“Sorge Dich nicht, werde alt.”

Familienministerin Marie-Josée Jacobs im Wortinterview über die Clubs Senior, Betreutes Wohnen und die Herausforderungen, die sich durch die Alterung der Bevölkerung stellen

Luxemburger Wort: Es gibt in Luxemburg 16 "Clubs Senior". Was bieten diese Vereine älteren Menschen in puncto Lebensgestaltung?

Marie-Josée Jacobs: Die "Clubs Senior" sind offen für alle Menschen ab 50. Diese regionalen Einrichtungen legen ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung präventiver Maßnamen. Menschen ab 50 soll der Übergang vom aktiven Berufsleben in den Ruhestand erleichtert werden. Die "Clubs Senior" bieten allen älteren Menschen eine Bandbreite von Bildungs-, Freizeit- und Sportmöglichkeiten an, die es ihnen ermöglichen soll auch weiter so aktiv wie möglich am sozialen Leben teilnehmen zu können. Seit 1989 bietet auch der Service RBS asbl, neben seinem Fortbildungsinstitut, Bildungsangebote für die Zielgruppe der über 50-Jährigen an.

Luxemburger Wort: Wie steht es hierzulande um die Entwicklung im Bereich "Betreutes Wohnen" für Senioren?

Marie-Josée Jacobs: Ich möchte eingehend betonen, dass es keine einheitlich anerkannte Definition des Begriffes "Betreutes Wohnen" gibt. In Luxemburg müssen Betreiber eines "logement encadré" über eine staatliche Genehmigung verfügen. Heute sind in Luxemburg neun Einrichtungen im Bereich des "logement encadré" zugelassen. Dann gibt es noch eine Reihe anderer Wohnprojekte mit verschiedenen Bezeichnungen (Seniorenresidenzen, Seniorenhotels, usw.), die verschiedenartige Betreuungskonzepte anbieten.

Mein Hauptanliegen ist es, dass die neuen Wohnformen den individuellen Bedürfnissen der älteren Menschen gerecht werden. Eines der Hauptziele besteht auch darin, den Menschen so viel Eigenverantwortung wie möglich zu überlassen. Viele Senioren wollen dort, wo sie leben, ihre Intimsphäre behalten und ihre täglichen Aktivitäten selbst gestalten. Die neuen Wohnformen sollten die Autonomie und die Freiheit des Einzelnen fördern.

Luxemburger Wort: Dass die Menschheit altert, ist unumstritten. Welchen Herausforderungen und Verantwortungen sieht sich die Politik in den kommenden 20 bis 30 Jahren angesichts dieser Tatsache gegenüber?

Marie-Josée Jacobs: Wie Sie richtig erwähnt haben, werden die Menschen immer älter und auch die Zahl der hochaltrigen Menschen, das heißt der Menschen über 80 Jahre, wird stark ansteigen. Es ist eine Tatsache, dass die Pflegebedürftigkeit der Menschen mit steigendem Alter zunimmt. So sind schon heute fast 50 Prozent der Menschen, die die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, älter als 80 Jahre.

Die meisten Menschen haben den Wunsch, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben. Durch die Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1999 und dem stetigen Ausbau der ambulanten Hilfs- und Pflegedienste wird dieser Wunsch vielen Menschen erfüllt. In den kommenden Jahren soll dieses Netzwerk quantitativ und qualitativ konsolidiert werden. Für viele Menschen kommt jedoch der Moment, wo die Kräfte nachlassen und sie auf fortwährende Hilfe angewiesen sind. Sie werden pflegebedürftig. Das klassische Alten- und Pflegeheim wird daher auch in Zukunft seine Daseinsberechtigung behalten: die "Centres integres pour personnes âgées" (CIPA) und die "Maisons de soins" entsprechen den tatsächlichen Bedürfnissen einer immer älter werdenden Heimbevölkerung.

Eine der größten Herausforderungen wird in Zukunft die Betreuung demenzerkrankter Menschen darstellen. Diesbezüglich bestehen in Luxemburg bereits innovative Konzepte, insbesondere was die Hilfsangebote und Betreuungsformen für Demenzerkrankte anbelangt.

Das Altern der Gesellschaft beinhaltet aber auch eine Neugewichtung der Generationen. Wir alle müssen Grundwerte des Zusammenlebens, die Rechte und Pflichten des Einzelnen neu definieren. Es geht darum allen Generationen gleichwertige Stellungen zu sichern.

In einem multikulturell geprägten Land wie Luxemburg muss der Zugang älterer Migranten zu den Einrichtungen gewährleistet werden. Vielleicht wird es im Jahr 2008, europäisches Jahr des interkuturellen Dialogs, diesbezüglich einige wertvolle Anstöße geben.

Luxemburger Wort: Bestehen derzeit Projekte im Sinne einer Zusammenführung zwischen jungen und älteren Generationen?

Marie-Josée Jacobs: Ja, das Ministerium initiiert und unterstützt seit einigen Jahren solche Projekte. Vor zwei Jahren startete das Familienministerium, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur, Hochschulwesen und Forschung, der Universität Luxemburg und den "Clubs Senior" die Initiative "Babuschka". Hier soll älteren Menschen ermöglicht werden, an der Universität Luxemburg eingeschriebene Studenten bei sich zu Hause zu beherbergen. Diese Initiative soll Studenten eine kostengünstige Wohnung anbieten und Verbindungen zwischen den Generationen herstellen, die durch Solidarität und gegenseitige Hilfe gekennzeichnet sind.

In den vergangenen Jahren haben die Lebenspläne von jungen und älteren Menschen sich grundlegend verändert. Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, hat mein Ministerium sich zum Ziel gesetzt, konsequent den Ausbau von flexiblen Auffangstrukturen für Kinder, den sogenannten "Maisons relais", zu fördern. Es gibt bereits Projekte die in diesem Sinne funktionieren, auch für Kleinkinder.

Intergenerationelle Projekte können wertvolle Kontakte entstehen lassen, insbesondere zwischen der ersten, zweiten und dritten Generation, die so nicht mehr in den Familien gelebt werden, bzw. gelebt werden können.

Mögliche Partner solcher Projekte sind meines Erachtens nach die "Clubs Senior", die Seniorenakademie des Service RBS sowie alle anderen Seniorenorganisationen.

So finanziert das Familienministerium zu 87 Prozent den Halbtagsposten eines Erziehers, der in Monnerich im "Foyer fir Jonk an Al" ausschließlich für intergenerationelle Projekte tätig ist.

Anstatt jedoch die positiven Aspekte des Zusammenlebens von Jung und Alt hervorzustreichen, haben sich in den vergangenen Jahren verschiedene Autoren und Medien darauf fixiert, das zukünftige Zusammenleben der Generationen als konfliktreich darzustellen. Unser aller Engagement muss es sein, hier gegen zu halten und das Zusammenleben der Generationen nachhaltig mitzugestalten.

Luxemburger Wort: Wie gehen Ihrer Erfahrung als Familienministerin nach Menschen mit ihrer Angst vor dem Altwerden um?

Marie-Josée Jacobs: Ursula Lehr, anerkannte Gerontologin und frühere deutsche Familienministerin hat es treffend ausgedrückt: "Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird." Der Grundstein für eine gute Lebensqualität im Alter kann schon in frühen Jahren gelegt werden.

Ich glaube aber auch, dass die Ängste der Menschen vor dem Altwerden oft durch falsche Vorstellungen des Alters geschürt werden. Alter ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit Gebrechlichkeit oder Krankheit. Im Gegenteil, heute leben die meisten Menschen noch viele Jahre nach dem Eintritt in den Ruhestand in guter körperlicher Verfassung.

Luxemburger Wort: Stichwort Stigmatisierung des Alters: Steht die heutige Gesellschaft nicht vor der großen Herausforderung – aus reinen Überlebensgründen – die Diskriminierung des Alters zu bekämpfen und den älteren Menschen einen neuen Stellenwert im sozialen und wirtschaftlichen Leben zu geben?

Marie-Josée Jacobs: Es stimmt leider, dass das Alter immer noch die meistgenannte Ursache für Diskriminierung in der Arbeitswelt ist. Senioren verfügen aber über Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für viele Gesellschaftsbereiche einen großen Gewinn darstellen könnten, die aber oft aufgrund stereotypen Denkens ungenutzt bleiben.

In der Wirtschaft z. B. haben internationale Unternehmen festgestellt, dass Diversität in der Belegschaft – hierzu gehört im Besonderen auch die Integration älterer Arbeitnehmer – wesentlich zu höheren Gewinnen beiträgt.

Viele Beispiele zeigen aber auch, dass zahlreiche Senioren nach ihrer Berufstätigkeit nach neuen Aufgaben suchen, teilweise unter Einsatz ihrer im Beruf erworbenen Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen.

Schätzungen zufolge üben hierzulande 20 bis 25 Prozent der über 50- Jährigen eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. Studien haben ergeben, dass insbesondere bei älteren Menschen eine hohe Bereitschaft zu ehrenamtlicher Arbeit vorhanden ist.

Dieses Potenzial kann noch stärker als bislang genutzt werden, wenn dem Bedürfnis nach eigenverantwortlichem Handeln, nach Mitbestimmung und gesellschaftlicher Anerkennung Rechnung getragen wird.

Das Projekt der Seniorensicherheitsberater, das aus einer gemeinsamen Initiative des "Club Senior" Schifflingen und dem "Commissariat de Proximité" der "Police Grand-Ducale Esch" entstanden ist, macht deutlich, wie sehr sich insbesondere auch ältere Bürger in unsere Gesellschaft einbringen und aktiv relevante Themen aufgreifen. 

Quelle: Luxemburger Wort, 7. Mai 2008, Michèle Gantenbein