“Geschlossen und glaubwürdig”

Plädoyer für christliche Soziallehre. Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker ist als Vorsitzender der Eurogruppe seit Wochen mit der Ausarbeitung der EU-Reaktion auf die Finanzkrise befasst. Nach Abschluss des EU-Gipfels unterhielt sich das „Luxemburger Wort“ mit Juncker.

Was ist die wichtigste Entscheidung des EU-Gipfels?

Der am Sonntag von den Ländern der Eurozone geschnürte Krisenplan ist von allen 27 übernommen worden. Es wäre eine katastrophale Entwicklung gewesen, wenn einzelne Länder ausgeschert wären.

Warum ist diese Geschlossenheit so wichtig?

Alle 27 tragen den Plan. Auch in den USA finden die Beschlüsse eifrige Nachahmer. Das verleiht dem Plan eine erhöhte Glaubwürdigkeit.

Mit welcher Entscheidung sind Sie besonders zufrieden?

Ich bin zufrieden, dass der luxemburgische Vorschlag, einmal pro Monat die Vorsitzenden der nationalen Bankenaufsichtsbehörden zwecks verbessertem Informationsaustausch zusammenkommen zu lassen, berücksichtigt wurde.

Freut Sie die Schaffung des Vierer-Arbeitsstabs?

Die Entscheidung, eine schnelle Einsatzgruppe zu bilden, ist folgerichtig, und dürfte meinen Arbeitsablauf der vergangenen Wochen nicht grundlegend ändern. Als Eurogruppe-Chef war ich in den vergangenen sechs Wochen Tag und Nacht im Einsatz. In solchen Situationen ist es besser, zu den Akteuren zu gehören, die Entscheidungen vorbereiten, als später über getroffene Entscheidungen in der Zeitung zu lesen.

Haben die Entscheidungen auf EU-Ebene direkte Auswirkungen auf Luxemburg?

Die Rettung von Fortis und Dexia, das Bestreben, die Einlagen der Kunden der isländischen Bank Kaupthing zu gewährleisten, die Diskussion über Neuregelungen bei der Bankenüberwachung – das sind alles Themen, die Luxemburg direkt betreffen.

Wie geht es mit dem Klimapaket weiter?

Eine Reihe mittel- und osteuropäischer Länder und Italien haben versucht, Ziele und Zeittafel in Frage zu stellen. Doch diese beiden Elemente sind vom Rat bestätigt worden. Das Klimapaket ist Bestandteil der Ergebnismasse des Gipfels. Die Präsidentschaft muss bei der Lastenverteilung länderspezifische Aspekte berücksichtigen. Das ist auch für Luxemburg bei der Nutzung erneuerbarer Energien von Bedeutung.

Was soll sich im Weltfinanzsystem ändern?

Die Finanzwelt kann nach der aktuellen Krise nicht mehr dieselbe sein wie im Vorfeld. Wir brauchen mehr Transparenz bei den Finanzprodukten, nachhaltige Arbeitsweisen der Rating-Agenturen und eine verbesserte Bankenaufsicht.

Eine zentrale europäische Behörde lehnen Sie ab?

Der Informationsfluss muss besser koordiniert werden. Gemeinsame Regeln bedingen nicht unbedingt eine zentrale europäische Behörde. Luxemburg würde lieber selber die Aufsicht für seine in Luxemburg ansässigen Filialen ausüben, statt den Aufsichtsaktivitäten der Länder unterworfen zu sein, in denen die Mutterhäuser der in Luxemburg ansässigen Filialen beheimatet sind.

Braucht die Finanzwelt nicht mehr Moral?

Ich habe mich regelmäßig gegen den frenetischen Hang zur Deregulierung ausgesprochen. Ich war stets der Auffassung, dass diese Entwicklung gefährlich war. In diesen Zusammenhang habe ich die EU-Staats- und Regierungschefs an die katholische Soziallehre erinnert.

Was fordern Sie konkret?

Wir müssen uns mit den USA über die Entschädigungsstrukturen von Finanzmanagern unterhalten. Anreize zu überproportionalen Verdienstmöglichkeiten durch Risiken, die weit über verantwortungsbewusstes Management hinauslaufen, gehören ausradiert.

Braucht die EU mehr permanente Strukturen?

Eine permanente politische Führung, wie sie der Lissaboner Vertrag vorsieht, ist in Krisenzeiten unverzichtbar. Nur die Eurogruppe hat derzeit einen permanenten Präsidenten. Wenn dieser Vorsitz alle sechs Monate wechseln würde, könnte die Krise nicht konsequent begleitet werden.

Ist die Finanzmarktkrise ausgestanden?

Ich kann das Ende des Tunnels nicht sehen. Ich probiere vielmehr, den Platz zu finden, wo der Tunnel in den Berg geht.

Was ist eine „systemische Bank“?

Jedes EU-Land muss entscheiden, welche Banken es vor dem Konkurs zu bewahren gedenkt. Im Parlament habe ich gesagt, dass die Regierung keine Banken fallen lässt, mit denen Luxemburger Bankgeschäfte machen.

Und Kaupthing?

Die Zentrale ist in Island, die Niederlassung in Luxemburg ist Mutterhaus der belgischen Filialen. Die Kunden, die fürchten, ihre Einlagen zu verlieren, sind in Antwerpen und Brüssel. Hier muss der Solidaritätsgedanke zum Zug kommen. Wir können Menschen, die ihr ganzes Leben lang gespart haben, nicht hängen lassen. Das ist auch wegen des Ansehens des Finanzplatzes Luxemburg wichtig.

Inwiefern?

Wenn etwa in Belgien der Eindruck entstehen würde, dass die luxemburgische Regierung nur solche Banken unterstützt, die Spareinlagen von Luxemburgern verwalten, würden wir dem Finanzplatz Luxemburg den Todesstoß versetzen.

Setzt der Ministerrat heute die Pariser Beschlüsse um?

Wir entscheiden heute über die Erweiterung der Einlagensicherung.

QUELLE: WORT, INTERVIEW: M. SCHLAMMES UND J. ADAMOWICZ