Wie ein Puzzle

Wenn das Parlament über die Territorialreform diskutiert, hört der Normalbürger nicht hin. Michel Wolter erklärt, weshalb das Jahrhundertwerk jeden etwas angeht.

REVUE: Wie erklären Sie die Territorialreform einem Normalbürger, der sich durchschnittlich für Politik interessiert? 

MICHEL WOLTER: Dass ein Land so organisiert werden muss, dass es seinen Bürgern die Dienstleistungen, die es ihm zur Verfügung stellen will, optimal anbieten kann. 

REVUE: Geht es nicht präziser? 

MICHEL WOLTER: Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips und der Nähe zum Bürger geht es darum, zu entscheiden, wer die Dienstleistungen am besten anbieten kann: die Gemeinde oder der Staat. 

REVUE: Worüber diskutieren Sie am 3. Juli im Parlament? 

MICHEL WOLTER: Es geht erstens um die Beziehungen zwischen Staat und Gemeinden, zweitens um die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und drittens um die Basisstruktur der Gemeinden. 

REVUE: Wie viele Gemeinden will die Kommission dem Land erhalten? 

MICHEL WOLTER: Das haben wir nicht festgelegt. Wir definieren die Kriterien, nach denen der Innenminister und der Gemeindeverband Syvicol Vorschläge unterbreiten sollen. Daraus ergibt sich die neue Landkarte des Großherzogtums. Auch die Bürger müssen sich betroffen fühlen, denn das, was wir jetzt entscheiden, wird für hundert Jahre gut sein. 

REVUE: Geht nicht von 39 Gemeinden die Rede, die übrig bleiben sollen? 

MICHEL WOLTER: Diese Zahl war in den 70er Jahren festgelegt worden, beim Versuch, die Gemeinden zu fusionieren. Es werden voraussichtlich mehr sein. Wir gehen von mindestens 3.000 Einwohnern aus. Besonders im Norden des Landes wollen wir auch die Fläche berücksichtigen. Wegen der Entfernungen soll eine Gemeinde nicht größer sein als heute Wintger (etwa 11.000 ha), sogar wenn sie keine 3.000 Einwohner erreicht. 

REVUE: Das Wichtigste dürften die künftigen Aufgaben der Gemeinden sein. Was wird sich ändern? 

MICHEL WOLTER: Alle Gemeinden sollen eine Reihe Dienste anbieten müssen, wie Vor- und Primärschulen, einen technischen Dienst und eine funktionsfähige Verwaltung. 

REVUE: Führt das nicht zu 39 oder mehr Wasserköpfen? 

MICHEL WOLTER: Nein, das führt zu Gemeinden, die alle ihren Bürgern die gleichen guten Dienste anbieten können. 

REVUE: Werden die Syndikate abgeschafft? 

MICHEL WOLTER: Manche Syndikate verschwinden, andere bleiben notwendig: Die Wasserversorgung, die Abwasser- und die Müllbeseitigung, die Musikschulen oder in den Ballungsgebieten der Gemeinschaftstransport können nicht auf Gemeindeebene organisiert werden. 

REVUE: Erhalten die Gemeinden mehr Rechte oder werden sie entmündigt?
 
MICHEL WOLTER: Die Gemeinden werden eindeutig gestärkt. Sie werden beispielsweise im sozialen und im Umweltbereich mehr unternehmen können. Um ihnen das zu erlauben, brauchen sie gute technische Dienste und Gemeindeverwaltungen, die ausreichend gerüstet und den ganzen Tag geöffnet sind. 

REVUE: Die Gegner Ihrer Reform argwöhnen, die CSV wolle mit einer strafferen Organisation die Gemeinden besser kontrollieren. 

MICHEL WOLTER: Es ist idiotisch, glauben zu lassen, es gehe um die Stärkung der CSV. Ich habe die ganze Zeit den Konsens gesucht. Unser Bericht wird von CSV, LSAP, DP und Grünen unterstützt, die ADR hat nicht dagegen gestimmt, sondern sich enthalten. 

REVUE: Wie kam der Konsens plötzlich zustande? Im Dezember erklärten Sie noch im «Wort», sie könnten an vielen Fronten viel weiter sein, «wenn nicht ständig LSAP-Kommunalpolitiker jeden tief greifenden Ansatz zu einer Territorialreform im Keim ersticken und die Diskussion auf die Anhebung des "conge politigue" reduzieren würden». 

MICHEL WOLTER: Damals nahmen die Bürgermeister von Bettemburg und Monnerich Stellung und pochten besonders auf den «conge politigue». Der Knoten platzte, als sich der Gemeindeverband Anfang 2008 klar und deutlich für die Reorganisation aussprach. Die Politiker sollen aufhören, nur an sich zu denken und zu glauben, sie seien der Nabel der Welt.

REVUE: Sieht Ihr Bericht den Berufsbürgermeister vor? 

MICHEL WOLTER: Nein. Wir haben lange über die Rolle des Gemeindepolitikers diskutiert und kamen nicht auf einen gemeinsamen Nenner. CSV und Grüne wollen die nationalen von den lokalen Mandaten trennen, wollen also den Berufsbürgermeister. Da LSAP und DP anderer Meinung sind, kamen wir überein, das Thema bis zur Verwirklichung der neuen Gemeindelandschaft im Jahr 2017 auszuklammern. 

REVUE: 2017! Das dauert ja noch länger als der Tram! 

MICHEL WOLTER: Die nächsten Gemeindewahlen sind 2011, das ist zu früh. 2017 ist die erstmögliche Frist. Ohnehin sieht der Bericht einen Stufenplan vor. Zuerst schaffen wir das Fundament, dann folgen die einzelnen Bausteine. Wenn die neue Landkarte gezeichnet ist, sprechen wir über die Gemeindefinanzen, die an die Staatsfinanzen gekoppelt werden sollen. Die Einnahmen aus den Handwerks- und Industriezonen müssen regional gestreut verteilt werden, und nicht mehr nur einer Gemeinde zukommen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen alle Aktivitätszonen regional organisiert werden. 

REVUE: Eine Politik der kleinen Schritte? 

MICHEL WOLTER: Wir versuchen, den Zug als solchen voranzubringen, ohne dass sich eine Mehrheit und eine Opposition herausbilden. Auf der Basis des vorliegenden Berichtes kommen wir in vielen Punkten weiter. Themen wie die Gemeindefinanzen müssen später nachgereicht werden. 

REVUE: Brauchen wir die Kantone noch? 

MICHEL WOLTER: Nicht nur die Aufteilung des Landes in Kantone, auch die Gerichtseinteilung wird zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert. 

REVUE: Sind Sie gerade dabei, auf einer Riesenbaustelle den ersten Spatenstich zu tätigen? 

MICHEL WOLTER: Wir führen die Diskussion seit zehn Jahren und sind jetzt am Punkt angelangt, an dem die Ergebnisse konkret genug sind, um eine Zeitachse aufzeichnen zu können. Der Innenminister hat nun den Auftrag, innerhalb eines Jahres die neue Karte des Landes zu zeichnen, der Syvicol ist mit eingebunden. Das ist der Mehrwert der heutigen Situation. 

REVUE: Neben dieser Baustelle gibt es diejenige des Inteqrativen Verkehrs- und Landesplanungskonzepes IVL… 

MICHEL WOLTER: Die Territorialreform ist ein Teil vom IVL. Man muss immer und überall die Zusammenhänge sehen, die Vielschichtigkeit der Probleme. Es ist wie ein Puzzle, in dem sehr viele Einzelteile ineinander gefügt werden müssen. 

REVUE: Würden Sie dieses Puzzle nicht doch lieber wieder als Innenminister zusammenfügen? 

MICHEL WOLTER: Nein! 

ZUR PERSON Am 3. Juli beschäftigt sich das Parlament mit dem Bericht zur Territorialreform, den Michel Wolter (45) vortragen wird. Der CSV-Fraktionschef präsidiert die Spezialkommission, die sich seit dreieinhalb Jahren in 45 Sitzungen mit der Frage beschäftigt, wie das Land besser organisiert werden kann