Die große Wahl

Mit knapp 400 000 Personen sind mehr Wahlberechtigte zur Wahl der Chambre des salariés zugelassen als zu den Parlamentswahlen. Auch Grenzgänger und Ausländer können sich an der Wahl beteiligen. Arbeitsminister François Biltgen zu den Sozialwahlen im Wort-Interview

Minister Biltgen, was macht die Sozialwahlen so besonders?

Die Sozialwahlen bestehen ja aus zwei Teilen, es gibt die Wahl der Betriebsräte und es gibt die Wahlen für die Berufskammern. Die neue Chambre des salariés ist ein wichtiges Element der sozialen Demokratie in Luxemburg. Die Wahl gibt es in der Form im Ausland nicht. Jeder, der in Luxemburg arbeitet oder gearbeitet hat, unabhängig davon, ob er seinen Wohnsitz im Großherzogtum hat oder nicht, unabhängig auch von seiner Staatsangehörigkeit, kann sich an der Wahl beteiligen. Er genießt das aktive und das passive Wahlrecht. Oft wird ja der Vorwurf erhoben, wir würden die in Luxemburg lebenden Ausländer, die zu einem nicht unerheblichen Teil zum Reichtum des Landes beitragen, vom Wahlrecht ausschließen. Bei den Berufskammerwahlen ist das Gegenteil der Fall. Insgesamt sind knapp 400 000 Arbeitnehmer zur Wahl aufgerufen. Gleichzeitig leben nur etwa 280 000 Luxemburger im Land. Somit ist die Berufskammerwahl zahlenmäßig die größte Wahl in Luxemburg, umfangreicher als die Parlamentswahlen.

Während die Gewerkschaften und die Politik nicht müde werden, die Bedeutung der Sozialwahlen hervorzustreichen, ist das Interesse der Arbeitnehmer traditionell eher gering. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Man muss unterscheiden. In einigen Bereichen liegt die Wahlbeteiligung sehr hoch, in anderen Sektoren hingegen sehr niedrig. Mehrere Faktoren beeinflussen die Wahlbeteiligung. Sie ist traditionell in den Sektoren hoch, in denen große Betriebe angesiedelt sind. Auch die Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter spielt eine Rolle. Schließlich ist die Wahlbeteiligung in Betrieben mit einer starken gewerkschaftlichen Präsenz höher als in Unternehmen, in denen es keine Gewerkschaften gibt. All diese Elemente stärken nämlich die Kultur des Sozialdialogs. Schließlich spielt es aber auch eine Rolle, ob die Belegschaft mehrheitlich aus Luxemburgern oder aus Grenzgängern besteht. Grenzgänger beteiligen sich traditionell seltener an den Wahlen.

Wie wollen Sie das Interesse an den Sozialwahlen und somit an der Arbeitnehmerkammer steigern, oder rechnen Sie bereits bei diesem Urnengang mit einer höheren Wahlbeteiligung?

Die Schaffung einer einheitlichen Arbeitnehmerkammer allein wird kaum zu einer höheren Wahlbeteiligung führen. Wenn die neue Arbeitnehmerkammer am 5. Januar 2009 ihre Arbeit aufgenommen hat, wird eine ihrer Aufgaben darin bestehen, Werbung in eigener Sache zu machen. Die Chambre des salariés muss in den nächsten fünf Jahren dafür sorgen, dass sie bei den Arbeitnehmern bekannter wird. Sie muss sich bei ihren Mitgliedern stärker ins Gespräch bringen. Es reicht nicht, ein Gutachten zu einem Gesetzesprojekt zu verfassen, das die Interessen der Arbeitnehmer tangiert. Die Kammer muss die Arbeitnehmer auch darüber informieren, was in dem Gutachten steht. Einen höheren Bekanntheitsgrad kann sie u.a. über den Weg der Dienstleistungen erreichen. Ich denke hier beispielsweise an die Weiterbildung. Durch die Fusion der beiden Kammern können auf diesem Gebiet Synergien genutzt werden. Davon wird der Arbeitsmarkt insgesamt profitieren.

Glauben Sie, dass die Krise sich auf die Wahlbeteiligung auswirken wird?

Es ist durchaus möglich, dass die angespannte Lage im Finanzsektor und die möglichen Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu einer höheren Wahlbeteiligung führen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Menschen sich auf das gewerkschaftliche Engagement zurückbesinnen. Genaueres werden wir heute Abend, bzw. morgen wissen.

Wie steht es um die Reform der Mitbestimmung?

Im Rahmen der Tripartite hat die Arbeitgeberseite dem Einheitsstatut zugestimmt. Als Gegenleistung haben die Arbeitnehmerverbände auf die geplante Reform der Mitbestimmung verzichtet. Ich musste also den Vorentwurf, zu dem bereits Gutachten vorlagen, zurückziehen. Allerdings habe ich den Vorentwurf zusammen mit den Gutachten an den Wirtschafts- und Sozialrat weitergeleitet. Der Wirtschafts- und Sozialrat soll nun überprüfen, ob man nicht wenigstens in einigen Teilbereichen einen Konsens erzielen kann. Ich bin nämlich nach wie vor überzeugt, dass die aktuelle Gesetzgebung aus den Jahren 1974 und 1979 reformbedürftig ist. Als Arbeitsminister bin ich aber an das Tripartite-Abkommen gebunden. Wenn das Abkommen am 1. Januar 2010 ausläuft, gilt auch die Verpflichtung in Bezug auf die Mitbestimmung nicht mehr. Dann kann man auf der Vorarbeit, die bereits geleistet wurde, aufbauen. Allein deshalb ist es wichtig, dass der Wirtschafts- und Sozialrat mit der Reform der Mitbestimmung befasst wurde. 

Quelle: Luxemburger Wort, 12. November 2008, Dani Schumacher