Im finnischen Lahti beraten die europäischen Staats- und Regierungschefs über die Energieversorgung Europas. Jean-Claude Juncker im Wort Interview
Zu den Gesprächen haben die 25 den russischen Präsidenten Wladimir Putin eingeladen. Russen und Europäer verbindet, wie Premierminister Juncker sagt, “eine strategische Partnerschaft in Energiefragen”.
Wort: In Lahti wird die Energiepolitik im Mittelpunkt stehen. Was ist dabei der zentrale Punkt?
Jean-Claude Juncker: Es geht in aller erster Linie um die Sicherheit der Energieversorgung in Europa. Dabei ist die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Russland von besonderer Wichtigkeit. Wenn wir alles belassen, wie es heute ist, dann wird Europa in 20 Jahren – was die Energieversorgung anbelangt – zu 80 Prozent vom Ausland abhängig sein. Sehen Sie, Russland exportiert 34 Prozent seiner Gasproduktion und 60 Prozent der nationalen Ölproduktion nach Europa. Die europäische Wirtschaft kann ohne diese Energie nicht überleben. Das ist der Hintergrund einer Partnerschaft, die für beide Seiten strategisch wichtig ist und sein wird.
Die Russen sind aber auch an anderen, nicht-europäischen Märkten interessiert.
Natürlich fühlen sich die Russen stark angesprochen von den aufstrebenden Teilen der Weltwirtschaft. Ich denke da an China und Indien. Das ändert nichts am strategischen Hintergrund der Partnerschaft mit Europa. In deren Rahmen haben die europäischen Produzenten auch die russischen Märkte im Blick. Sie hoffen auf freien Zugang und Durchgang. Wobei sich die russische Seite noch gegen eine vollständige Liberalisierung, sprich eine Öffnung wehrt. Vor allem bei den Transitbestimmungen.
Die Beziehungen zwischen Moskau und der EU beschränken sich nicht auf Energiefragen. Wie ist das allgemeine Klima des europäisch-russischen Dialogs?
Es sind allgemein gute, aber im Detail schwierige Beziehungen.
Das heißt konkret?
Es gibt europäische Länder, darunter manchmal auch Luxemburg, die die Qualität der russischen Demokratie kritisch hinterfragen. Dabei wird eine Tendenz Moskaus moniert, die freie Meinungsäußerung zu kontrollieren und Meinungen gleichzuschalten.
Offenheit angesagt
Sollen denn auch diese kritischeren Töne in Lahti anklingen?
Ich gehe davon aus, dass das der Fall sein wird. Sowohl bei der Erörterung der allgemeinen europäisch-russischen Kooperation, wie auch in Einzelgesprächen, die in Lahti geführt werden, ist Offenheit angesagt.
Wie groß ist Ihre Erwartungshaltung. Was soll das Spitzentreffen in Finnland bewirken?
Die Energiepolitik wird immer wichtiger in der europäischen Diplomatie. Ich hoffe auf eine Bewusstseinsbildung in eben diesem Sinne. Intern müssen wir uns mit Fragen von Energieeffizienz und Alternativenergien abgeben. Extern ist es die längerfristige Absicherung der Energieversorgung, mit der sich die EU beschäftigen muss. Deshalb sprechen wir prioritär mit Russland, aber auch mit anderen Anbietern. Das ist eine Frage globaler Außenpolitik.
Lahti ist der erste richtige Höhepunkt des finnischen Ratsvorsitzes. Wie schätzen Sie die Arbeit der Finnen ein?
Die Finnen sind pragmatisch und so gehen sie auch europäische Herausforderungen an. Das haben sie bis dato gut gemacht.
Es bleibt aber noch viel zu tun. Stichwort Immigration.
Einwanderungspolitik ist ein prioritäres Thema, weil es in besonderer Weise die Bürger der Union betrifft. Vor allem im südlichen Teil der Union sehen sich die Menschen mit einer immer stärker werdenden, fast schon unkontrollierbaren Armutsimmigration konfrontiert. Es ist gut, dass Immigration hier in Lahti thematisiert wird. Es ist aber leider nur eine Viertelstunde für diese Debatte vorgesehen. Mit konkreten Resultaten ist demnach nicht zu rechnen.
Was Sie bedauern?
Europa braucht eine harmonisierte Einwanderungs- und Asylpolitik. Die Innen- und Justizminister machen in diesem Punkt eine gute Arbeit. Das Treffen in Lahti kann Impulse geben, für mehr reicht die Zeit nicht.
Die Zukunft der EU, also die Verfassungsfrage bleibt unter finnischem Ratsvorsitz ausgeklammert, oder nicht?
Offiziell steht dieses Thema nicht auf der Tagesordnung. Die Staats- und Regierungschefs werden aber wie immer die Gelegenheit bilateraler Gespräche nutzen, um das von Ihnen angesprochene Themenfeld zu erörtern.
Quelle: Wort, 20. Oktober 2006, Marc Glesener und Marcel Kieffer