VON JOELLE MERGES
Quelle : Luxemburger Wort Nr.38 – Mittwoch, den 13. Februar 2013 – Seite 2-3
Paul-Henri Meyers (CSV) ist vorsichtig geworden. Bislang zeigte sich der Vorsitzende des parlamentarischen Verfassungsausschusses stets zuversichtlich, dass das neue Grundgesetz noch vor den Landeswahlen im kommenden Jahr verabschiedet wird. Nun will er sich in Sachen Zeitplan jedoch nicht mehr festlegen: „Ich bin kein Prophet.“
Sollten die Arbeiten an der Reform in Verzug geraten, so ist bestimmt nicht der Verfassungsausschuss daran Schuld. Seit vergangenem September treffen sich die Abgeordneten quasi wöchentlich, manchmal finden zwei Sitzungen am Tag statt, während der die Volksvertreter die Vorlage aus der Feder von Paul-Henri Meyers mit den Gegenvorschlägen des Staatsrats und der Regierung vergleichen und zu vereinbaren suchen. Die Anwaltskammer, die Gerichtsbarkeiten, das Syvicol, die Menschenrechtskommission und die Arbeitnehmerkammer haben sich ebenso ihre Gedanken gemacht über das künftige Grundgesetz wie die „Commission de Venise“, die die Mitgliedsländer des Europarats in Verfassungsfragen berät.
Aus all diesen Stellungnahmen muss der Verfassungsausschuss nun ein einheitliches Ganzes schmieden; das braucht seine Zeit, wenn man „jedes Wort 20 Mal umdrehen muss“, beteuert Paul-Henri Meyers. Die neue Verfassung soll „kurz, klar und ohne Mehrdeutigkeiten sein. Weil wir über jeden einzelnen Satz diskutieren, dauert alles etwas länger. Eine neue Verfassung schreibt man nicht im Hauruckverfahren.“ Im Jahr 1848 sei alles viel schneller gegangen, damals habe die verfassungsgebende Versammlung einfach das belgische Grundgesetz abgeschrieben, was auch keine Schande war, schließlich habe es sich dabei um „die modernste Verfassung“ der damaligen Zeit gehandelt. „Heute ist es viel komplizierter“, sagt Meyers, „das Staatsgefüge ist vielschichtiger, die Grundrechte der Bürger haben sich weiterentwickelt; manche halten heute sogar die europäische Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 1950 für überholt; deswegen sollte auch die EU-Grundrechtecharta moderner ausfallen. Ein Verfassungstext, der gleichzeitig modern und nuanciert sein soll, wird aber nicht kürzer, sondern länger.“
Die Nachteile der Moderne
Mit der Moderne, zu der auch der Staatsrat die Parlamentarier anhält, ist es so eine Sache. „Man muss bei der Formulierung sehr achtsam sein, nicht dass man am Ende das Gegenteil dessen in die Verfassung schreibt, was man eigentlich bezweckt“, so Meyers. Zeitgemäßer als von den Abgeordneten ursprünglich angedacht soll das Kapitel der Grundrechte ausfallen, so wird zum Beispiel die vom Staatsrat vorgeschlagene Einteilung in Grundrechte (wie etwa der Schutz der Menschenrechte), Freiheitsrechte (zum Beispiel die Gleichheit vor dem Gesetz) und Ziele mit Verfassungsrang (wie etwa der Naturschutz) übernommen; auf Empfehlung des Staatsrats finden auch einige „neue“ Begriffe wie etwa der Schutz der personenbezogenen Daten Eingang ins Grundgesetz.
In einem weiteren Punkt kommt der Verfassungsausschuss dem Staatsrat entgegen, nämlich bei der Verankerung von Nationalhymne, -wappen, -flagge und -sprache in das Grundgesetz. Während die Hémecht weitgehend unumstritten ist und wohl auch keine Grabenkämpfe über die Wappen ausbrechen werden, war es mit dem Luxemburgischen als Nationalsprache schon schwieriger, hier fällt die Formulierung etwas allgemeiner aus als von den Räten vorgeschlagen. Geklärt ist indes die Flaggendebatte, in der neuen Verfassung wird es unmissverständlich heißen: „Das nationale Hoheitszeichen ist die rot-weiß-blaue Fahne.“ Der „Roude Léiw“, für den sich Michel Wolter (CSV) in der Vergangenheit stark gemacht hatte, wäre damit vom Tisch. Die Frage, ob sein Fraktionskollege von dieser Entscheidung weiß, beantwortet Meyers so: „Ich nehme an; er ist ja wie alle anderen Abgeordneten auch angehalten, die Drucksachen des Parlaments zu lesen.“
Es gibt noch einen weiteren, für die Verfassungsreform wesentlichen Punkt, in dem sich die Abgeordneten die Überlegungen des Staatsrats zu eigen machen, nämlich was die künftigen Aufgaben des Großherzogs angeht. Um dessen neue Rolle im Staatsgefüge zu illustrieren, zitiert Paul-Henri Meyers den belgischen Staatsrechtler Francis Delpérée: „Mit den Machtbefugnissen des Staatsoberhaupts ist es wie mit Affenbrotbäumen auf Grönland: Es gibt sie nicht.“ Anders formuliert: An und für sich ist der Großherzog machtlos, er kann alleine keine Entscheidungen treffen, es bedarf immer einer Gegenzeichnung durch ein Regierungsmitglied. Nach der Verfassungskrise von 2008 soll deswegen der Text des Grundgesetzes mit der Verfassungswirklichkeit in Einklang gebracht werden; es soll auf Anhieb ersichtlich sein, dass der Staatschef nur jene Kompetenzen ausüben darf, die ihm laut Verfassung auch zustehen. Tut er es nicht, soll das Parlament das Recht zugesprochen bekommen, die Abdankung des Großherzogs festzustellen.
Weil es sich dabei um eine äußerst heikle Angelegenheit handelt, und um zu verhindern, dass das Parlament sich in dieser Situation in parteipolitischen Ränkespielen verheddert, sollen alle staatlichen Institutionen in das Prozedere um eine Amtsenthebung des Staatsoberhaupts eingebunden werden. „Am Ende wird die Entscheidung so getroffen werden, dass jeder Farbe bekennen muss“, sagt Paul-Henri Meyers voraus.
Zusammenspiel der Institutionen
Für den CSV-Abgeordneten spiegeln die neuen Verfassungsbestimmungen über die Rolle des Großherzogs das Bild einer Monarchie wider, „wie sie für das 21. Jahrhundert zeitgemäß ist.“ Der Staatschef soll nur jene Rechte ausüben dürfen, die die Verfassung ihm vorschreibt. „Auch die Abgeordnetenkammer kann nicht tun und lassen, was sie will; auch die Regierung muss zurücktreten, wenn das Parlament es so will, und trotz Gewaltentrennung hat die Abgeordnetenkammer auch bei der Justiz das Recht, über die gesetzlichen Grundlagen zu entscheiden. So ist es eben im Zusammenspiel der Institutionen.“
Noch ist der Verfassungspassus über eine mögliche Absetzung des Staatschefs nicht spruchreif, wie übrigens auch eine Reihe von anderen Fragen noch zu klären sind: Wie soll sich etwa die Ehegattin des Großherzogs nennen dürfen? „Einige Mitglieder des Verfassungsausschusses wollen den Titel Großherzog ausschließlich dem Staatschef vorbehalten. Im Sinne der Gleichberechtigung würde es einleuchten, dass die Ehegattin den Titel Prinzessin trägt“, so Paul-Henri Meyers, schließlich hieß der Gatte von Großherzogin Charlotte nicht Großherzog, sondern Prinz Felix.
Offen ist auch noch die Frage, ob der Familienpakt der Nassauer Verfassungsrang erhalten soll. Der Staatsrat spricht sich dagegen aus, die Parlamentarier waren bislang dafür, weil dieser Pakt in Bezug auf das Vermögen des Großherzogs eine Reihe von Bestimmungen enthält, die sich außerhalb des geltenden Rechts befinden und deswegen einer konstitutionellen Grundlage bedürften. Eine Entscheidung in dieser Frage ist noch offen.
Basis fürs Ausländerwahlrecht
Und dann kommen gelegentlich neue Fragen auf, mit denen sich die Abgeordneten auseinander setzen müssen, wie etwa die Debatte über das Ausländerwahlrecht. „Eigentlich könnte man auf Artikel 10 der künftigen Verfassung verweisen“, meint Paul-Henri Meyers. In diesem Artikel heißt es, dass ein Gesetz die Ausübung der politischen Rechte der EU-Bürger regelt, und dass per Gesetz auch politische Rechte an Nicht-EU-Bürger übertragen werden können. Für den CSV-Abgeordneten ist es jedoch fragwürdig, ob dieser Passus als Grundlage für das Ausländerwahlrecht ausreicht, schließlich heißt es gleichzeitig in der Verfassung, dass nur luxemburgische Staatsbürger ab 18 Jahren zu den Wahlen zugelassen sind. Meyers zufolge könnte man diese Bestimmungen um einen Verfassungszusatz erweitern, der besagen würde, dass die Zulassungsbedingungen zum Wahlrecht (also die Alters- und Staatsbürgerschaftsklausel) durch ein mit qualifizierter Mehrheit verabschiedetes Gesetz geändert werden könnten. Damit wäre in der Verfassung ein juristischer Grundstein für mögliche Änderungen am Wahlrecht gelegt; an den Parteien sei es dann zu entscheiden, ob sie diesen Weg auch gehen wollen. Noch hat der Verfassungsausschuss seinen Meinungsbildungsprozess in dieser Frage nicht abgeschlossen; Paul-Henri Meyers will jedoch nicht ausschließen, dass ein entsprechender Passus Eingang ins Grundgesetz finden könnte.
Ende März will der Vorsitzende des Verfassungsausschusses dem Staatsrat die Änderungsanträge der Abgeordneten zustellen; Meyers hofft, dass bis dahin auch die Fragen um das Verhältnis zwischen dem Staat und den Glaubensgemeinschaften sowie um den künftigen Aufbau des Justizapparats geklärt sind, was beides derzeit noch bei Minister François Biltgen anhängig ist. Wie lange der Staatsrat dann wiederum braucht, um die Nachbesserungsvorschläge zu begutachten, wird sich zeigen. An ihrer ersten Stellungnahme arbeiteten die Räte gut zwei Jahre.