Der kommunale Mythos

Michel Wolter (CSV) leitete die Arbeiten der Spezialkommission. Bereits während seiner Amtszeit als Innenminister hatte er die Diskussion um eine Neugestaltung der kommunalen Landschaft ins Rollen gebracht und das IVL-Konzept auf die Tagesordnung gesetzt. Michel Wolter im Gespräch mit dem Luxemburger Wort

Herr Wolter, dreieinhalb Jahre hat die Kommission getagt. Hat der Berg eine Maus geboren?

Nein. Man kann das Ergebnis nicht an der Dauer festmachen. Es ist ein kompliziertes Thema, zu dem es sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Zum Teil quer durch die Parteien. Das Parlament diskutiert seit nahezu zehn Jahren über eine Reorganisation des Landes. Es kam darauf an, einen Konsens herzustellen. Es ist uns gelungen, Schlussfolgerungen zu ziehen. Darauf kommt es am Ende an.

Aber der eigentliche Kompromiss, der zum Durchbruch führte, wurde doch im Kommunalverband Syvicol erzielt und nicht in der Kommission.

Das Gutachten des Syvicol fügt sich aber in die Arbeiten der Kommission ein. Vieles, was wir innerhalb der Kommission erörterten, fand bereits seinen Niederschlag in Gesetzentwürfen. Wie zum Beispiel das neue Nominierunsgverfahren für Grundschullehrer oder die Reorganisation der Sozialhilfe. Herausragende Vertreter des Syvicol sind schließlich Mitglied der Spezialkommission. Es hat sich die Gewissheit durchgesetzt, dass wir eine andere kommunale Landschaft brauchen. Immer mehr Gemeinden erklären ihren Willen zur intensiven Zusammenarbeit bis hin zur Fusion. Das Syvicol-Gutachten hat bei manchen, die etwas zurückhaltender waren, den Groschen fallen lassen. Das war sicher hilfreich.

Fällt aber die Diskussion über die Kartografie nicht in eine „période suspecte“, so kurz vor den Landeswahlen?

Es ist immer ein schlechter Augenblick in Luxemburg … Wir haben nicht nur das Prinzip der Reorganisation festgehalten, sondern auch einen Zeitplan. Wir führen nicht eine Diskussion über das ob, sondern über das wie. Die neue kommunale Landschaft wird nicht von oben diktiert sondern wird mit den Kommunalpolitikern und vor allem auch mit den Bürgern diskutiert. Die Diskussion muss natürlich im festgelegten Rahmen ablaufen. Wir wollten die Fehler aus den siebziger Jahren nicht wiederholen. Damals wurde versucht, eine neue Karte von oben zu verordnen. Das ist verständlicherweise auf Widerstand gestoßen.

Die neue Landschaft soll bis 2017 stehen. Vorher finden allerdings 2011 Kommunalwahlen statt …

Ohne vorzugreifen könnte ich mir vorstellen, dass zeitgleich mit den Kommunalwahlen das vorgesehene Referendum über die Neueinteilung der Gemeinden stattfinden könnte.

Riskiert die Politik nicht, dass bei einem Referendum wieder auf alle Fragen geantwortet wird, außer auf die Frage, die gestellt wurde?

Ich bin ziemlich sicher, dass die Bewusstseinsbildung über die kommunale Zusammenarbeit bei den Bürgern weiter gediehen ist, als bei manchen Politikern. Die Bürger erwarten ganz einfach überall die gleichen Basis-Dienstleistungen. Das ist heute nicht der Fall. Vieles wird eben nicht flächendeckend angeboten.

Viele Politiker neigen dazu, alles aus ihrem Blickwinkel zu betrachten. Dann kommt es schnell zu Verallgemeinerungen. Man spricht von „den Gemeinden“ oder dem „kommunalen Sektor“. Beides gibt es nicht. Die Unterschiede zwischen der Hauptstadt und einer Landgemeinde sind enorm. Wir haben eigentlich 116 Einzelfälle. Kommunalpolitiker – und das ist ganz verständlich – diskutieren auf Grund ihrer Erfahrungen im Alltag. Die Vorstellung, es gäbe in Luxemburg nur ein Gemeinde-Modell ist ein Mythos. Wir haben nun in der Kommission den Versuch unternommen, ein zeitgemäßes Basismodell einer Gemeinde des 21. Jahrhunderts zu entwerfen. Die neue Kartografie soll ja nicht für einige Jahre gelten, sondern für die nächsten 100 Jahre.

Aber wenn alle Parteien – mit Ausnahme der ADR – zustimmen, liegt dann nicht der Schluss nahe, dass das Papier ziemlich vage sein muss?
Warum? Sicher gab es einige Mitglieder der Kommission, mich inklusive, die noch ehrgeiziger waren. Aber um einen Kompromiss zu erzielen, mussten wir zurückstecken. Es kommt darauf an, dass dieser parteiübergreifende Konsens auch nach den Wahlen 2009 Bestand haben wird und nicht in der Schublade verschwindet.

Die kommunalen Finanzen harren trotz aller Sonntagsreden und Beschwörungen immer noch einer Aufbesserung.

Die Finanzordnung hängt natürlich von der neuen kommunalen Landschaft ab. Wir haben aber einige grundsätzliche Vorgaben festgelegt. Die Zuwendungen an die Gemeinden müssen an die Staatseinnahmen gekoppelt bleiben. Die Subsidien sollen in der Regel nach regionalen Gesichtspunkten umverteilt werden.

Und der politische Urlaub?

Ich bin der Auffassung, dass es nicht zu einer wesentlichen Anhebung des Congé politique kommen kann, ohne dass zuerst die Territorialreform unter Dach und Fach ist. Dass zwar vorher bereits einige Anpassungen vorgenommen werden, scheint festzustehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der Innenminister die Gießkanne über das Land hält. 

Quelle: Luxemburger Wort, 3. Juli 2008, Laurent Zeimet