Jean Spautz: “Die Gründerväter wollten ein wirtschaftlich starkes, sozial kohärentes und in der Welt geeint handelndes Europa.”
Das europäische Projekt, der historische Vorgang der voranschreitenden europäischen Einigung, ist ein Wert an sich. Es ist jener Wert, den die Völker Europas nach Jahren und Jahrzehnten von Krieg, Leiden und Trennung zu einem ihrer Leitmotive erkoren haben: der Wunsch und der Wille nach der Einheit der Europäer in Frieden und Freiheit. Und genau dieser Wert ist es auch, der die europäische Verfassung inspiriert, und der den Übergang von einer internationalen Vertragsgemeinschaft in eine kontinentale Verfassungsunion möglich macht.
Vertreter von 28 europäischen Staaten haben sich in einem grossen Konsens auf einen Verfassungstext für Europa geeinigt. Viele haben diesen epochalen Vorgang nicht für möglich gehalten, und noch mehr haben daran gezweifelt, dass ein konstitutioneller Konsens, wenn er denn zustande kommt, inhaltlich bedeutsam sein könnte. Dennoch hat der Europäische Konvent dieses Husarenstück gemeinsamer grundsätzlicher Ausrichtung geschafft. Den Bürgern Europas, fast einer halben Milliarde Menschen, liegt ein Text vor, der ihre politische Union auf eine höhere Ebene befördern soll.
Jenes Europa, das sich anschickt, in die Logik einer gemeinsamen Verfassung einzusteigen und auf konstitutioneller Grundlage seine Einheit zu vertiefen, ist ein Europa, das die Trennlinien der Vergangenheit definitiv zu überwinden trachtet. Es ist ein Europa, das sich seiner wesentlichen Gemeinsamkeiten bewusst ist, und die verbindenden Elemente unseres europäischen Seins höher achtet, als die trennenden und unterscheidenden Faktoren, die es auf unserem Kontinent gab und gibt. Das verfasste Europa ist ein Europa, dessen Menschen sich bewusst sind, dass im 21. Jahrhundert die Nation als höchste Ebene politischer Gestaltungsarbeit überwunden werden muss, ohne jedoch deswegen ihren Sinn und ihre Identität stiftende Bedeutung zu verlieren.
Die Gründerväter wollten ein wirtschaftlich starkes, sozial kohärentes und in der Welt geeint handelndes Europa. Ein solches Europa wird durch die Verfassungsvorlage in Aussicht gestellt. Am allerwichtigsten wird in Zukunft die Legitimität des europäischen Werks sein, die sich in der Zustimmung der Bürger zur immer engeren Union ausdrückt. Es spielt keine Rolle, ob 100 Millionen oder 500 Millionen Unionsbürger an die Union glauben: wichtig ist, dass sie es tun! Diejenigen, die meinen, das politische Europa müsse eine geografisch eingeengte Angelegenheit bleiben, verkennen, dass nicht die Größe der Union, sondern die Überzeugung ihrer Menschen letztlich über den Erfolg der europäischen Einigung bestimmt. Wenn wir das geeinte Europa zusammen wollen, werden wir es auf der Grundlage einer europäischen Verfassung auch bekommen.
Jean Spautz, Europaabgeordneter