Die C-Frage

Die C-Frage Christlich inspirierte Politik zu betreiben erscheint vielen von uns wie die Quadratur des Kreises- und in der Tat: Nächsten-, gar Feindesliebe und Politalltag werden wohl auf ewig unvereinbare Gegensätze bleiben. Wir können von Glück reden wenn, besonders in Wahlkampfzeiten, wenigstens Respekt und Fair-Play, die Sturmfronten von Rhetorik und Polemik unbeschadet überleben.

Fällt es etwa deshalb der CSV so schwer sich offen und offensiv mit ihrem C im Namen auseinander zusetzen? In weniger als einem Jahr wird unsere Partei über ein neues Grundsatzprogramm verfügen. Wer sein Heim von Grund auf modernisieren möchte, tut jedoch meist gut daran, erst einmal die Fundamente einer genauen Inspektion zu unterziehen. Im Haus mag sich viel geändert haben: es ist geräumiger geworden, wohnlicher, praktischer – die Lebensgewohnheiten vieler seiner Bewohner haben sich sogar von Grund auf geändert.

Für viele stellt die Familie nicht mehr die Regel menschlichen Zusammenlebens dar. Sie scheint, mehr recht als schlecht, durch das Prinzip wechselnder Solidargemeinschaften normalerweise einzeln lebender Individualisten ersetzt worden zu sein. Man mag diese Entwicklung bewerten wie man mag; wir müssen sie zur Kenntnis nehmen. Hinnehmen sollten wir sie nicht: die Familie ist und bleibt eine lebenswerte Alternative zur Ich-orientierten Single-Gesellschaft.

Denn was sich im einzelnen auch an den Umständen und Inhalten christlicher Politik in den letzten Jahrzehnten geändert haben mag – die Fundamente auf denen sie letztlich ruht, sind dieselben geblieben. Das C ist keine Frage der Mode oder eines Trends – nicht nur der Anfang sondern auch das Herz unserer Partei.

Noch ist die Arbeit am neuen Grundsatzpapier der CSV nicht abgeschlossen – eines ist jedoch schon heute klar: inspiriert sein, wird es aus jenem erfolgreichen Amalgam christlicher Tradition und abendländischer Aufklärung, welches die christlich-sozialen Parteien Europas nach dem Krieg in die Regierungsverantwortung und ihre Nationen zum Frieden in Freiheit und zur Demokratie im Wohlstand führte.

Heute stehen viele dieser Parteien wieder in der Verantwortung: in der Verantwortung einer Vision Gestalt zu verleihen, die das Potenzial hat, die Zukunft Europas auf Jahrzehnte hin zu prägen: die Grundrechte-Charta der Europäischen Union, der ersten Verfassung unseres Kontinents. Und auch dieser Entwurf wird sich auf so manchen Text berufen der auf christlichem Gedankengut fußt. Auch wenn es gut tut, ab und zu darauf hinzuweisen, dass christlich kein Synonym für katholisch ist – es besteht absolut keine Veranlassung den Einfluss der katholischen Soziallehre auf die christlich-soziale Politik auch des 21. Jahrhunderts wegdiskutieren zu wollen.

Auch wenn manchem die Sozialenzyklika Leos XIII, aus dem vorletzten Jahrhundert heute eher als historisches denn als politisches Dokument erscheinen mag – die 1981 von Johannes Paul II aus Anlass des 90. Jahrestag eben dieser “Rerum Novarum” erlassene “Laborem exercens” ist auch heute noch ein brandaktuelles Dokument, das alle wichtigen sozial- und arbeitsrelativen Probleme unserer Zeit diskutiert und sie zielgerichtet und lösungsbezogen in einen stabilen christlichen Kontext setzt.

Es lohnt die Mühe diese 35 Schreibmaschinenseiten durchzulesen – gerade weil das C auf dem Klingelknopf unseres Hauses für jeden seiner Besucher und Bewohner etwas anderes bedeutet.

Erna Hennicot-Schoepges Parteipräsident