“Nach der Krise wird die Welt eine andere sein.”

Nach dem Mini-Gipfel am Samstag in Paris hat sich das Tageblatt mit Jean-Claude Juncker unterhalten. In seiner Rolle als Präsident der Eurogruppe zählte er zu den sieben geladenen Gästen. Jean-Claude Juncker im Gespräch mit dem Tageblatt

Tageblatt: Sind Sie zufrieden mit dem Resultat des Gipfels am Samstag in Paris?

Jean-Claude Juncker: "Ich bin zufrieden. Die europäischen Länder, die in Paris versammelt waren, haben sich auf eine EU-Linie geeinigt."

Tageblatt: War dieser Gipfel sinnvoll, da neben EU-Kommission, Eurogruppe und Zentralbank nur die vier größten EU-Länder geladen waren?

Jean-Claude Juncker: "Es war gut, sich zu treffen, als Vorbereitung auf die kommenden Gespräche."

Tageblatt: Es wurde entschieden, keinen europäischen "Paulson-Plan" zur Stützung der Finanzmärkte aufzubauen. Was ist Ihre Meinung dazu? 

Jean-Claude Juncker: "Ich hatte schon im Vorfeld gesagt, dass ich nicht für einen solchen Plan bin. Wichtig ist, dass der Wille, gemeinsam zu handeln, verdeutlicht wurde. Wir werden keine soliden Banken abrutschen lassen. Der Finanzmarkt soll jedoch auch seinen Beitrag leisten. Zudem ist es nicht die Rolle einer Regierung, eine Bank zu managen."

Tageblatt: Die vier Länder haben sich nun auf eine Linie geeinigt. Wie geht es weiter? 

Jean-Claude Juncker: "Am Montag wird die Eurogruppe über die Ergebnisse beraten. Am Dienstag werden die EU-Finanzminister zu einem informellen Rat zusammenkommen. Ich glaube, sie alle werden den Schlussfolgerungen von Paris zustimmen, da bereits einige Zeit in diese Richtung diskutiert wurde. Dann werden wir diese Ideen gemeinsam auf dem nächsten GB-Gipfel vertreten."

Tageblatt: Rettungen von Banken sollen ab jetzt zwischen den verschiedenen Staaten abgestimmt werden. Was bedeutet das?

Jean-Claude Juncker: "Eine Rettungsaktion in einem Land darf sich nicht negativ auf ein anderes Land auswirken."

Tageblatt: In Irland garantiert der Staat seit kurzem alle Einlagen der irischen Banken. Die ausländischen beschweren sich über unlauteren Wettbewerb 

Jean-Claude Juncker: "Irland ist ein Beispiel, wie eine Rettungsaktion negative Auswirkungen auf andere haben kann. Dennoch, die Notwendigkeit zu handeln war groß – die Regierung musste verhindern, dass alle drei großen Banken abrutschen. Nun müssen wir miteinander reden."

Tageblatt: Werden die Rating-Agenturen nun für ihre schlechte Arbeit bestraft?

Jean-Claude Juncker: "Sie werden eigene Regeln erhalten. Sie dürfen nicht einfach Bewertungen über ihre eigenen Kunden abgeben können."

Tageblatt: Zudem wurde vereinbart, den europäischen Banken das Leben zu erleichtern. Die Bilanzierungsregeln sollen verändert werden. Warum?

Jean-Claude Juncker: "Die EU-Banken sollen gegenüber den anderen nicht benachteiligt werden. Diese Änderung wird jetzt schnell passieren."

Tageblatt: Brauchen wir nicht eine EU-Bankenaufsicht?

Jean-Claude Juncker: "Wir haben in Europa etwa 8.000 Banken, davon 44, die richtig grenzüberschreitend tätig sind. Somit liegt der Gedanke einer Überwachung durch die EU nahe. Dennoch ist ein gemeinsamer EU-Regelrahmen für die Aufsichten wichtiger. Zudem wird die Regulierung sowieso strenger werden."

Tageblatt: Ist eine globale Banken-Aufsicht denkbar?

Jean-Claude Juncker.: "Wir müssen in der EU weiter gehen, als dies auf globalem Plan passiert. Ich glaube, eine globale Aufsichtsbehörde ist keine realistische Option. Es braucht aber eine stärkere internationale Zusammenarbeit."

Tageblatt: Was halten Sie von der Idee, die Einlagensicherung für Sparer zu erhöhen?

Jean-Claude Juncker: "Die EU-Kommission wird einen Vorschlag ausarbeiten."

Tageblatt: Wird der Stabilitätspakt nun weiter aufgeweicht?

Jean-Claude Juncker.: "Jetzt ist nicht der Moment, neue Defizite zu machen. Die Haushalte sollen sich weiter konsolidieren, sonst bricht das Vertrauen weiter ein. Zudem würde unsere Generation die Probleme so nur auf die nächste Generation verschieben. Der Pakt soll aber mit Flexibilität angewandt werden. So müssen wir klären, dass die Fortis-Dexia-Rettungsaktionen von der EU nicht als Defizit angesehen werden, sondern nur als eine Erhöhung der Staatsschuld. Schließlich erhalten wir Aktiva als Gegenleistung."

Tageblatt: Auch die übermäßig hohe Besoldung von Bankmanagern war ein Thema auf dem Gipfel. Wird da jetzt was passieren?

Jean-Claude Juncker: "Die, die zu große Risiken auf sich nehmen, um Gewinne zu steigern, sollen dafür nicht belohnt werden. Immer mehr Leute, auch die, die vor einigen Jahren nicht einverstanden waren, etwas zu tun, wollen das heute. In zehn Jahren werden sie ihre Meinung dann wieder ändern."

Tageblatt: Haben Sie als Präsident der Eurogruppe überhaupt noch Zeit, sich um Luxemburg zu kümmern?

Jean-Claude Juncker.: "Im Gegenteil. Die Fälle Fortis und Dexia waren wegen meiner Tätigkeit als Präsident der Eurogruppe leichter zu lösen. Ich habe letzten Samstag mit fünf Regierungschefs telefoniert. Deutschland musste die Hypo Real Estate retten – das ist alles miteinander verknüpft."

Tageblatt: Was tun Sie als Staatsminister, um das Vertrauen im Land nicht einbrechen zu lassen?

Jean-Claude Juncker: "Die Regierung nimmt einen Teil der durch die hohe Inflation verursachten Kosten auf ihre Schulter. Im Haushalt sind Steuererleichterungen für Betriebe und Privatleute vorgesehen. Das sollte das Vertrauen stärken."

Tageblatt: Was ist los bei Fortis und Dexia?

Jean-Claude Juncker: "Fortis und Dexia haben eigentlich keine Probleme. Das ist alles irrational. Der Kapitalismus ist dabei, sich selber kaputt zu machen. Wie kann man auch mit der Vorstellung leben, man könnte reich werden, ohne zu arbeiten. Nun schlägt die Stunde der Moral."

Tageblatt: Bis wann werden wir noch mit dieser Krise leben müssen?

Jean-Claude Juncker: "Es handelt sich um die größte Krise seit 1929. Und sie ist noch nicht vorbei. Sie wird uns noch bis Mitte 2009 beschäftigen. Nach der Krise wird die Welt eine andere sein als vorher."

tageblatt, 6. Oktober 2008, Christian Muller