„Denken ist nicht verboten“

Gilles Roth im Gespräch

Der CSV-Fraktionsvorsitzende über politische Trostpreise, sozial gerechte Steuern und praxistaugliche Ziele

PDF: Gilles Roth – Wort 13.05.2013

VON JOELLE MERGES

Herr Roth, Sie sind der vierte Fraktionsvorsitzende der CSV in dieser Legislaturperiode. Worin unterscheidet sich Ihr Stil von jenem Ihrer Vorgänger?

Ich habe einen anderen Charakter und einen anderen politischen Werdegang als meine Vorgänger. Die CSV ist eine Volkspartei. Mein Ziel als Fraktionsvorsitzender wird es deshalb sein, die Persönlichkeit der Abgeordneten zur Geltung zu bringen, ob sie nun jung oder alt, Mann oder Frau sind, ob sie dem Gewerkschafts- oder dem liberalen Parteiflügel zuzurechnen sind: Diese Vielfalt soll nach außen deutlich werden, ganz wie es dem Wesen einer Volkspartei entspricht. Darüberhinaus will ich den politischen Konsens suchen, um die Regierungspolitik im Parlament durchzusetzen. Dabei möchte ich meine Fraktion, den Koalitionspartner LSAP, aber auch die übrigen Parteien einbeziehen, weil Demokratie sich für mich nicht auf das klassische Rollenspiel zwischen Mehrheit und Opposition beschränkt. Ziel ist es, im Interesse des Landes gemeinsam Lösungen zu finden.

Manche behaupten, der Fraktionsvorsitz wäre für Sie nur ein Trostpreis, nachdem es mit dem Justizministerium nicht geklappt hat.

Ich wäre gerne Justizminister geworden. Dennoch ist der Fraktionsvorsitz kein Trostpreis, sondern eine andere Art von Herausforderung. Auf der parlamentarischen Ebene spielt der Fraktionsvorsitzende der Christlich-Sozialen eine hervorgehobene Rolle. Es kommt auf ein gutes Zusammenspiel zwischen Regierung, Partei und Fraktion an. Meine neue Funktion erlaubt es mir, weiter Bürgermeister von Mamer zu bleiben, worüber ich ganz glücklich bin, da es ein Amt ist, was mich seit 13 Jahren erfüllt.

In einem Jahr finden Wahlen statt, und bis dahin könnten einige Abgeordnete versuchen, sich auf Kosten der Fraktionsdisziplin zu profilieren. Wie wollen Sie mit solchen Alleingängen umgehen?

Laut Verfassung sind die Abgeordneten nicht weisungsgebunden, sondern allein dem Interesse des Landes verpflichtet. Dennoch wurden die Mitglieder meiner Fraktion nicht individuell gewählt, sondern von ihrer Partei ins Rennen geschickt. Sie sind an das Regierungsprogramm gebunden und haben sich dem Konsens innerhalb der Fraktion zu fügen, weil dies der Respekt und die Solidarität zwischen den 26 Abgeordneten gebietet. Ich denke, dass meine Kollegen sich weitgehend an die Spielregeln halten werden, falls nicht, glaube ich, die nötigen Fähigkeiten zu besitzen um Alleingängen vorzubeugen.

Bislang haben Sie sich im Parlament vor allem einen Namen als Finanz- und Rechtsexperte gemacht; als Fraktionsvorsitzender müssen Sie einen Überblick über alle Politikfelder haben. Ist nun Büffeln angesagt?

Es stimmt, dass meine Fachgebiete bislang die Themen Finanzen und Recht waren; dank meiner Verantwortung als Bürgermeister von Mamer kenne ich mich auch recht gut in den Bereichen Innenpolitik, Landesplanung oder Bildung aus; und mein beruflicher Werdegang hat mich mit dem öffentlichen Dienst vertraut gemacht. In meiner neuen Funktion werden mir die Erfahrungen helfen, die ich als Berichterstatter für die Haushaltsvorlage 2012 gesammelt habe, wodurch ich einen Einblick in die verschiedensten Politikfelder erhielt. Und dann habe ich natürlich das große Glück, dass die CSV-Fraktion mit ihren 26 Mitgliedern über Experten in allen Bereichen verfügt.

Jean-Louis Schiltz wollte einst aus der CSV-Fraktion eine Denkfabrik mit 26 Köpfen machen. Häufig hat man jedoch den Eindruck, die Abgeordneten sollen lediglich die Regierungspolitik abnicken.

Ein Jahr vor den Wahlen bringt es wenig, das Rad neu zu erfinden; unser Ziel muss es sein, das Koalitionsprogramm in der Kontinuität umzusetzen. Das heißt aber nicht, dass selbstständiges Denken verboten wäre. Die Fraktion wird sehr wohl ihre Denkanstöße in das Wahlprogramm 2014 einbringen.

Denkanstöße wollten Ihr Vorgänger Marc Spautz sowie Ihr Amtskollege Lucien Lux für das Budget 2013 liefern, unter anderem sollte weiteres Sparpotenzial ausgelotet werden. Ist diese Denkarbeit im Sand verlaufen?

Im Rahmen des Europäischen Semesters hat die Regierung den EU-Behörden in Brüssel die großen Linien der Konsolidierungsbemühungen mitgeteilt. Die Fraktion wird gemeinsam mit der Regierung überlegen, wie der Etatentwurf 2014 zu gewichten ist. Es wird zu keiner Austeritätspolitik kommen, wir werden aber auch kein Wahlbudget aufstellen, sondern uns verantwortungsvoll darum bemühen, das Land aus der Krise zu führen. Ziel muss es sein, das Defizit der öffentlichen Hand in den Jahren 2015 bis 2016 auf null zurückzuführen.

Sie hatten in Ihrem Bericht zur Haushaltsvorlage 2012 eine Anhebung der Mehrwertsteuersätze als Ausgleich für die TVA-Einnahmen aus dem elektronischen Handel vorgeschlagen, was die Regierung anderthalb Jahre später aufgreift. Wieso wurde so lange gewartet?

Ich hatte in der Tat eine TVA-Erhöhung als mögliche neue Einnahmequelle vorgeschlagen; ich stelle fest, dass diese Idee ihren Weg geht. Diese Maßnahme muss aber eingebettet werden in eine Reform der gesamten Steuerlandschaft, die bis 2015 auf die Bahn gebracht werden muss. Neben den indirekten Steuern sollte dabei eine Anpassung der allgemeinen Steuertabelle sowie die Grund- und Immobiliensteuern zur Sprache gebracht werden. Ziel muss ein sozial gerechtes Gesamtpaket sein.

In Ihrem Bericht zur Haushaltsvorlage 2012 haben Sie für mehr soziale Selektivität plädiert. Wieso tut sich die Koalition damit so schwer?

Wenn wir den Anstieg der öffentlichen Ausgaben begrenzen wollen, dürfen die Sozialtransfers und auch die Familienzulagen nicht außen vor bleiben, zumal letztere mehr als zehn Prozent der Gesamtausgaben ausmachen. Meiner persönlichen Meinung nach wäre eine Besteuerung dieser Zulagen der gerechteste Weg, um deren Zuwachs in den Griff zu bekommen. Es bliebe beim Grundprinzip „Ein Kind ist ein Kind“, die Ausgangsbasis wäre für alle Leistungsempfänger gleich; der soziale Ausgleich würde über die Besteuerung vorgenommen. Technisch ist das nicht einfach zu gestalten, weil sich insbesondere im Zusammenhang mit den Grenzgängern eine Reihe von Fragen stellen. Mittelfristig könnte die Lösung darin bestehen, alle Familienleistungen als Gesamtpaket zu bündeln und sie als fiktives Zusatzeinkommen eines Haushalts zu besteuern.

Die Koalition hatte sich ursprünglich vorgenommen, die öffentlichen Finanzen über ein Drittel Steueranpassungen und zwei Drittel Ausgabenkürzungen zu konsolidieren. Von dieser Regel hat sich Schwarz-Rot wieder verabschiedet. Wieso?

Das Ziel war an und für sich richtig, jedoch nicht praxistauglich. Ausgabenkürzungen lassen sich bei den öffentlichen Investitionen, bei den Sozialleistungen und den staatlichen Betriebskosten vornehmen. Weniger Investitionsausgaben würden die Konjunktur abwürgen, was niemand will. Die Sozialleistungen wiederum sind gesetzlich verankert, Änderungen sind schwierig. Bei den staatlichen Betriebskosten gibt es sehr wohl Sparpotenzial, jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt, wenn man die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltungen nicht aufs Spiel setzen will.

Inwiefern schaden die Bommeleeër- und Srel-Affären Ihrer Partei?

Premier Juncker hat die Aufklärung der Bommeleeër-Affäre zur Staatsraison erklärt. Die Bevölkerung will Klarheit in dieser Angelegenheit, was auch der Willen der CSV ist. Für die Aufklärung ist die Justiz verantwortlich. Im Zusammenhang mit der Geheimdienst-Affäre bedauere ich, dass das politische Alltagsgeschäft aufgrund der Arbeiten der Enquete-Kommission etwas ins Hintertreffen gerät. Bis zur Sommerpause müssen wir Klarheit in dieser Sache schaffen. Der Bericht des Untersuchungsausschusses muss die Fakten wahrheitsgetreu auflisten; die Reform des Geheimdienstgesetzes von 2004 muss die Lehren aus der Vergangenheit ziehen.

Mit den Aussagen des Premiers vor dem Untersuchungsausschuss zeigte sich der Koalitionspartner der CSV nicht ganz zufrieden. Befürchten Sie, dass man Ihre Partei im Regen stehen lassen wird?

Es zeichnet sich ab, dass die Institution Geheimdienst durch eine Handvoll Mitarbeiter in Misskredit gebracht wurde, die einfach getan haben, was sie wollten. An der Politik ist es, diese Suppe auszulöffeln. Der Staatsminister ist nicht in erster Linie Geheimdienstminister; seine Aufgabe besteht darin, die Regierungsgeschäfte zu koordinieren, das Land im Namen der Regierung nach außen zu vertreten und die einzelnen Politikfelder voranzutreiben. Ich bedaure, dass der Premier seit sechs Monaten in dieser Aufgabe behindert wird. Zwei Mal stand er den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses Rede und Antwort, dabei wurde deutlich, dass eine Reihe von Vorwürfen haltlos sind, wie etwa jener, das Abwehrnetzwerk Stay Behind hätte etwas mit der Bommeleeër-Affäre zu tun. Dabei ist im Bericht der Geheimdienstkontrollkommission von 2008 nachzulesen, dass die Staatsanwaltschaft diese These für völlig unbegründet hält.

Ist dem neuen Fraktionsvorsitzenden der CSV bange für die kommenden Wahlen?

Mir ist nicht bange, denn die CSV ist personell gut aufgestellt für die kommenden Wahlen. Sie wird mit Premier Juncker einen erfahrenen und weitsichtigen Spitzenkandidaten ins Rennen schicken; und sie wird in den kommenden Monaten im Gespräch mit der Bevölkerung erklären, wieso es sich im Mai 2014 lohnen wird, der Volkspartei erneut das Vertrauen zu schenken.

Werden wir Sie nach den Wahlen auf der Regierungsbank wiedertreffen?

Ich bin jetzt seit wenigen Tagen Fraktionschef, was an sich schon eine große Herausforderung ist. Wichtig ist es, dass meine Partei als stärkste Kraft aus den nächsten Wahlen hervorgeht, wofür ich mit der Fraktion, mit der Partei und mit den Regierungsvertretern kämpfen möchte. Die einzelne Person steht im Hintergrund.