„Fester Wille, an einem Strang zu ziehen“

Premierminister Jean-Claude Juncker, der als Chef der Eurogruppe am Samstag an dem Spitzentreffen der vier großen EU-Wirtschaftsnationen in Paris teilnahm, streicht besonders das koordinierte Signal hervor, das die Europäer zur Lösung der globalen Finanzkrise geben. Er spricht sich für einen „Kapitalismus der Unternehmer“ und gegen einen „Kapitalismus der Abenteurer“ aus. In seinem Alter habe er keine Lust mehr, ins Kasino zu gehen, meint er hinsichtlich der komplexen Finanzinstrumente, die zu den Auslösern des Debakels gezählt werden. Im Gespräch mit dem „Wort“ betont Juncker, der Stabilitätspakt solle mit Flexibilität angewandt werden, seine reformierten Regeln müssten jedoch respektiert werden.

Herr Staatsminister, wie bewerten Sie das Ergebnis des Krisengipfels in Paris, an dem Sie als Chef der Eurogruppe teilgenommen haben?

Auf diesem Treffen hat sich gezeigt, dass die Europäer den festen Willen haben, an einem Strang zu ziehen. Sie wollen darauf achten, dass sich „Rettungsaktionen“, die ein Land unternimmt, nicht negativ auf andere auswirken. Beispiel Irland: Wenn die Regierung in Dublin die Einlagen der irischen Banken, die in Irland tätig sind, schützt, die der anderen Banken auf dem gleichen Markt jedoch nicht, dann kommt es zum fliegenden Wechsel der Kunden nicht-irischer Banken zu irischen Instituten. Was in Dublin geschah, war eine Rettungsaktion, die – gelinde gesagt – nicht allen grenzüberschreitenden Faktoren Rechnung trägt. Auf unserem Treffen in Paris wurde auch beschlossen, dass die Liquidität derjenigen Banken, deren Niedergang ein systemisches Risiko für das gesamte Finanzsystem in Europa bedeuten würde, gesichert ist. Selbstverständlich müssen dabei nicht nur die Staaten und die Zentralbanken, sondern auch das private Kapital einen Teil der Verantwortung übernehmen.

Könnte der Stabilitätspakt das Opfer des Pariser Krisentreffens sein?

Der Stabilitätspakt soll mit Flexibilität angewandt werden, seine reformierten Regeln müssen aber respektiert werden. Das bedeutet, dass der Konsolidierungskurs der öffentlichen Finanzen in Europa fortgesetzt wird, dass aber die Bewertung einzelner Maßnahmen etwas breiter interpretiert werden darf. Ein Beispiel: Wenn ein Mitgliedsstaat, wie Luxemburg es auch tat, einer Bank unter die Arme greift, dann zählt das nicht als Erweiterung des Defizits, sondern als Vergrößerung der öffentlichen Schuld. Es fällt also nicht unter das erste Maastricht-Kriterium – das besagt, dass die Neuverschuldung 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt nicht übersteigen darf – sondern unter das zweite Kriterium: nicht mehr als 60 Prozent des BIP als Staatsverschuldung. Die jetzige Krise soll kein Freibrief zur Erhöhung des Defizits sein. Das hätte eine vertrauenszerstörende Wirkung. Es würde bedeuten, dass man die heutigen Probleme auf Kosten kommender Generationen löst.

Ein EU-Krisenfonds nach Vorbild der USA wurde nicht beschlossen. Warum?

Schon vor dem Gipfel gehörte ich zu denjenigen, die einen derartigen Fonds ablehnten. Die Situation in Amerika ist nicht mit der in Europa vergleichbar, unser Finanzsystem ist wesentlich stabiler. Alle beteiligten Staaten haben heute klargemacht, dass sie, in Abstimmung mit den Partnern, keine Bank in den Konkurs treiben lassen.

Zeigt diese Krise nicht auch die Notwendigkeit, die bislang informelle Eurogruppe auf eine institutionelle Basis zu stellen? Sie haben sich als deren Präsident schon öfter zur Krise geäußert, doch waren das doch eher persönliche Einschätzungen, oder?

Der Vertrag von Lissabon sieht ja die Institutionalisierung vor. Durch meine erneute Mandatsverlängerung nimmt die Eurogruppe eine institutionelle Herangehensweise schon vorweg. Alle meine Aussagen zur Krise oder zu anderen Themen geschehen in enger Absprache mit den anderen Finanzministern der Eurozone.

Welche Botschaft wird der Präsident der Eurogruppe im Gepäck haben, wenn er Ende dieser Woche an dem G7-Treffen der Finanzminister in Washington teilnimmt?

Ich gehe davon aus, dass die Mitglieder der Eurogruppe, die am Montag in Luxemburg zusammenkommen, und einen Tag später alle Finanzminister der EU, sich große Teile der Beschlüsse zu eigen machen werden, die heute in Paris gefasst wurden. Deshalb werden diese Beschlüsse die Basis meiner Intervention beim G7 bilden.

Herr Sarkozy hat heute Abend erklärt, dass die für die Krise Verantwortlichen bestraft würden. Wen meinte er eigentlich damit. Etwa die Rating-Agenturen? Die Manager?

Schuldzuweisungen halte ich für wenig produktiv. Klar ist aber auch, dass die Rating-Agenturen nicht mehr ihre eigenen Kunden bewerten dürfen. Dieses System hat gezeigt, dass es die Spur nicht hält. Die Besoldungsstruktur der Bankenmanager darf keine Instrumente enthalten, die hohes und unüberlegtes Risiko belohnen. Schon vor drei Jahren schlug ich diese Maßnahme im Ecofin-Rat vor. Sie glauben ja nicht, wie groß der Aufschrei damals war.

In den letzten Wochen haben Sie aus Ihrer Abneigung gegenüber Bankiers keinen Hehl gemacht. Brauchen sie sich nicht gegenseitig, die Politiker und die Bankiers?

ch habe nichts gegen den Berufsstand der Bankiers an sich, sondern nur gegen dessen Mitglieder, die nicht müde wurden, den Regierungen zu erklären, sie sollen sich gefälligst nicht in ihre Geschäfte einmischen. Es sind die gleichen, die jetzt flehentliche Hilferufe an die Politik richten. 

Quelle: Luxemburger Wort, 6. Oktober 2008, Pierre Leyers