Konsens oder Spaltung?

Am Mittwoch hat der Gesundheitsausschuss seine Arbeiten zur Palliativpflege und zur aktiven Sterbehilfe abgeschlossen. Nun liegt der Ball beim Staatsrat. Die Hohe Körperschaft wird zusammen mit Gesetzvorlage und -vorschlag auch die Änderungsvorschläge der CSV unter die Lupe nehmen. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“ geht Parteipräsident François Biltgen auf die Position der Christlich-Sozialen, die heute im Nationalrat über das Thema beraten, ein.

 Was erwartet sich der CSV-Präsident von der Arbeit des Staatsrates?

Ich erwarte mir eine detaillierte und fundierte Analyse des Staatsrates, die auch das notwendige juristische Hintergrundwissen liefert, damit die Abgeordneten beim zweiten Votum nach bestem Wissen und Gewissen abstimmen können. Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass der Staatsrat in einer ersten Phase beiden Texten die Dispens verweigert hatte.

In erster Linie wird es Ihnen aber um die Begutachtung der CSV-Anträge gehen, die im Parlamentsausschuss keine Mehrheit fanden.

Das sind sicher die Änderungsvorschläge der CSV. Sie stimmen aber in großen Zügen mit der Haltung des Collège médical überein, der nicht nur die Anliegen der Ärzte, sondern darüber hinaus die deontologischen Werte der Medizin berücksichtigt. Man sollte nicht übersehen, dass es im Alltag die Ärzte sein werden, die mit der Anwendung der Gesetzgebung zu tun haben und dass es an sich am Arzt ist, Leben zu erhalten und nicht demselben ein Ende zu bereiten. Die Anträge sind die Fortschreibung der Haltung der CSV in dieser Frage. Wir haben uns seit zwei Jahrzehnten immerzu dafür eingesetzt, ein flächendeckendes Angebot an Palliativpflege zu schaffen. Wir sind der Meinung, dass die Palliativmedizin in den allermeisten Fällen Leiden Abhilfe schaffen kann. Außerdem wird das neue Palliativmedizingesetz dem Patienten das Recht verleihen, eine künstliche Lebensverlängerung abzulehnen. Wir waren uns allerdings immer bewusst, dass es zu Grenzfällen kommen kann. Bei diesen Grenzfällen, wo die Schmerzlinderung nicht oder nicht mehr greift, haben wir uns stets auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient berufen und waren der Meinung, dass sie nicht gesetzlich zu regeln wären, da der Richter letztendlich dem Arzt Straffreiheit garantieren kann. Nach dem 19. Februar waren wir allerdings als christliche Politiker neu gefordert. Es ist klar, dass eine Mehrheit einer gesetzliche Regelung der Euthanasie zugestimmt hat. Allerdings wird immer wieder betont, dass es nur um die Regelung von Grenzfällen gehen soll. Der Text der Err-Huss-Vorlage ist aber für uns nicht eindeutig, im Gegenteil. Deshalb haben wir eine Umschreibung des Titels *, die Beratung zwischen Ärzten im Vorfeld einer aktiven Sterbehilfe sowie die Begrenzung der Euthanasie auf jene Fälle, in denen prinzipiell weder die kurative noch die palliative Medizin eine Aussicht auf Leidenslinderung geben, ausgesprochen.

Kritiker haben der CSV vorgehalten, das Votum vom 19. Februar nicht zu respektieren.

Was ich als einen äußerst merkwürdigen Vorgang halte. Es gibt nun einmal das verfassungsrechtliche Prinzip der zweifachen Abstimmung. Im Fall der Nichtgewährung der Dispens durch den Staatsrat besteht die Möglichkeit, Modifizierungen einzubringen. Von dieser Möglichkeit hat die CSV Gebrauch gemacht. Die Autoren des Gesetzvorschlags mit ihren elf Änderungen übrigens auch. Wir sind uns seit dem 19. Februar sehr wohl bewusst, dass es keine politische Mehrheit gegen die gesetzliche Regelung der Euthanasie gibt. Es muss aber erlaubt sein, über die Modalitäten der aktiven Sterbehilfe zu sprechen und vor allem über die Frage, ob es darum geht, ein Recht zu schaffen, dass ein Dritter Beihilfe zum Selbstmord geben muss oder ob es um die Regelung von Grenzfällen geht. Diese Frage muss eindeutig geklärt werden.

Apropos Mehrheit. Welche Chancen räumen Sie den CSV-Anträgen bei der zweiten Abstimmung ein? Die Diskussionen in der Gesundheitskommission geben keinen Anlass zu Optimismus.

Das stimmt. Bis zur Abstimmung werden aber zusätzlich die Gutachten des Staatsrates vorliegen und im Kammerplenum werden die CSV-Sprecher noch einmal in aller Deutlichkeit und Sachlichkeit unseren Standpunkt darlegen, der, wie gesagt, nicht zuletzt fundamentalen Bedenken in der Ärzteschaft Rechnung trägt. Und dann geht es, wie schon im Februar, um die Gewissensfreiheit des einzelnen Abgeordneten. Ich weise auch darauf hin, dass der Premierminister in der Erklärung zur Lage des Landes für eine Konsensregelung auf Ausnahmefälle plädierte und an den Erhalt des ethischen Friedens im Land appellierte. In einer solch wichtigen Frage, die Leben und Sterben betrifft, sollte man jedenfalls vermeiden, die Bevölkerung aus parteipolitischen Gründen zu spalten. Wichtig erscheint mir auch zu unterstreichen, dass die CSV nach dem 19. Februar konstruktiv an einer konsensfähigen Lösung mitgearbeitet hat. Bleibt das Ergebnis aus, dann haben wir es wenigstens versucht. Es ist die einzige Chance, die wir haben.

Wäre es, rückblickend und mit dem vorliegenden Resultat, nicht vernünftiger gewesen, Gesetzvorlage und Gesetzvorschlag getrennt voneinander zu behandeln?

Ich denke, dass diese Doppelabstimmung nur einen nebensächlichen Aspekt darstellt. Wobei ich zugeben muss, dass es mir schon ein bisschen Leid tut, dass die gesetzliche Regelung der Palliativmedizin, für die wir uns als CSV seit vielen Jahren stark gemacht haben, dadurch in Verzögerung geraten ist. Angesichts des einstimmigen Abstimmungsergebnisses des Palliativmedizingesetzes wäre meiner Ansicht nach hier eine Dispens vom zweiten Votum denkbar und vertretbar gewesen. (mas)

* Die CSV hat als Titel „Proposition de loi sur l’aide à mourir“ vorgeschlagen; der Gesundheitsausschuss hat „Proposition de loi sur le droit de mourir en dignité par l’euthanasie et le suicide assisté“ zurückbehalten. 

Quelle: Luxemburger Wort, 30. Mai 2008 (mas)