Pluralismus bewahren ohne Gewerkschaftsstreit und Hausgewerkschaften

“Pluralismus bewahren ohne Gewerkschaftsstreit und Hausgewerkschaften”

Das Luxemburger Wort führte mit Arbeitsminister François Biltgen ein Interview über Reform des Kollektivvertragsgesetzes.

Hier einige Auszüge:

Luxemburger Wort: Herr Minister, in der Diskussion um die Reformbedürftigkeit des Kollektivvertragsgesetzes vom 12. Juni 1965 wird oft das Schlagwort der Gewerkschaftsfreiheit ins Feld geführt. Ist die gewerkschaftliche Freiheit in Luxemburg aufgrund dieses Gesetzes nicht so gewährleistet, wie es sich für einen demokratischen Rechtsstaat gehört?

François Biltgen: Das ist eigentlich nicht der Punkt. Man sollte in der ganzen Debatte aufpassen, die Argumente nicht falsch zu vermischen. Beim Kollektivvertragsgesetz geht es nicht um die Frage der Gewerkschaftsfreiheit, sondern darum, wer Kollektivverträge unterschreiben darf und wer nicht. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun. Eines muss man nämlich wissen: Die Kollektivverträge sind die einzigen privatrechtlichen Verträge, die nahezu Gesetzeskraft haben und Drittpersonen, d. h. Arbeitnehmer bindet, die nicht Mitglied der unterzeichnenden Gewerkschaften sind. Kernpunkt der Diskussion ist also nicht die Gewerkschaftsfreiheit, sondern die Rechtsverbindlichkeit.

(…)

LW: Worauf sind denn die heutigen Probleme zurückzuführen? F. Biltgen: Lange Zeit funktionierte das System vorbildlich. Doch dann traten zwei folgenschwere Entwicklungen ein: Erstens die Selbstzersplitterung der FEP, die dazu führte, dass u. a. die Aleba als sektorieller Zusammenschluss der Bankangestellten ohne national repräsentativen Partner da stand, sowie zweitens die Aufweichung der Gewerkschaftsfront gegenüber dem Bankenpatronat. So wurde der Kollektivvertrag ein erstes Mal mit einer national repräsentativen Gewerkschaft abgeschlossen, die aber im Sektor unterrepräsentiert war. Später dann einigte sich die ABBL mit einer im Sektor stark repräsentierten, doch national nicht repräsentativen Gewerkschaft. So dass das Gesetz plötzlich als ungerecht, von manchen gar als verfassungswidrig und nicht konform zu internationalen Normen empfunden wurde.

(…)

“Gesetzgeber muss Kriterien festlegen”

Im Interview beschrieb der Arbeitsminister François Biltgen des Weiteren: Meine Position ist eindeutig: Die Kollektivvertragspolitik ist ein Teil der Gesellschaftspolitik. Es liegt am Gesetzgeber, klare Kriterien festzulegen, wer wann wo und für wen kollektivvertragsfähig ist oder nicht. Deshalb muss das Gesetz – so oder so – aufgearbeitet werden, und zwar unabhängig davon, wie der Verwaltungsgerichtshof über die Berufung des Ministers entscheiden wird. Ein Schritt, den ich schon aus dem Grund tun musste, weil ein so gewaltiger Kurswechsel in der Rechtsprechung in erster Instanz nur dann Rechtssicherheit – wenn überhaupt – bietet, wenn dieses Urteil auch in letzter Instanz bestätigt ist.

Doch wie die Richter die Sache auch immer sehen mögen, es sind nicht unbedingt alle Fragen der Verfassungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit des 65-er Gesetzes nach internationalen Normen geklärt. Eine Klage ist ja noch beim Internationalen Arbeitsamt in Genf anhängig, das ich übrigens gebeten habe, die Reform zu begleiten.

Das neue Gesetz sollte aber nicht zum Zweck haben, Kollektivverträge, die vom Richter bestätigt wurden, rückwirkend außer Kraft zu setzen. Es ist dies ein zentraler Bestandteil des Rechtsstaats. Dennoch bleibt ein neues Gesetz, das für die Zukunft Klarheit schafft, unabdinglich.

Nationale Repräsentativität und Vertragsfähigkeit

LW: Was schwebt ihnen vor in Sachen nationale Repräsentativität? F. Biltgen: Auch sie muss neu definiert werden. Ob eine Gewerkschaft national repräsentativ ist oder nicht, soll in einer spezifischen, gerichtlich einklagbaren Prozedur festgestellt werden, z. B. in einem Beschluss des Regierungsrats auf Vorschlag des Arbeitsministers. Dieser Entscheid sollte sich auf eine so genannte Indizienkette (»faisceau d’indices”) stützen. Mindestens eines der Indizien sollte quantitativ nachvollziehbar sein, z. B. die erzielte Stimmenzahl bei der jeweiligen Berufskammer- oder Krankenkassenwahl. Allerdings müsste sich die nationale Repräsentativität über einen gewissen Zeitraum messen lassen, um zu verhindern, dass von heute auf morgen eine einzige Wahl über “Sein oder Nichtsein” entscheidet.

Zehn Fragen zum Kollektivvertragsgesetz

Arbeitsminister François Biltgen nutzte eine Interpellation zur Repräsentativität der Syndikate; um der Abgeordnetenkammer seine diesbezüglichen Vorstellungen zu unterbreiten In diesem Zusammenhang richtete er mehrere Fragen, die bei der Ausarbeitung der neuen Gesetzgebung berücksichtigt werden sollen, an die Deputierten:

? Wird am Prinzip der Tarifautonomie festgehalten? ? Wie soll eine etwaige Kontrolle des Staates über den Inhalt der Kollektivverträge aussehen? ? Wie soll die Künftige Depot-Prozedur der Kollektivverträge ablaufen? ? Soll nicht endgültig gesetzlich verabschiedet werden, dass ein Kollektivvertrag erst dann ausläuft, wenn die Schlichtungsprozedur gescheitert ist? ? Soll bei der Syndikats-Repräsentativität der Unterschied Arbeiter-Beamte beibehalten werden? ? Welche Kriterien werden bei der Definition der Repräsentativität angewandt? ? Nach welchen spezifischen Aspekten soll die sektorielle Repräsentativität definiert werden? ? Welche Rechte sollen an die sektorielle Repräsentativität geknüpft werden? ? Nach welchen Gesichtspunkten soll einem Syndikat das Vertretungsrecht zu- bzw.

gegebenenfalls aberkannt werden? ? Wie soll eine Verhandlungsdelegation besetzt sein?