Drei Fragen an Claude Wiseler

Mobilitätskonzept im Rhythmus der Landesentwickelung

Täglich fluchen Automobilisten  über die Verkehrssituation. Herr Minister, wo liegt das Problem?


In Luxemburg haben wir eine sehr spezifische Verkehrssituation, weil die wirklichen Schwierigkeiten  nur im Berufsverkehr am Morgen und am Abend auf den Hauptachsen aus Deutschland, Frankreich und Belgien auftreten; dann allerdings aber sehr massiv.
Die Analyse der Verkehrssituation zeigt, dass wir kaum mit einer anderen Stadt vergleichbar sind.  Die Einwohnerzahl der Hauptstadt liegt bei 90000 Einwohnern.  Durch die hohe Zahl an Arbeitspendlern werden es tagsüber 150000. Diesen Zustrom müssen wir jeden Tag bewältigen, was wirklich nicht einfach ist.
Unser Straßennetz  ist dem zurzeit nicht gewachsen und die Kapazitäten von Bussen und Zügen sind während der Spitzenstunden komplett ausgelastet.
Zum jetzigen Zeitpunkt zu behaupten, dass  man die Verkehrsprobleme und die Staus einfach lösen könne indem man mehr Leute dazu bringt den öffentlichen Transport zu benutzen, geht gar nicht, da weder genügend Material noch ausreichende Infrastrukturen zur Verfügung stehen.
Wenn wir das gerne ändern, brauchen wir eine höhere Anzahl an  Bussen und Zügen und wir brauchen ein zusammenhängendes Konzept.
 

Wie sieht die Lösung denn aus?


Die Antwort darauf ist vielschichtig. Ich habe die Chance, dass ich ein großes Ministerium leiten kann, in dem eigentlich zum ersten Mal sämtliche Verkehrsmittel vertreten sind. Deshalb konnten wir ein Konzept ausarbeiten, mit dem Namen  „Mobilité durable“. Es handelt sich um einen koordinierten Plan, der alle Arten von Transport  effizient miteinander verbindet.  Zug, Bus, individual Verkehr, Fahrrad- und  Fußgänger-Verkehr sind hier miteinander verzahnt. Auch die einzelnen Angebote des öffentlichen Transports sind besser aufeinander abgestimmt.
                                                                                                                     Was brauchen wir? Nun, wir müssen die Fahrkapazitäten auf den Zugstrecken aus Deutschland, Belgien und Frankreich erweitern. Wir benötigen zusätzliches Material (zum Teil wird schon eingekauft), wir müssen unsere Bahnhöfe umfunktionieren indem wir multimodale Umsteigemöglichkeiten bieten: beispielsweise von Fahrrad auf Zug, von Zug auf Bus und von Bus auf Tram. Dazu sind neue „Park and Ride“-Möglichkeiten an den Bahnhöfen nötig. Schnelles Umsteigen ist das A und O eines guten Mobilitätsangebotes. Das gilt auch für  das Umsteigen vom Individualverkehr auf öffentlichen Transport. 
Wichtiges Stichwort in unserem Mobilitätskonzept ist die Tram. Ohne Tram macht das Konzept keinen Sinn aber ohne Konzept ist auch die Tram keine Lösung. Auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg brauchen wir nämlich eine Feinverteilung und das mit einem Transportmittel, das genug Kapazität hat, um eine hohe Anzahl an Menschen zu den Spitzenstunden schnell zu ihrem Arbeitsplatz zu befördern.
Ein Beispiel! In den nächsten Jahrzehnten werden auf Kirchberg .. über 40000 Menschen arbeiten. Wie wollen wir es bewerkstelligen, diese jeden Tag an ihren Arbeitsplatz und wieder von dort weg zu bringen, wenn wir uns nicht genügend Mittel im öffentlichen Transport geben? In meinen Augen gelingt uns das nur mit der Tram.


Was sind denn die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?


Es ist natürlich nicht einfach mitten in Luxemburg Stadt eine große Baustelle zu organisieren. Ich verstehe selbstverständlich alle Leute, die Angst vor dieser Baustelle haben. In vielen Gesprächen stelle ich aber fest, dass die Menschen sich wohl der positiven Wirkung der Tram in der Stadt bewusst sind, wenn sie dann bis fertig ist. Die Zielsetzung wird also von den Menschen begrüßt. Deshalb geht es darum den Weg dorthin so zu gestalten, dass dieser auch  von den Menschen akzeptiert wird. Dafür müssen die Baustelle und alle Prozeduren so geplant werden, dass sie im Dialog mit den Menschen verwirklicht werden können. Gemeinsam mit den Gemeindeverantwortlichen sind wir dabei diese Dialogstrukturen (mit den Geschäftsleuten  bzw. den Einwohnern)  so zu gestalten, dass die Betroffenen im Falle eines Problems ohne Umwege mit Verantwortlichen reden können, damit schnellstens eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann. 
Wir wissen, dass die Baustelle für einige Unannehmlichkeiten sorgen wird, die aber leider nicht zu vermeiden sind. Bedenken sollte man allerdings, dass es auch ohne die Tram zu Verkehrsbehinderungen kommen wird, da die Kanalisationsinfrastrukturen in diesen Strassen von der Stadtverwaltung unbedingt erneuert werden müssen.
Was die finanzielle Dimension des gesamten Mobilitätskonzeptes angeht, ist zu sagen, dass diese Maßnahmen  im Verlaufe der nächsten zehn bis 20 Jahren umgesetzt werden sollen. Wie schnell es wirklich geht hängt einerseits von der Finanzsituation des Staats und andererseits  vom wirtschaftlichen Wachstum unseres Landes ab.                              
Unser Mobilitätskonzept atmet also sozusagen mit der Zeit.
Durch mehr Wachstum fließt mehr Geld in unsere Kassen. Diese Mittel werden wir einsetzen um das Verkehrskonzept, das dann dringender denn je benötigt wird, auch schneller umsetzen zu können.
Weniger Wachstum bedeutet weniger Geld aber auch, dass das neue Konzept weniger schnell umgesetzt werden muss.