Gewissensfragen

Gesellschaftspolitische Reformen waren bei der diesjährigen Debatte zur Lage des Landes Kernstück der staatsministerlischen Rede, aus der manche einen Dissens innerhalb der CSV herauskristallisieren wollten. Zu Unrecht jedoch – denn wer die parteiinternen Diskussionen innerhalb der CSV in den letzten Jahren verfolgte, der muss zugeben, dass die Partei in intensiver Vorbereitung alle von Jean-Claude Juncker aufgeworfenen Themenbereiche bis zur definitiven Fassung im CSV Wahlprogramm ausdiskutierte. Seit 1996 befasst sich die Partei mit den brisanten Themenkreisen von “acharnement thérapeutique”, Palliativmedizin, Sterbebegleitung und biologisches Testament. In zahlreichen Arbeitssitzungen mit Spezialisten konnten die CSV Mitglieder sich ihre Meinung bilden, die im Nationalrat vom 4. Mai 1997 festgehalten wurde.

Die Aussagen des Staatsministers – die wir nebenstehend im Originaltext nochmals publizieren – stehen im Einklang zu dem, was die CSV als grundsätzliche Haltung in ihren programmatischen Aussagen festhielt.

Im Hauruckverfahren wird sich kaum eine gute Lösung finden lassen, und da es sich hier um ein sehr sensibles Thema handelt, das jeden Einzelnen höchstpersönlich betrifft, wird die CSV auch dafür sorgen, dass dem Rechnung getragen wird mit dem angemessenen Respekt vor dem menschlichen Leben.

Der fulgurante medizinische Fortschritt und die zunehmende Technisierung verlangen einen anderen Umgang mit dem Tod. Man stirbt nicht mehr zuhause im trauten Kreis der Familie, in Holland waren es 1995 40% der Todesfälle, in Luxemburg sind es nur noch 20%. Für jene Familienangehörigen, welche die letzten Augenblicke eines Sterbenden unter schlechten Bedingungen mit erlebten, bleibt der Tod ein Trauma von dem sie nur schwer loskommen. Der Tod hat in unserer Kultur seine zentrale Bedeutung verloren. Er wird banalisiert, manchmal brutal entweiht, indem nur noch die Frage wann und von wem die “Maschine” abgeschaltet werden soll, vordergründig scheint.

Der Umgang mit dem Tod ist aber viel mehr als nur das Ende eines Lebens, dazu gehören auch die Trauer, der Kult um die Toten, Grabmähler und Erinnerungsfeiern. Jede große Kultur hat ihren Totenkult, von den Ägyptern wüssten wir heute nur wenig, hätte es nicht die Gräber der Pharaone gegeben. Es wäre eine grobe Verkennung unserer Zeit, wenn die “letzten Dinge” des Menschen zum bloßen rationalen Akt verkommen würden.

Die CSV sorgt sich daher zuerst um die Art und Weise wie gestorben wird. Es bleibt da unendlich viel zu tun in den Krankenhäusern, wo es derzeit keine Palliativstationen gibt – ausgenommen jene in Esch. Niemand würde heute einer willkürlichen Verlängerung des Lebens durch den Einsatz technischer Hilfsmittel ohne zwingende Beweggründe zustimmen. Ärzte haben sich dazu verpflichtet Leben zu retten – ihre Berufsethik ist heute manchmal auf eine harte Probe gestellt. Das biologische Testament, das den Willen des Einzelnen wie er zu sterben wünscht festschreibt, lässt ebenso viele Fragen offen, wie es deren beantwortet.

Und eben deshalb hat die CSV bei der Orientierungsdebatte der sozialistischen Resolution zur Einführung des “testament de vie” nicht zugestimmt. Übrigens nicht die CSV allein – wie J. Krecké es im Parlament behauptete, sondern bei der DP gab es 2 Nein, 3 Enthaltungen und eine Zustimmung – 5 DP Abgeordnete haben nicht an der Abstimmung teilgenommen – 3 Sozialisten ebenfalls nicht.

Eine Entschließung des Europarates vom 21 Mai 1999 warnt ausdrücklich davor, mit dem Recht zu töten in Konflikt mit dem Art. 2 der Menschenrechtskonvention zu geraten.

Wir sollten daher die Debatte um Euthanasie ohne parteipolitische Scheuklappen führen, es ist schließlich und vor allem eine Gewissensfrage für jeden Einzelnen.

Am 17. März 1998 hat der Nationalrat der CSV die Haltung der Partei zu einer Regelung für außereheliche Lebensgemeinschaften festgelegt. Die Vorlage dazu war das in einer Arbeitsgruppe ausgearbeitete Grundsatzpapier von Fr. Biltgen.

Der CSV kann mithin nicht der Vorwurf gemacht werden gesellschaftspolitische Themen für tabu zu erklären. Umso schäbiger ist daher der Vorwurf der Sozialisten, die CSV säße auf der Bremse.

Der Premierminister hat mit seiner Rede den Zeitpunkt richtig eingeschätzt, der Justizminister ist bei diesen Reformen am Drücker und Luc. Frieden wird es sich nicht nehmen lassen, die entsprechenden Gesetzestexte im kommenden Jahr vorzulegen.

Erna Hennicot-Schoepges CSV Präsidentin