EU-Roaming-Verordnung: LW-Interview mit der für die Telekommunikation und die Medien zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding
Seit Monaten setzen Sie sich ebenso hartnäckig wie zielstrebig für eine Idee ein, die es für den europäischen Verbraucher im positiven Sinne in sich hat und am Anfang etwas utopisch anmutete. Was empfinden Sie persönlich jetzt – kurz vor der entscheidenden Abstimmung des Europa-Parlaments -, wo aus der verwegenen Idee konkrete Wirklichkeit wird?
Heute bin ich sehr glücklich für Europas Verbraucher, aber auch darüber, dass die EU-Institutionen an diesem Tag gemeinsam einen so entscheidenden Schritt in Richtung eines echten Binnenmarktes für Telekommunikationsdienstleistungen unternehmen. Stolz bin ich zugleich auf das starke Team der Kommission Barroso, das es in den vergangenen Monaten durch Verhandlungsgeschick und unermüdlichen Einsatz geschafft hat, die Roaming-Verordnung in einer Rekordzeit von nur zehn Monaten unter Dach und Fach zu bringen. Es ist damit gelungen, einen konkreten Beweis für das Europa der Resultate zu liefern – ein Europa, das nicht nur von institutionellen Fragestellungen, langwierigen Verfahren und mühsamen Kompromissen lebt, sondern im Interesse seiner Bürger schnell und engagiert eingreifen kann. Das gibt neue Hoffnung für Europas Verfassungsvertrag, dessen baldiges Inkrafttreten ich mir im Interesse eines stärkeren und effizienteren Europas wünsche.
Glaubten Sie seit Anbeginn an einen Erfolg oder kam manchmal nicht doch Skepsis über die Erfolgschancen auf?
Für die EU-Roaming-Verordnung gibt es starke Argumente, die mich von Anfang an sehr zuversichtlich gestimmt haben. Seit Jahren haben die Mobilfunkbetreiber die Verbraucher für den Grenzübertritt mit überhöhten Gebühren bestraft, die vier- bis fünfmal so hoch sind wie die Kosten für ein nationales Handygespräch. Seit Jahren haben Regulierer, Verbraucherverbände, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament freiwillige Preissenkungen der Mobilfunkbetreiber, mehr Wettbewerb und mehr Transparenz gefordert, jedoch ohne Ergebnis. Die Kommission hat die ökonomische Lage eingehend analysiert und festgestellt, dass die Roaming-Kosten in keinem Verhältnis zu den entstehenden Kosten stehen. Wenn man sich angesichts dieser Beweislage zum Handeln entscheidet, dann glaubt man auch an den Erfolg – und kämpft dafür mit Überzeugung. Ich habe in den letzten Monaten deshalb keinen Augenblick daran gezweifelt, dass die EU-Roaming-Verordnung am Ende in Kraft treten wird. Positiv überrascht bin ich allerdings, dass es jetzt tatsächlich gelingt, die Verordnung noch vor den Sommerferien zu verabschieden. Das hatte ich mir zwar gewünscht, aber dabei stets gewusst, dass dies nur bei außergewöhnlichen Anstrengungen aller Beteiligten möglich sein würde. Ich freue mich deshalb sehr, dass – falls das Europäische Parlament heute zustimmt – die Roaming-Verordnung bereits Mitte Juni im Amtsblatt veröffentlicht und damit in Kraft treten kann.
Abbau anachronistischer interner Handelshemmnisser
Von welchem Grundgedanken gingen Sie aus, als das Projekt auf den Weg gebracht wurde?
Mein Grundgedanke ist, dass Europa auch im Telekommunikationsbereich ein Binnenmarkt ohne interne Grenzen sein sollte, sowohl für Unternehmen als auch für jeden einzelnen Bürger. Das ist für mich nicht nur eine Frage des Schutzes unserer Verbraucher und Urlauber, sondern auch im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt. Ein Unternehmer aus New York, der an der US-Westküste geschäftlich tätig ist, zahlt keine Roaming-Gebühren. Für einen Luxemburger Unternehmer, der Dienstleistungen in Trier oder Metz erbringt, fallen dagegen drastische Roaming-Gebühren als erheblicher Kostenfaktor an. Wenn Europa im weltweiten Wettbewerb an erster Stelle mitspielen will, dann können wir uns solche anachronistischen internen Handelshemmnisse wirklich nicht leisten.
Es ist gewusst, dass Ihr Vorhaben auf großen Widerstand bei den Handybetreibern stieß. Welches waren die Hauptargumente der Widersacher und was hielten und halten Sie ihnen entgegen?
Zunächst einmal waren bei weitem nicht alle Handybetreiber gegen die Roaming-Verordnung. Vor allem kleinere Handybetreiber und Mobilfunkunternehmen aus kleineren Ländern haben die Verordnung im Europäischen Parlament nachdrücklich unterstützt. Denn die jetzt beschlossene Begrenzung der Großkunden-Tarife verhilft kleineren Unternehmen zu neuen Wettbewerbschancen und verhindert, dass sie von den “Großen” einfach aus dem Roaming-Markt gedrängt werden. Ich habe aus diesem Grund gerade den Argumenten der “Kleinen” unter den Mobilfunkbetreibern sehr genau zugehört. Denn die EU-Roaming-Verordnung soll den Wettbewerb in Europas Mobilfunkmärkten fördern und nicht verringern.
Kann es denn als Reaktion auf die Senkung der internationalen Roaming-Gebühren nicht zu einer von einzelnen Seiten bereits angekündigten Erhöhung der nationalen Tarife durch die Betreibergesellschaften kommen?
as war natürlich in den vergangenen Monaten das beliebteste Lobby-Argument der Gegner der Roaming-Verordnung: die Drohung, dass jetzt einige Handybetreiber im Gegenzug die Preise für Inlandsgespräche erhöhen werden. Dieses Argument sagt viel über diejenigen aus, die es verwenden. Ein wirklich wettbewerbs- und kundenorientiertes Unternehmen wird wohl kaum seine Verbraucher mit Preiserhöhungen bestrafen. Im Gegenteil: es wird durch attraktive Angebote neue Verbraucher hinzuzugewinnen versuchen. Ich nehme dieses Lobbyargument einiger Mobilfunkunternehmer aber dennoch sehr ernst. Es ist für mich Anlass dazu, gemeinsam mit den nationalen Wettbewerbsbehörden und den nationalen Telekombehörden in den nächsten Monaten ein sehr wachsames Auge auf die Entwicklung der Mobilfunkmärkte zu werfen. Das Europäische Parlament hat uns dazu ein entsprechendes Mandat erteilt. Sollten tatsächlich einige Mobilfunkbetreiber ihre Inlandstarife anheben, dann können sie damit rechnen, dass nationale und europäische Stellen energisch einschreiten werden.
Worin bestehen konkret die nach langem Hin und Her zustande gekommenen Neuerungen und wann treten sie in Kraft?
Sofern das Europäische Parlament heute zustimmt, werden ab diesem Sommer die Verbraucherpreise für Roaming-Gespräche im EU-Ausland für ausgehende Gespräche auf maximal 49 Cent pro Minute, für eingehende Gespräche auf maximal 24 Cent pro Minute begrenzt.
Dieser neue Euro-Tarifsoll den Verbrauchern bereits im Juli von den Betreibern angeboten werden. Auf Anfrage des darob intervenierenden Verbrauchers müssen diese Preise spätestens bis Mitte August im Markt implementiert werden. 2008 sinken diese Obergrenzen auf 46 Cent bzw. 22 Cent, 2009 erneut auf 43 Cent bzw. 19 Cent. Ich erwarte zudem, dass innovative, kundenorientierte Mobilfunkbetreiber bereits in den kommenden Wochen einen wahren Wettlauf um die besten Roaming-Pakete und die meisten Roaming-Kunden beginnen werden, so dass schon in sehr kurzer Zeit die Roaming-Preise noch unter die jetzt verabschiedeten Obergrenzen sinken werden. Jeder Betreiber, der den Euro-Tarif durch einen noch günstigeren Preis unterbietet, kann sich meiner herzlichen Glückwünsche sicher sein.
Sind Sie zufrieden mit dem vorliegenden Ergebnis oder ist es nur ein politischer Kompromiss, der früher oder später eine Nachbesserung erfahren soll oder muss?
Ich bin sehr zufrieden mit dem jetzt vereinbarten Text der EU-Roaming-Verordnung, denn er entspricht in fast allen Punkten dem, was ich im Juli letzten Jahres vorgeschlagen habe. Ich hoffe sehr, dass jetzt endlich Vernunft auf den Mobilfunkmärkten einkehren wird. Die Kommission wird in 18 Monaten einen Bericht über die ersten Ergebnisse der Verordnung und über die Entwicklung der Roaming-Märkte – einschließlich des SMS- und Datenroaming – vorlegen. Ich setze auf die Mobilfunkbranche, dass sie es durch kundenorientierte Geschäftsmodelle ermöglichen wird, dass ich in 18 Monaten nur Positives werde berichten können.
Quasi gleichzeitig – nämlich morgen Donnerstag im Ministerrat – kommt es zu einer Neuauflage der Richtlinie “Fernsehen ohne Grenzen”. Was bringt diese Neues für den Zuschauer und die TV-Macher?
Die neue Fernsehrichtlinie eröffnet Europas Zuschauern den Zugang zu audiovisuellen Medieninhalten ohne Grenzen und zu einer neuen Vielfalt europäischer Inhalte. Denn die neue Richtlinie stärkt Europas audiovisuellen Sektor, Filmemacher wie TV-Produzenten oder Autoren von audiovisuellen Online-Inhalten. Dank der Richtlinie können Fernsehzuschauer daher erwarten, in Zukunft mehr europäische Inhalte im TV zu sehen oder über das Handy oder aus dem Internet herunterladen zu können. Zugleich stärkt die neue Richtlinie die Grundwerte des europäischen audiovisuellen Modells. An erster Stelle steht dabei der Jugendschutz, der durch die neue Richtlinie erstmals auch für den Online-Bereich gesetzlich verankert wird. Denn den Schutz unserer Kinder dürfen wir in Europa nicht dem freien Markt allein überlassen.
Als dieses Projekt zum Abschluss kam, waren Sie etlichen Kritiken ausgesetzt, insbesondere was die Produktwerbung auf dem Bildschirm betrifft. Was antworten Sie Ihren Kritikern?
Bisher gibt es in Europa keine gesetzlichen Regeln zur Produktplatzierung im Fernsehen. Das kann Verbraucher in die Irre führen – man denke an den deutschen “Marienhof”-Skandal, der eine Folge der bestehenden Rechtsunsicherheit ist – und schafft für die Fernsehveranstalter erhebliche Rechtsunsicherheit, die Arbeitsplätze in Europas Film- und TV-Branche kostet. Wir haben durch die neue Richtlinie deshalb einen Rechtsrahmen geschaffen, der für die Fernsehzuschauer Transparenz und für die TV-Produzenten Rechtssicherheit schafft. In Filmen und TV-Serien wird Product Placement in Zukunft auch in Europa erlaubt sein, sofern der Zuschauer darauf hingewiesen wird. Das ist die so genannte österreichische Lösung, die in Österreich seit Jahren gut funktioniert und die dortige Produktion beträchtlich gestärkt hat. In Nachrichten-, Dokumentations-, Ratgeber- und vor allem in Kindersendungen ist Product Placement dagegen, wie von mir ausdrücklich gewünscht, streng verboten. Ich glaube, damit haben wir ein gutes Gleichgewicht gefunden zwischen dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit von Europas TV-Sektor zu stärken, und der Notwendigkeit, die Grundpfeiler unseres europäischen Wertemodells zu bewahren.
Quelle: D’Wort, 23. Mai 2007, Joseph Lorent