Grosse Entscheidungen gab es beim Abschlussgipfel der slowenischen Ratspräsidentschaft Ende vergangene Woche keine. Im Mittelpunkt der Diskussionen in Brüssel standen die Folgen des irischen Neins zum EU-Reformvertrag. Vor diesem Hintergrund zieht Luxemburgs Regierungschef eine positive Bilanz. “Eine weitere Zuspitzung der Krise wurde verhindert,” so Premier Jean-Claude Juncker gegenüber dem Luxemburger Wort
Luxemburger Wort: Die Pressestimmen zum Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs sind nicht gerade berauschend. Wie sieht Ihre Bilanz nach den Beratungen aus, Herr Premierminister?
Jean-Claude Juncker: Wir haben die europäische Krise nach dem negativen Referendum in Irland nicht auf die Spitze getrieben. Eine weitere Zuspitzung der Krise wurde verhindert. Das ist positiv zu werten. Ich bin auch froh darüber, dass wir die Einteilung der 27 in zwei Lager verhindern konnten.
Luxemburger Wort: Zwei Lager?
Jean-Claude Juncker: Ja, auf der einen Seite die, die den Vertrag ratifiziert haben oder gewillt sind, mit der Ratifizierung fortzufahren. Auf der anderen Seite jene, die Lissabon abgelehnt haben, oder dies in Erwägung ziehen. Eins steht jetzt fest, die Ratifizierung geht weiter. Dafür haben wir uns in Brüssel stark gemacht.
Luxemburger Wort: Doch was genau passieren wird, wie es in der Irland-Frage weitergehen soll, darüber konnten sich die 27 nicht einigen. Bedauern Sie das?
Jean-Claude Juncker: Sieben Tage nach dem Volksentscheid war es einfach noch zu früh, um gemeinsam eine Lösung zu definieren. Irland und die EU ganz allgemein brauchen Zeit zum Nachdenken. Es war dagegen wichtig, ein Zeichen zu setzen, dass man einen Ausweg sucht. Das haben wir getan.
Luxemburger Wort: Im Oktober wird es dann konkreter, oder?
Jean-Claude Juncker: Der Oktober ist in meinen Augen der frühestmögliche Zeitpunkt für eine richtige Analyse. Ich hoffe, dass es uns dann auch gelingen wird, einen genauen Zeitplan für das weitere Vorgehen zu beschließen. Das war übrigens auch vor dem Gipfel die Haltung der luxemburgischen Seite.
Luxemburger Wort: Dass der Vertrag doch noch zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann, ist kaum noch möglich. Sehen Sie das auch so?
Jean-Claude Juncker: Ich halte es für unmöglich, dass dieser Termin eingehalten werden kann. Wie andere Gipfelteilnehmer auch bin ich der Meinung, dass ein Inkrafttreten des Reformvertrags vor den Europawahlen im Juni 2009 wünschenswert wäre. Doch es gibt wenig Elemente, die darauf hindeuten, dass dieser Wunsch sich auch tatsächlich verwirklichen wird.
Luxemburger Wort: Ein zentrales Thema beim Gipfel war die Entwicklung der Energie- und Lebensmittelpreise. Auch hier sollen aber erst im Oktober die Weichen gestellt werden. Konnte man nicht konkreter werden?
Jean-Claude Juncker: Für mich war die Debatte über die Entwicklung der Preise und damit verbunden über mögliche Wege, denen zu helfen, die unter der Teuerung am meisten zu leiden haben, der wichtigste Tagesordnungspunkt beim Gipfel. Europa ist damit zu den Sorgen und Nöten der Bürger zurückgekehrt. Nachdem sich die EU vor allem mit sich selbst beschäftigt hatte, war das ein wichtiger Schritt. Was wir brauchen, ist ein Waffenarsenal, das sich aus europäischen und nationalen Elementen zusammensetzt. Es geht darum, Maßnahmen zu beschließen, die den Menschen zugute kommen, die zu den unteren Einkommensschichten zählen und enorm unter der Teuerung zu leiden haben.
Luxemburger Wort: Sie sprachen in Brüssel mehrfach von der Notwendigkeit längerfristig angelegter Maßnahmen. Warum?
Jean-Claude Juncker: Weil man davon ausgehen kann, dass die Armutslogik anhält. Sehen Sie, die Energiepreise werden weiter steigen. Die Belastung der sozial Schwächeren wird also nicht abnehmen. Europa muss handeln. Europa muss sich der Probleme der Menschen annehmen.
Quelle: Luxemburger Wort, 24, Juni 2008, Marc Glesener