Aus Nice kann etwas werden, wenn wir es wollen

“Aus Nice kann etwas werden, wenn wir es wollen”

Blick zum EVP-Kongress in Berlin

Die meisten Regierungschefs wollen Vertrag von Nice absegnen: Die Ergebnisse des EU-Gipfeltreffens von Nice werden von der Mehrzahl der christdemokratischen und konservativen Regierungschefs und Parteiführer als Arbeitsgrundlage für die weitere Entwicklung Europas betrachtet, so ein Beitrag von Luxemburger Wort-Redakteur Gerd Werle zum EVP-Kongress

in Berlin. Zu Beginn des 14. Kongresses der Europäischen Volkspartei (EVP) in Berlin warnten sowohl Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl als auch Premierminister Jean-Claude Juncker und Spaniens Ministerpräsident José Maria Aznar vor einer “Alles-oder-nichts-Haltung”. Juncker sagte, aus Nice könne durchaus etwas werden, “wenn wir es wollen”. An der Côte d’Azur hatten die Fünfzehn im Dezember 2000 mit minimalen institutionellen Reformen den Weg für die EU-Osterweiterung freigemacht.

Europa braucht neue Schübe

Juncker sagte, Europa brauche neue Schübe. Der Schub von Nice sei zwar nur ein Schübchen gewesen, aber ein Schübchen nach vorne sei besser als ein Schritt nach hinten. Doch alles, was auf Papier stehe, sei nichts wert, wenn jene, die es anwendeten, nichts wert seien. Für Juncker war es der Euro, der verhindert hat, dass die Konferenz von Nice scheiterte.

Er habe die Staats- und Regierungschefs zur Solidarität verpflichtet. Er sei sich sicher, dass sich in zehn Jahren kaum jemand in Europa finden lasse, der behaupte, er sei gegen den Euro gewesen. Man müsse höllisch aufpassen und dürfe den Sozialisten hier nicht das Feld überlassen. Er verstehe auch nicht, dass manche in der EVP den Sozialdemokraten die Sozialpolitik überlassen wollten. Im Gegenteil, die Christdemokraten seien als politische Kraft der Sozialpolitik verpflichtet.

Juncker sprach sich zwar gegen eine Erweiterung der Gemeinschaft “im Galopp”, aber für eine “zügige” Erweiterung aus.

Die Tür stehe offen für die Menschen in Mittel- und Osteuropa. Diese müssten das Gefühl erhalten, dass Europa nicht gegen sie sei. Zurzeit haben zwei Drittel der EU-Staaten Linksregierungen. Vor diesem Hintergrund versuchte Juncker, seine Parteifreunde aufzumuntern: “Christdemokraten sind zum Regieren geboren. Deshalb sollten wir uns selbst Beine machen.” Alles-oder-nichts-Partie

Für Altbundeskanzler Helmut Kohl besteht die große Erfahrung der letzten Jahre darin, dass es keine Alternative zur Politik der Einigung Europas gibt. Bereits auf seinem ersten EG-Gipfel 1882 in Kopenhagen habe es das Schlagwort von der “Eurosklerose” gegeben. Europa habe sich dennoch weiterentwickelt. Dann habe die Meinung vorgeherrscht, dass aus dem Vertrag von Maastricht nichts werden könne. Dennoch sei es Stück für Stück vorangegangen. Die letzten Verträge seien allesamt nicht optimal gewesen, aber auch in der nationalen Politik lebe man von Kompromissen. Im Zusammenhang mit Nice warnte Kohl vor einer “Alles-oder-nichts-Partie”.

Die Wiedervereinigung Europas zu vollenden hielt Kohl für eine Selbstverständlichkeit. Die Osteuropäer hätten nicht zu verantworten, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf der Sonnenseite gelebt hätten. Kohl, der von seinen Parteigenossen in eine Reihe mit den europäischen Gründervätern Robert Schuman, Jean Monnet und Alcide de Gasperi gestellt wurde, warnte vor einer Konstellation “kleine gegen große Länder”. Vielmehr müsse die Devise “Qualität vor Quantität” gelten. Von den rund 600 Delegierten mit stehenden Ovationen verabschiedet, forderte Helmut Kohl abschließend dazu auf, aus dem Vertrag von Nice das Beste zu machen.

Während der Präsident der französischen UDF, François Bayrou, den neuen Vertrag kritisierte (“Europa haben in Nice die Architekten gefehlt”), traten die Chefs der deutschen CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, dafür ein, das Abkommen abzusegnen.

Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sagte, wer Nice nicht akzeptiere, riskiere Stillstand bei der Erweiterung. Vom Euro, der in weniger als einem Jahr zwölf nationale Währungen ablösen wird, verspricht sich Schüssel einen Schub für Europa, Darüber hinaus sei ein Werteschub notwendig bei der Forschung, der Gesundheitspolitik und der Agrarproduktion. Hier seien die europäischen Christdemokraten gefordert. Schüssel, der wegen der Regierungskoalition mit den Rechtspopulisten um Jörg Haider im vergangenen Jahr ein (schließlich verworfenes) Ausschlussverfahren aus der EVP über sich ergehen lassen musste, bedankte sich schließlich für das Verständnis, das seine Parteifreunde bei der EVP gefunden hätten.

Europa des kleinsten gemeinsamen Nenners Für den EVP-Vorsitzenden Wilfried Martens stellt die erschwerte Entscheidungsprozedur im Vertrag von Nice einen Rückschlag dar. Bei Mehrheitsbeschlüssen im Ministerrat sind künftig 73,4 Prozent der Stimmen notwendig. Dabei müssen 62 Prozent der Bevölkerung repräsentiert sein. Außerdem müssen nach abgeschlossener Osterweiterung 14 von 27 Staaten zustimmen. Martens sprach von einem “Europa des kleinsten gemeinsamen Nenners”.

Ganz andere Töne schlug der spanische Ministerpräsident José Maria Aznar an, der Nice als großen Schritt bezeichnete.

Noch nie sei er so zufrieden aus einem Europäischen Rat hinausgegangen, Kein Wunder, denn der Spanier sicherte sich dort ein Vetorecht bei der Vergabe der Strukturfondsmittel bis mindestens 2014.

Der EVP-Kongress geht heute Samstag mit der Verabschiedung des Grundsatzpapiers “Eine Union gemeinsamer Werte” zu Ende. Dazu liegen nicht weniger als 600 Änderungsanträge vor. Die CSV ist in der deutschen Hauptstadt durch Premierminister Jean-Claude Juncker, Parteipräsidentin Erna Hennicot-Schoepges, die EVP-Abgeordneten im Europaparlament, Astrid Lulling und Jacques Santer, EU-Kommissarin Viviane Reding sowie Nicolas Estgen, Alice Fournelle-Molitor und Ady Richard vertreten.