Krisenmanager im Dauereinsatz

Es ist nichts mehr, wie es einmal war in der Finanzwelt und Luxemburg ist mittendrin: Retter in Not sind die Staaten. Sie sind die Helden der Stunde. Luxemburgs Mann an vorderster Front war Luc Frieden. Télécran Interview mit dem für den Finanzplatz zuständigem Minister

TELECRAN: Herr Minister, angesichts der Turbulenzen im Finanzsektor verliert man den Überblick. Vergangene Woche hat der Luxemburger Staat die Fortis Bank mit 2,5 Milliarden Euro gestützt. Anschließend wurde Fortis von BNP-Paribas übernommen. Ist unser Geld nun weg? 

LUC FRIEDEN: Die 2,5 Milliarden bleiben in der neuen Bank. Der Staat wird mit 33 Prozent an BNP Paribas beteiligt und erhält BNP-Aktien im Wert von 900 Millionen Euro. Das Geld ist also nicht weg. Es wurde bei der Bank angelegt. Bei den jüngsten Operationen verfolgte der Staat zwei Ziele: das Vertrauen der Sparer zu sichern und einen Kollaps des Bankensystems zu verhindern. Das ist uns gelungen. Mit BNP Paribas haben wir zudem einen starken Partner ins Boot gebracht. Die Lösung ist auch im Interesse der Beschäftigten. 

TELECRAN: Wie geht es weiter? War das die letzte Rettungsaktion? 

LUC FRIEDEN: So lange die Krise anhält, ist es schwer diesbezüglich Vorhersagen zu machen. Wir stellen jedoch fest, dass nach dem Eingreifen des Staates Ruhe eingekehrt ist. 

TELECRAN: Sie selbst waren in den vergangenen Tagen im konstanten Kriseneinsatz. Wie hält man das aus? 

LUC FRIEDEN: Schlaf gibt es kaum. Vergangene Woche war ich zwei Nächte überhaupt nicht im Bett. Das Wort Wochenende kenne ich nicht mehr. Andererseits bin ich ungeheuer motiviert. Durch unsere Aktionen wird die Lage abgesichert. Und das ist im Interesse von Tausenden von Sparern. 

TELECRAN: War es die extremste Zeit, die sie jemals erlebt haben? 

LUC FRIEDEN: In diesem Ministerium, ja. Im Justizministerium gab es jedoch vergleichbare Momente. Um die innere Sicherheit zu gewährleisten, stand ich zuweilen vor extremen Entscheidungen. Ich denke an Ausweisungen oder an die Geiselnahme von Wasserbillig. Allerdings sind die Auswirkungen der finanzpolitischen Entscheidungen unvergleichbar größer. Tausende von Bürger sind davon betroffen. Wir mussten den Fortbestand des Bankensystems absichern. 

TELECRAN: Haben Sie ganz allein entschieden? 

LUC FRIEDEN: Ich war allein, was die Unterschrift angeht. Der Schatzamtminister ist allein verantwortlich für die Freigabe der Gelder. Aber im Kopf hatte ich den Premierminister stets dabei. Ich habe die Verhandlungen zum Teil allein und teilweise auch gemeinsam mit Wirtschaftsminister Krecké geführt, stand jedoch regelmäßig in telefonischem Kontakt mit Juncker. Wir haben sehr eng zusammengearbeitet. Er rief mich mitten in der Nacht und in den frühen Morgenstunden an, um gemeinsam zu entscheiden. 

TELECRAN: Und morgens um halb acht waren Sie im Radio… 

LUC FRIEDEN: Die Kommunikation war extrem wichtig. Die Entscheidungen mussten vor der Öffnung der Bankschalter bekannt gemacht werden. Die Gefahr bestand, dass die Leute ihre Ersparnisse abheben würden. Es war wichtig, die Menschen zu beruhigen. Ihnen zu sagen, dass die Banken abgesichert sind. Und dass ihr Geld dort sicherer ist als zu Hause. Das war auch in Frankreich und in Belgien so. Christine Lagarde, Didier Reynders und ich hatten uns diesbezüglich abgesprochen. Jeder war um die gleiche Zeit auf seinen nationalen Frequenzen präsent. Es war wichtig, das Vertrauen wieder herzustellen und die legitimen Fragen der Sparer zu beantworten. 

TELECRAN: Sie haben viel Verantwortung auf ihre Schultern geladen. Wie geht man damit um? 

LUC FRIEDEN: Derart gefordert zu werden, setzt bei mir ungeheure Energien frei. Ich arbeite mit höchster Konzentration und Effizienz. In solchen Momenten entfällt sogar die Müdigkeit. Natürlich habe ich mir diese Krise nicht herbei gesehnt. Es ging um dramatisch schwierige Entscheidungen. Aber in genau solchen Momenten merkt man als Politiker, wozu man eigentlich da ist. Da läuft man zu Hochform auf. 

TELECRAN: Was hat Sie am meisten beeindruckt? 

LUC FRIEDEN: Dass von diesen Entscheidungen das Los von Hunderttausenden Sparern abhängt. Und dass es nur eine einzige Chance gab, das Richtige zu tun. 

TELECRAN: Es geht um sehr viel Geld: Fast drei Milliarden Euro haben Sie in zwei Nächten engagiert – einer Benelux-Nacht und einer belgisch- französischen. Wie war das Klima zwischen den Ministern der verschiedenen Länder? 

LUC FRIEDEN: Es gibt positive und negative Erkenntnisse: Positiv ist das Bewusstsein, dass Lösungen innerhalb Europas nur gemeinsam zu finden sind. Andererseits wurde klar, dass jedes Land sich zuallererst um seine eigenen Sparer kümmert. Der nationale Reflex war nicht zu leugnen. Meine größte Sorge waren die Luxemburger Sparer. Doch für die Absicherung unserer Interessen war die europäische Zusammenarbeit ausschlaggebend. Mir wurde auch bewusst, wie wichtig es ist, gute Kontakte im Ausland zu haben. Ich habe viel über Handy telefoniert. Juncker auch. Wir standen unter größtem Zeitdruck. Die Entscheidungen mussten vor acht Uhr getroffen sein. Es traf sich übrigens gut, dass sowohl Lagarde und Reynders als auch ich durch unsere berufliche Erfahrung – wir waren alle drei Wirtschaftsanwälte – bestens mit den Mechanismen der Bankenwelt vertraut waren. 

TELECRAN: In den französischen Medien wurde die Rolle Luxemburgs beim Dexia-Deal kaum erwähnt. Hat das Sie gestört? 

LUC FRIEDEN: Das habe ich nicht einmal bemerkt. Mir war es wichtig, das Beste für mein Land zu tun. Luxemburg hat bei diesem Deal eine Schlüsselrolle gespielt. Ohne uns wäre es nicht zu Resultaten gekommen. 

TELECRAN: Doch es bedeutet auch ein Risiko: Die Rettung der Banken kostet Luxemburg etwa drei Milliarden Euro…. 

LUC FRIEDEN: Das Geld ist doch kein Geschenk an die Banken! Wir haben es dort angelegt, die konvertiblen Schuldscheine werden in Aktien umgewandelt, und wenn es den Banken wieder besser geht, werden wir Gewinne einfahren. Und es geht nicht zu Lasten des Staatshaushalts!
TELECRAN: Die Frage lautet: Wo nehmen Sie das Geld ursprünglich her? Anfangs hieß es, das Gros würde aus dem Schatzamt bezogen. Wobei sich die Frage aufdrängt nach der Rolle dieses Schatzamts. 

LUC FRIEDEN: Wie jeder Verein hat auch der Staat Luxemburg eine Kasse. Ich bin sozusagen der oberste Schatzmeister des Vereins Luxemburg. Aus dem Tresor werden zum Beispiel die Gehälter der Staatsbeamten bezahlt. Was die drei Milliarden betrifft, so haben wir mittlerweile beschlossen, den Löwenanteil via Kredit zu finanzieren. 

TELECRAN: Ohne Gefahr für die Stabilität der Sparkasse? 

LUC FRIEDEN: Wir werden bei mehreren Banken Anleihen aufnehmen. Die Banken leihen dem Staat gerne Geld, denn er ist ein guter Kunde. Der wichtigste Punkt ist doch – und ich wiederhole es: All dies wird keinerlei Auswirkungen auf den Haushalt haben. 

TELECRAN: In diesen schweren Zeiten legen Sie tatsächlich ein Budget vor, das im Plus abschließt – inklusive einer Anpassung der Steuertabelle um neun Prozent. Dabei ist ausgerechnet der Finanzsektor, der traditionsgemäß am meisten Geld in die Staatskasse spült, derzeit wenig ergiebig. Wo wurde denn gespart? 

LUC FRIEDEN: Seit dem 18. August hatte ich mit jedem Fachminister einzeln und hartnäckig verhandelt. Jeder hat auf mindestens ein Projekt verzichten müssen. Wir haben die staatlichen Kosten niedrig gehalten. Andererseits ist die Erhöhung der Kaufkraft eine extrem starke Steuerungsmaßnahme. Eine derartige Entscheidung fällt der Budgetminister nicht allein. Ich habe viel Vertrauen und auch Unterstützung seitens der Kollegen. Haushaltsminister ist kein Ein-Mann-Betrieb. Ein wichtiges Signal ist auch das weiterhin sehr hohe Niveau der Investitionsausgaben. 

TELECRAN: Kann man dieses Budget als Ihren größten Wurf bezeichnen? 

LUC FRIEDEN: 2004 war auch nicht einfach. Was diesmal besonders ist, ist die Unabwägbarkeit des internationalen Umfelds. 

TELECRAN: Das Budget geht auf, wenn alles "riicht geet", sagte der Staatsminister bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs im Parlament. Wovor hat er Angst? 

LUC FRIEDEN: Es gibt keine Entscheidung ohne Risiko. Wir setzen auf die Konsolidierung der Banken. Und darauf, dass der Konsum durch die Stärkung der Kaufkraft anhält. 

TELECRAN: Sie rechnen mit 2,7 Milliarden Einnahmen an TVA. Worauf begründen Sie diese optimistische Einschätzung? 

LUC FRIEDEN: Ende August hatten wir bereits 83 Prozent der für dieses Jahr vorgesehenen Einnahmen kassiert. 2009 dürfte ähnlich verlaufen. Die Luxemburger haben weiterhin eine hohe Kaufkraft. Sie konsumieren viel. Dieser Trend wird durch die Anpassung der Steuertabelle gestärkt. 

TELECRAN: Das Budget und die Maßnahmen zugunsten der Banken stießen auf große Zustimmung im politischen Spektrum. Eine Genugtuung? 

LUC FRIEDEN: Es zeigt, dass die Luxemburger zusammenstehen, wenn die Lage ernst ist. Dann wird auf parteipolisches Kalkül verzichtet. 

TELECRAN: Die Schwere der Fortis/Dexia-Krise hat der Regierungschef mehrmals mit der Stahlkrise verglichen. In Anlehnung daran, ist das, was wir jetzt erleben, der Anfang vom Ende des Finanzplatzes Luxemburg? 

LUC FRIEDEN: Ich kann mich gut an die Stahlkrise erinnern. Ich war damals ein Kind. Mein Vater war Beamter bei der Arbed. Meine Eltern waren besorgt, die Stimmung war gedrückt. Dann hat der Staat eingegriffen. Die Arbed wurde wieder stärker. Heute hat der größte Stahlkonzern der Welt seinen Sitz in Luxemburg. Das müssen wir auch mit dem Finanzplatz schaffen. Der Finanzplatz ist weiterhin ausbaufähig. Daran glaube ich ganz fest. Wir müssen jetzt die Zukunft vorbereiten. 

TELECRAN: Die Stahlkrise zeigte, wie notwendig es ist, die Wirtschaft zu diversifizieren. Im Rahmen der Finanzkrise werden wir daran erinnert. Wohin steuern wir jetzt? Wird Luxemburg zum Forschungsstandort ausgebaut? 

LUC FRIEDEN: Wir investieren sehr stark in Bio-Technologien. Heute wissen wir nicht, ob es sich jemals auszahlen wird. Auch dieses Invest ist mit einem Risiko verbunden. Ohne Risiko kommt man nicht vorwärts. Hätte Pierre Werner damals nicht an das Satellitengeschäft geglaubt und es mit staatlichen Geldern unterstützt, gäbe es heute keine SES. Hätte der Staat die Arbed nicht unterstützt, wäre es vorbei gewesen mit der Stahlindustrie. Heute haben wir das Gleiche mit den Banken getan. Daraus kann man Lehren ziehen. Es lohnt sich, wenn der Staat sich zu außergewöhnlichen Schritten entschließt. 

TELECRAN: A propos Lehren: Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Finanzkrise? 

LUC FRIEDEN: Als Individuum und als Gesellschaft müssen wir damit aufhören, immer schneller viel Geld verdienen zu wollen. Wir müssen auch überprüfen, ob wirklich alle Aktivitäten am Finanzplatz künftig zulässig sind. Dabei möchte ich nicht missverstanden werden: Das Bankgeschäft an sich ist eine noble Aktivität. Wir müssen die Risiken einschränken. Angesichts der globalen Vernetzung ist ein starkes Europa mehr denn je gefordert. Die Finanzkrise hat auch deutlich gemacht, dassder Staat eine wichtige Rolle in der Wirtschaft spielen kann. 

TELECRAN: Glauben Sie, dass die Rolle des Staates gegenüber der Wirtschaft gestärkt wurde? 

LUC FRIEDEN: Die Leute haben bemerkt, dass ein starker Staat wichtig ist. Der Staat muss die Wirtschaft führen und den Menschen Halt geben und sie schützen.

Quelle: Télécran, 7. Oktober 2008, Maryse Lanners