„Faszinierende Aufgabe”

Wenn alles klar geht, wird die Konjunktur durch die im Staatshaushalt gesetzten Akzente wiederbelebt. Fragen über Risiken und Aussichten staatlicher Finanzlenkung in unsicheren Zeiten an den CSV-Abgeordneten Norbert Haupert

INTERVIEW: MARYSE LANNERS, Télécran 

TELECRAN: Herr Haupert, als die Finanzkrise Luxemburg mit voller Wucht traf, war die Haushaltsvorlage bereits aufgestellt. Und sie wurde anschließend nicht geändert, obwohl das Wachstum von drei Prozent, von dem der Entwurf ausgeht, nun kaum erreicht werden kann. Wie soll das gehen? 

NORBERT HAUPERT: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir wollen einen Haushalt, der im Gleichgewicht ist – dann müssen wir bei den Ausgaben sparen, weil mit weniger Einnahmen zu rechnen ist. Oder wir wollen einen antizyklischen Haushalt, um die Wirtschaftstätigkeit zu beleben. Es war diese Option, die gewählt wurde und die vom gesamten politischen Spektrum getragen wird. Außerdem ist ja bekannt, dass die Einnahmen jedes Jahr unterschätzt werden. 2007 wurden etwa eine halbe Milliarde Euro mehr eingenommen als geplant. 2008 wird erneut mit einem Überschuss zu rechnen sein. Sollte es dennoch nicht reichen, dann wird der Luxemburger Staatshaushalt eben mit einem Defizit abschließen und sich das Land in der gleichen Lage befinden wie die meisten anderen EU-Staaten. 

TELECRAN: Wie fühlt man sich als Berichterstatter des wichtigsten Gesetzes in einer Zeit kompletter Unsicherheit? Ist dies möglicherweise ein vergiftetes Geschenk? 

NORBERT HAUPERT: Nein. Aber ich denke dauernd daran. Das Budget begleitet mich sozusagen rund um die Uhr. Es ist ein Zustand, der mich ein wenig an meine Studentenzeit erinnert. Da ist es ja so, dass man vor den Examen innerhalb kürzester Zeit unheimlich viel arbeiten muss. 

TELECRAN: Verspüren Sie keine spezielle Aufregung wegen der Finanzkrise? 

NOBERT HAUPERT: Doch, das beunruhigt mich schon. Aber die Politik muss auch fähig sein, schwere Zeiten zu meistern. Die Regierung hat dies bereits bewiesen, in dem sie schnell reagierte, als die Banken Dexia und Fortis in eine Notlage geraten waren. 

TELECRAN: Wie würden Sie dieses Budget bezeichnen? 

NORBERT HAUPERT: Ein Budget des Vertrauens. Wir stärken die Kaufkraft der Menschen und hoffen, dass sie das Geld auch in dem Land ausgeben, in dem sie es verdienen. 

TELECRAN: Es ist das letzte Budget vor den Wahlen. Neben der Finanzkrise gibt es also eine weitere Sorge: Die Koalition will möglichst gut beim Wähler ankommen. Wurde deshalb nichts am ursprünglichen Entwurf geändert? 

NORBERT HAUPERT: Nein, auch ohne Wahljahr wäre nichts geändert worden. Natürlich trifft es sich gut, weil die Steuermaßnahmen jeden zufrieden stellen dürften. 

TELECRAN: Welche Akzente werden Sie setzen?
 
NORBERT HAUPERT: Eigentlich wollte ich die Bilanz der vergangenen fünf Jahre ziehen. Wegen der Finanzkrise werde ich mich jetzt mit grundsätzlichen Fragen zu der Position unseres Landes befassen: Wo stehen wir heute und was sind unsere Zukunftsaussichten? Die wichtigste Frage dazu betrifft das Wachstum. Wollen wir unendlich weiter wachsen, wissend um die Probleme, die sich daraus ergeben? Andererseits werde ich mich eingehend mit den Industriebrachen in Belval befassen. Sie sind ein gutes Beispiel für wirtschaftliche Diversifizierung. 

TELECRAN: Gibt es einen Ausweg aus dem Teufelskreis, der immer mehr Wachstum verlangt, um den Wohlstand und die Finanzierung der Renten abzusichern? 

NORBERT HAUPERT: Mehr Wachstum erfordert einen Arbeitsmarkt, der sich permanent vergrößert. Ergo mehr Grenzgänger und mehr Staus auf den Straßen. Dabei ist es nicht einmal sicher, ob die Rentenfinanzierung auf diesem Weg tatsächlich abgesichert werden kann. Andererseits muss man sich auch bewusst sein, dass Luxemburg sich von der Nischenpolitik, auf die es während Jahrzehnten erfolgreich gesetzt hat, verabschieden muss, wegen der verstärkten europäischen Harmonisierung. Allerdings war die Phantasie der Politiker und der Unternehmer bislang fast grenzenlos. Sie werden auch diesmal wieder Wege finden, um Luxemburgs Zukunft absichern. 

TELECRAN: Ziemlich kritisch hat der Staatsrat sich mit der Zukunftsfähigkeit unseres Wohlstands befasst. In seinem Gutachten wirft er die Frage auf, ob Luxemburg nicht besser täte, sich auf ein niedrigeres Wachstum einzustellen, das vergleichbar wäre mit dem der Nachbarländer. Teilen Sie diese Meinung? 

NORBERT HAUPERT: Der Wohlstand unseres Landes wird zum großen Teil vom Finanzsektor erwirtschaftet. Die Abhängigkeit von diesem Wirtschaftsbereich ist zu stark. Luxemburg braucht andere Aktivitäten, die mit weniger Arbeitskräften auskommen. 

Massive Investitionen in Forschung

TELECRAN: Welche meinen Sie? 

NORBERT HAUPERT: Zum Beispiel die Wissensgesellschaft. Die Regierung hat bereits wichtige Akzente in ihrem Haushaltsentwurf gesetzt. So wird massiv in Forschung investiert. Dass wir unsere Ambitionen auf die der Nachbarländer herunterschrauben sollen, kann ich so nicht teilen. Es wäre unklug, sich auf einen niedrigeren Ausgangspunkt zurückzuversetzen, wenn es darum geht, das Entwicklungspotenzial optimal auszuloten. Übrigens hat unter anderem auch der "Conseil superieur du developpement" sich kritisch mit diesen Fragen befasst, freilich ohne eine schlüssige Lösung vorzuschlagen. 

TELECRAN: Wie bewerten Sie den Zustand der Staatsfinanzen? 

NORBERT HAUPERT: Mit der Unterstützung, die den Banken Dexia und Fortis gewährt wurde, beläuft sich die Staatsschuld auf 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Spezialfonds sind prall gefüllt. Mit neun Milliarden Euro Einlagen bei den Rentenkassen ist die Finanzierung der Altersversorgung für dreieinhalb Jahre abgesichert. Dies zeigt, dass die Finanzlage des Staates gesund ist. 

TELECRAN: Allerdings ist es schwer, dies genau abzuschätzen, weil das Budget nach zwei Methoden aufgestellt wird: Laut der nationalen Aufstellung schließt der Haushalt mit einem Überschuss von 13 Millionen Euro ab, laut der europäischen mit einem Defizit von 700 Millionen. Welches ist denn nun das "richtige" Budget? 

NORBERT HAUPERT: Die Währungsunion erfordert von allen beteiligten Ländern eine einheitliche Aufstellung ihrer Haushalte. Für Luxemburg bedeutet dies, dass auch die Spezialfonds, die Gemeinden und die soziale Sicherheit in diesem so genannten europäischen Budget berücksichtigt werden. Eigentlich ist die europäische Sichtweise die korrekte. 

TELECRAN: Tatsächlich werden substanzielle staatliche Geldsummen außerhalb des vom Haushaltsgesetz abgesteckten Rahmens ausgegeben und auch eingenommen. Dies geschieht in den Spezialfonds, deren Entwicklung der Staatsrat ebenfalls mit Sorge verfolgt. Wie ist Ihre Meinung dazu? 

NORBERT HAUPERT: Die Spezialfonds sind mit 1,7 Milliarden Euro bestückt. Sie nehmen etwa eine Milliarde Einnahmen ein. Diese Einnahmen fließen also sozusagen außerhalb der Haushaltsplanung in die Fonds ein, und darüber sorgt sich der Staatsrat. Tatsache ist, dass diese Prozedur es den Fonds ermöglicht, flexibel zu arbeiten. Und dies ist meiner Meinung nach ein wichtiger Vorteil, der auch dem Land zugute kommt. Laut den Maastricht-Kriterien müssen diese Finanzbewegungen jedoch einen Niederschlag im Staatshaushalt finden. Aber auch der nationale Entwurf trägt ihnen Rechnung. Sie sind in einem gesonderten Teil des Haushaltsentwurfs aufgelistet. 

"In den Händen einer gesunden Politik"

Telecran: Was ist die größte Herausforderung des Haushalts fürs kommende Jahr? 

NORBERT HAUPERT: Dass wir die Einnahmen so gestalten, dass ein zu hohes Defizit vermieden werden kann. Zum Beispiel rechnen wir noch mit substanziellen Einnahmen seitens der Steuerverwaltung, die noch massive Steuerrückstände eintreiben wird. Allerdings ist dies eine einmalige Aktion. Eine Art Nothilfe, die beim nächsten Mal nicht mehr möglich sein wird. 

TELECRAN: Berichterstatter zum Haushaltsgesetz zu sein, wird allgemein als große Ehre angesehen. Empfinden Sie das auch so? 

NORBERT HAUPERT: Für mich bedeutet es einen Vertrauensbeweis der Partei. Es ist ein Zeichen der Anerkennung. Es ist eine faszinierende Aufgabe, Berichterstatter zu einem derart schwierigen Budget zu sein. Ich empfinde es auch als intellektuelle Bereicherung. Seit meinen Studien bin ich nie wieder so stark gefordert worden wie jetzt. Obwohl ich seit zehn Jahren Abgeordneter bin, habe ich bei der Vorbereitung dieses Berichts viel über die Zusammenhänge in unserem Land dazu gelernt. 

TELECRAN: Wie haben sich diese neuen Erkenntnisse ausgewirkt? Sind Sie jetzt besorgter als früher oder eher zuversichtlicher? 

NORBERT HAUPERT: Was die Lage des Landes betrifft, bin ich auf jeden Fall zuversichtlich. Sie ist in den Händen einer gesunden Politik. 

TELECRAN: Bereits vor der Vorstellung Ihres Berichts im Parlament haben Sie eine ungewöhnliche Initiative ergriffen: Sie gingen sozusagen mit dem Budget auf Tournee in die Lyzeen. Warum tun Sie das? 

NORBERT HAUPERT: Es wird ja allgemein bemängelt, dass die Jugend sich nicht genug für Politik interessiert. Als früherer Lehrer und Lyzeumsdirektor interessiere ich mich natürlich sehr stark für die Entwicklung der Jugend. Ich habe mit Interesse verfolgt, wie Minister Nicolas Schmit vor dem EU-Referendum das Projekt Europa in den Schulen erklärte. Dies hat mich auf die Idee gebracht, das Budget ebenfalls in den Schulen zu erklären. Immerhin handelt es sich um das wichtigste Gesetz des Jahres. Ich finde es wichtig, den Schülern zu erklären, wie der Staat seine verschiedenen Aufgaben finanziert. Bis jetzt war ich erst in einem Lyzeum, und zwar in Wiltz. Die Schüler stellten präzise Fragen und interessierten sich ganz besonders für die Auswirkungen der Finanzkrise. Ich wollte zwar nur ein Lyzeum pro Region besuchen. Also insgesamt vier. Mittlerweile habe ich bereits zusätzliche Einladungen erhalten. Dies zeigt, dass ich wohl den Nerv der Zeit getroffen habe. Und möglicherweise ist die Jugend doch nicht so wenig an Politik interessiert, wie stets befürchtet wird.

NORBERT HAUPERT, 68, ist pensionierter Wirtschafts- und Mathematiklehrer. Seit 1999 ist er CSV-Abgeordneter. Vor seiner politischen Karriere war Haupert als Sportler zu Ruhm gelangt. Als Leichtathlet hatte er 1960 an den Olympischen Spielen in Rom teilgenommen. Von 1989 bis 1999 war Norbert Maupert Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (COSL).

Quelle: Télécran, 26. November 2008, Maryse Lanners