard der Menschen erhöhen, so dass durch die demokratische Entwicklung die Gerechtigkeit obsiegt und die Einhaltung von Menschenrechte erfüllt wird. Zusätzlich muss der Ausbau der Energieversorgung in den Entwicklungs­ländern intensiver unterstützt werden, denn sie stellt  die  wichtigste Voraussetzung für die Bekämpfung der Armut und die Verwirklichung der Millenniumsziele dar. Nicht nur in den Industrie- und Schwellenländern stellt die elektrische Energie den Motor für die wirtschaftliche Entwicklung dar, auch in den Entwicklungsländern „lechzen“ Hunderte von Millionen Menschen, um auch die Segnungen dieser edlen Energie zu genießen. Sie wird vor allem bei der Bereitstellung von Trinkwasser und der Zubereitung der Nahrungsmittel  benötigt, um die medizinische Betreuung zu organisieren und vor allem um die weltweite Kommunikation zu gewährleisten und die Bildung zu ermöglichen.

Mehr als 80 Prozent der Menschen in den ländlichen Regionen Afrikas verfügen über keinen Zugang zu elektrischer Energie und fast 600 Millionen Menschen müssen ohne elektrisches Licht leben. Der Anblick einer Nachtaufnahme Afrikas zeigt nur drei helle Punkte: die Weltstädte Kairo und Johannesburg sowie die brennenden Erdgasabfackelanlagen im Golf von Nigeria. Es möge darauf hingewiesen werden, dass die Sonneneinstrahlung in den Ländern in der Subsaharazone um etwa 70 Prozent höher ist als in unseren Breitengraden.

In abgelegenen ländlichen Gegenden spielt die Solarenergie eine nicht zu unterschätzende Rolle, kann sie doch durch ein photovoltaisches Pumpensystem sauberes Trinkwasser für eine Dorfgemeinschaft anbieten. Eine weitere faszinierende Aktivität der Entwicklungszusammenarbeit mit den Menschen vor Ort besteht im Aufbau eines dezentralen Stromnetzes – „microgrid“ genannt, welches auf der Nutzung von Sonne und  Wind beruht. Dieses Stromnetz bietet durch die Beleuchtung die Möglichkeit, Lernen und Handarbeiten während den Abendstunden durchzuführen. Die verheerenden gesundheitlichen Folgen durch das Verbrennen von verschmutztem Diesel, welches zur Erblindung führt, werden so vermieden. Ebenfalls kann den Frauen und Mädchen durch den Einsatz von elektrisch angetriebenen Mühlen einerseits die schwere Arbeit des Stampfens der Hirse und zweitens das mühsame Sammeln von Brennholz erspart werden – ihre Lebensqualität erhöht sich beträchtlich.

Das Europäische Jahr der Entwicklung 2015

Die Entwicklungszusammenarbeit ist durch die Herausforderungen und Verflechtungen, bedingt durch die unterschiedlichen Krisen, einem starken Wandel unterworfen. Es möge erinnert werden, dass die Europäische Union mehr als die Hälfte der gesamten internationalen Entwicklungshilfe bereitstellt und weltweit der größte Geber von öffentlicher Entwicklungshilfe ist. Angesichts des nahenden Termins hinsichtlich der Verwirklichung der acht Millenniums-Entwicklungsziele 2015, hat die Europäische Union das Jahr 2015 als ein entscheidendes Jahr für den Entwicklungsbereich auserkoren – wichtige politische Entscheidungen stehen an. Eingedenk, dass die Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiger Bestandteil der EU-Strategie 2020 darstellt, sollen durch die geplanten Aktivitäten die Beseitigung der Armut in den Fokus von Konferenzen gerückt werden.

In der sich rasch verändernden Welt ist es wichtig, die Menschen darüber zu informieren, wie die Europäische Union zu der globalen Nachhaltigkeit beitragen möchte, insbesondere da ein Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik während den vergangenen Jahren stattgefunden hat. Nicht mehr länger steht die Beziehung: Geber-Empfänger im Mittelpunkt, sondern die Bewältigung der weltweiten Aufgaben von gemeinsamem Interesse auf der Grundlage gleichberechtigter Partner – auf gleicher Augenhöhe arbeiten – steht nunmehr im Zentrum des Geschehens. Das Europäische Jahr der Entwicklung 2015 soll zu einer größeren Sensibilisierung der Öffentlichkeit beitragen und die Rolle der Europäischen Union im entwicklungspolitischen Kontext auf weltweiter Ebene  in den Fokus rücken.1)

Volker Seitz hat in diesem Zusammenhang den afrikanischen Wirtschaftswissenschaftler Themba Sono bemüht, der die folgende Aussage gemacht hat: „Die afrikanischen Länder haben bisher stets eine Politik der Sammelbüchse betrieben, und immer nur gebettelt: mehr Hilfe, mehr Hilfe, mehr Hilfe. Genau das muss sich ändern, kann sich aber nicht ändern, solange die großen Länder selbst die Bedeutung der Entwicklungshilfe betonen.“ 2)

Der breiten Öffentlichkeit müssen die Zusammenhänge zwischen der nachhaltigen Entwicklung, dem Klimawandel, der Ernährungssicherheit, dem Trinkwasserschutz, dem Schutz der Biodiversität, der sicheren erneuerbaren Energieversorgung sowie der sozialen Zusammenarbeit erklärt werden, umso dazu beizutragen, dass die Lebensbedingungen der ärmsten Menschen verbessert und sie ebenfalls ein „Leben in Würde leben“  dürfen.

Vor allem muss das Interesse der EU-Bürger an der Entwicklungszusammenarbeit geweckt werden, damit sie sich verantwortlich spüren und merken, dass sie nicht mehr weiter „auf einer Insel der Glückseligen leben können“.

Quellenverzeichnis:

1)            COM (2013) 509 Das Europäische Jahr der Entwicklung (2015)

2)            Volker Seitz: Tödliche Falle (Seite 2 Süddeutsche Zeitung – 23. Juli 2013)