Gegen den Vertrag reden, aber nicht gegen den Vertrag stimmen!

“Gegen den Vertrag reden, aber nicht gegen den Vertrag stimmen!”

EVP-Kongress: Appell zur Zukunft der EU

Nach dem kritisch bewerteten Ergebnis des EU-Gipfels von Nizza drängen die europäischen Christdemokraten darauf, schon jetzt die Vorbereitungen für die nächste Vertragsreform zu beginnen. So formulierten die Delegierten beim XIV.

Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) Mitte Januar 2001 in der Bundeshauptstadt Berlin einen grundlegenden Arbeitsauftrag für die kommenden Jahre. Darin wird gefordert, die nächste Reform von einem Konvent anstelle der bisher üblichen Regierungskonferenz vorzubereiten: Des Weiteren wurde vorgeschlagen die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Nationalstaaten sowie unter den einzelnen EU-Institutionen per Verfassungsvertrag zu klären. Auf anderen Politikfeldern sollen die Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit erfolgen (siehe auch Artikel: Europa braucht vor allem Visionen). Im Mittelpunkt der Kongressarbeiten stand jedoch das Dokument: “Eine Union der gemeinsamen Werte”.

Der Berliner Appell solle deutlich machen, was jetzt auf Nizza folgen müsse, sagte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. So verlangte sie klare Zuständigkeiten vor allem im europäischen Rahmen: Künftig müsse genau feststehen, wer wofür zuständig sei. Die gesamte Diskussion über BSE zeige mehr als deutlich, wo die Probleme liegen würden, meinte sie.

Ungeachtet der Kritik an den Ergebnissen von Nizza appellierten beim Kongresses in Berlin mehrere prominente EVP-Politiker wie Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel oder auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber an die Adresse der nationalen Parlamente, den Vertrag von Nizza dennoch zu ratifizieren.

Das war ein Schübchen

Premierminister Jean-Claude Juncker verlangte diesbezüglich u.a. : “Wir müssen gegen den Vertrag reden, aber nicht gegen den Vertrag stimmen!” Für den gegenteiligen Fall sagte Juncker einen “Integrationsrückschritt” voraus. Zwar sei von Nizza kein ausreichender Schub ausgegangen (“Das war ein Schübchen”, befand der Premier). Doch auch mit einem unfertigen Vertrag könne man eine perfekte Politik machen, wenn der Wille dazu vorhanden sei.

ÖVP-Chef Schüssel warnte vor einem “Stillstand”, sollte Nizza nicht ratifiziert werden. Er schlug vor, die Regierungen nach der parlamentarischen Ratifizierung zu einem “offenen Prozess” zu verpflichten. Auch plädierte er für eine verstärkte Einbindung der Mitglieder des Europaparlamentes betreffend die Entscheidungen über die Beitrittskandidaten und die Bürgergesellschaft.

Laut dem Entschließungsantrag für den von der CDU-CSU vorgelegten “Berliner Appell” solle die Arbeitsmethode für die nächste Reform generell geändert werden. Eine Konferenz basierend auf dem erfolgreichen Modell des Konvents zur Vorbereitung der Grundrechtecharta solle die volle Beteiligung der Mitglieder des Europäischen Parlaments (EP) und der nationalen Parlamente gewährleisten. Es solle über wirksame interne Entscheidungsverfahren verfügen und mittels spezialisierter Arbeitsgruppen auch externe Experten einbinden. Zudem solle die Tagesordnung für die neue Reformrunde so offen gestaltet werden, dass eine “demokratischere, transparentere und handlungsfähigere” EU möglich werde und so die Defizite von Nizza überwunden werden könnten.

Klare Perspektiven

Zur Überwindung dieser nach Nizza fortbestehenden oder dort neu geschaffenen Defizite soll der Nach-Nizza-Prozess, der die bis 2004 zu verabschiedende Reform vorbereitet, nach Überzeugung der Christdemokraten “klare Perspektiven und Richtlinien sowie Verpflichtungen” anbieten. Die EVP-Abgeordneten kritisierten besonders, dass die Entscheidungsfindung im Ministerrat durch die Einführung einer dreifachen Mehrheit aus Staaten, Bevölkerung und Stimmengewichtung noch komplizierter anstatt einfacher geworden sei. So sei die Transparenz nicht erhöht worden, und in weiteren Bereichen entscheide der Rat mit qualifizierter Mehrheit, ohne dass dem Europarlament das Recht auf Mitentscheidung eingeräumt worden sei. Außerdem seien wichtige Bereiche wie Einwanderung und Asylrecht unter der Einstimmigkeitsregel belassen worden. Der dreitägige Kongress in Berlin stand unter dem Motto “Eine Union der gemeinsamen Werte”. Er umfasste auch ein Kolloquium über die Neuen Herausforderungen der Sozialen Marktwirtschaft. Der EVP gehören 23 Parteien aus den Ländern der EU und 17 assoziierte Parteien aus Beitrittsländern und anderen europäischen Staaten an.