Eine Generalüberholung

Parlamentarische Verfassungskommission hinterlegt ihre Änderungsvorschläge

Von Laurent Zeimet, Luxemburger Wort, 21. April 2009

Die Verfassungskommission des Parlaments wird heute Nachmittag ihre Vorschläge zur „Modernisierung“ der Verfassung des Großherzogtums von 1868 einreichen. Was soll sich ändern?

Die Mitglieder der parlamentarischen Verfassungskommissionen scheinen nicht besonders abergläubisch zu sein. Geht es nach ihrem Willen, wird die Verfassung des Großherzogtums in Zukunft in 13 Kapitel unterteilt. Heute Nachmittag sollen die überparteilichen Änderungsvorschläge an der Verfassung von 1868 im Hohen Haus eingereicht werden.

Die CSV/LSAP-Koalition hatte sich im August 2004 für eine Generalüberholung der Verfassung ausgesprochen. Zuerst wurde allerdings das Verfahren zur Änderung des Grundgesetzes reformiert. Früher musste die Abgeordnetenkammer vor den Wahlen Artikel der Verfassung „freigeben“, damit sie von der neuen Kammer abgeändert werden konnten. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die Abgeordneten können nun zu jeder Zeit eine Änderung der Verfassung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen. Wobei die vorgeschriebene zweite Lesung einer Verfassungsänderung durch ein Referendum ersetzt werden kann, wie seit der Diskussion um die Billigung der Gesetze durch den Großherzog bekannt sein dürfte. Die heutige Verfassung des Großherzogtums stammt aus dem Jahr 1868. Bis zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1919 kam es zu keiner Abänderung der Grundregeln des Staates. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hielten sich die Politiker mit Änderungen am Verfassungstext zurück. Gerade einmal neun Anpassungen wurden zwischen 1945 und 1988 vorgenommen. Seit dem Ende der achtziger Jahre übte sich die Politik in weniger Zurückhaltung. In den vergangenen 20 Jahren wurde die Verfassung nicht weniger als 24 Mal abgeändert oder ergänzt. Rund 20 weitere Gesetzvorschläge der Kammer oder Gesetzentwürfe der Regierung zur Änderung der Verfassung befinden sich noch in der legislativen Warteschleife des Parlaments. In seinem Gutachten vom 9. Dezember 2008 über die Abänderung im Schnelldurchgang von Artikel 34 hatte der Staatsrat diese Praxis angeprangert: „Il en résultera inexorablement une banalisation des révisions constitutionnelles. Cette tendance va au détriment de la stabilité de la Constitution qui cède trop facilement aux besoins passagers et momentanés de la politique.“ Statt weiteren punktuellen Anpassungen wollte die Politik einen großen Wurf wagen und die Verfassung von 1868 „modernisieren“. Was zum Teil auch so zu verstehen ist, dass man den Wortlaut des Grundgesetzes mit der politischen Wirklichkeit in Einklang bringen wollte. Die Verfassungskommission des Parlaments unter dem Vorsitz des CSV-Abgeordneten Paul-Henri Meyers arbeitete seit einiger Zeit an einer Generalüberholung. Das Ergebnis, ein Konsenspapier zwischen allen auf Krautmarkt vertretenen Kräften soll im Wahlkampf thematisiert werden. Das neue Parlament muss dann über die große Verfassungsreform befinden. Die CSV hat sich in ihrem Wahlprogramm zudem für eine Volksabstimmung über die Änderungen ausgesprochen.

Im ersten Artikel der „neuen“ Verfassung soll das Großherzogtum in Zukunft als „unabhängiger, freier und unteilbarer Rechtsstaat definiert werden“, eine „parlamentarische Demokratie“, in der alle Macht vom Volk ausgeht.

Die Modernisierung

Das Kapitel über die Grundrechte und Grundfreiheiten inspiriert sich am Vorbild der Grundrechtecharta der Europäischen Union. An erster Stelle soll in Zukunft der Grundsatz „die Würde des Menschen ist unantastbar“ stehen. Eine Neuerung, die nicht ohne Konsequenzen auf die Rechtssprechung bleiben dürfte. Zudem wird festgehalten, dass Folter und unmenschliche Behandlungen verboten sind. Das Briefgeheimnis wird auf alle Kommunikationsmittel ausgeweitet. Der Staat verpflichtet sich neuerdings, jedem zu ermöglichen, in einer angemessenen Wohnung zu leben.

Zu Diskussionen führte die Berücksichtigung der Luxemburger Sprache in der Verfassung. Hier orientierte sich die Kommission an der geltenden Sprachengesetzgebung von 1984 und schlägt vor, dass „der Staat dafür Sorge trägt, die Luxemburger Sprache zu fördern.“

Das dritte Kapitel der Verfassung wird dem Großherzog gewidmet. Artikel 42 soll in Zukunft die Thronfolge bestimmen, die zurzeit noch vom Familienpakt der Nassauer geregelt wird. „Les pouvoirs constitutionnels du Grand-Duc sont héréditaires dans la descendance directe, naturelle et légitime de S.A.R. Adolphe, Guillaume, Auguste, Charles, Frédéric de Nassau, par ordre de primogéniture et de représentation.“

Im Klartext bedeutet dies, dass nur die direkten Nachfahren von Großherzog Adolphe (Regent von 1890 bis 1905) den Thron besteigen können. Es kommen nur die erstgeborenen, ehelichen Kinder in Frage, Adoptivkinder sind von der Thronfolge ausgeschlossen. Ob das Erstgeborene weiblich oder männlich ist, spielt dabei keine Rolle mehr. Die neuen Thronfolgebestimmungen sollen allerdings erst auf die Nachkommen von Großherzog Henri angewandt werden. Eine Thronbesteigung erfolgt erst durch die Eidesleistung vor der Abgeordnetenkammer.

Der Großherzog verliert seine legislativen Befugnisse und wird als Teil der Exekutive definiert, dessen Entscheidungen immer von einem Mitglied der Regierung gegengezeichnet werden müssen, das die politische Verantwortung trägt. Vom Gesetzgebungsverfahren soll der Staatschef ganz ausgeschlossen werden.

Die Gesetzentwürfe sollen in Zukunft von der Regierung eingereicht und nach einer Verabschiedung durch die Abgeordnetenkammer vom Parlamentspräsidenten zwecks Inkraftsetzung und Veröffentlichung an die Regierung übermittelt werden. Nach der Billigung der Gesetze verliert der Großherzog demnach auch seine Befugnis, die Gesetze in Kraft zu setzen.

Die Kommission hat bereits die Möglichkeit des Volksbegehrens in ihren Verfassungsentwurf aufgenommen, ein entsprechendes Gesetz, wie eine solche Gesetzinitiative von den Bürgern ausgehen soll, besteht aber noch nicht. Die Idee eines Conseil de la magistrature wurde im Kapitel über die Justiz dagegen noch nicht berücksichtigt, obwohl die Kommission einer solchen Institution nicht abgeneigt sein soll. Mangels einer konkreten Textvorlage habe man dieses Organ aber noch nicht in der Verfassung vorgesehen.

Die Verfassung regelt auch grob die Zusammensetzung der Regierung und deren Aufgaben. Die Regierung wollte dem Premierminister eine hervorgehobene Rolle im Kabinett zusprechen, die Abgeordneten sahen dies aber anders. Eine Sonderrolle wollte man dem Regierungschef – zu diesem Zeitpunkt – nicht zuerkennen.

„Wir waren darum bemüht, das Gleichgewicht der drei Gewalten – Legislative, Exekutive und Judikative – zu wahren. Das Vertrauen zwischen den Institutionen darf durch die Reform der Verfassung nicht erschüttert werden“, so Paul-Henri Meyers.

Quelle: Luxemburger Wort, 21. April 2009, Laurent Zeimet