«Vollekspartei»
Der Begriff «Politik» hat leider oft einen schlechten Beigeschmack. Dieser Eindruck verdirbt vielen Menschen das Interesse an der «etablierten» Politik und treibt sie allzu oft in die Hände von Protestparteien.
Wie können wir dem entgegenwirken? Es sind vielleicht zwei Dinge. Zum einen die persönliche Authentizität, die sich viele PolitikerInnen über viele Jahre intensiven und ehrlichen Engagements aufgebaut haben. Sie sind und bleiben nahbar, halten sich selber nicht für unentbehrlich und arbeiten im Interesse ihrer WählerInnen. Zum anderen ist es aber auch die prinzipielle Gretchenfrage: was ist das eigentliche Ziel von Politik?
Der frühere Basketball-Coach Phil Jackson, der die Chicago Bulls in der letzten Saison mit Michael Jordan zum legendären 6.NBA-Titel führen wollte, sagte: «Du musst eine Vision haben, bei der es Spass macht, dabei zu sein!». Was für «The last dance» mit Michael Jordan galt, gilt bei jedem Führungsanspruch. Auch für die Politik, den Staat und die Gestaltung der Gesellschaft.
Letzte Woche hat ein land-Journalist das Konzept der Volkspartei kritisch kommentiert, welches wir uns für die CSV klar weiterhin vorstellen. Er hat das famose Sprichwort bemüht, dass in der CSV die «Botzfra» neben dem Bankier sitzt und – vielleicht zurecht – hinterfragt, ob die Putzfrau sich heutzutage überhaupt noch vorstellen kann neben einem Finanzmenschen zu sitzen. Desweiteren hat er vermutet, dass die CSV beide nur solange nebeneinander gesetzt hat, wie die Verteilungsungerechtigkeiten nicht dermassen bekannt waren – was der CSV in die Karten gespielt habe.
Nun, wir können dazu sagen: so war es bei uns nie, und so wird es nicht sein! Leitende Persönlichkeiten der CSV der letzten Jahrzehnte kamen aus der Arbeiterwelt und brachten das notwendige Gefühl und das Engagement für Gerechtigkeit mit! Und gemeinsam mit Mitgliedern aus anderen sozialen Umfeldern haben sie eine Vision für die gesamte Gesellschaft entwickelt, einen starken Staat aufgebaut, ein phantastisches Sozialsystem auf die Beine gestellt und die Selbstverwirklichung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Wie sehr diese Arbeit das Land über Jahrzehnte geprägt, im sozialen Frieden gehalten und in einem geteilten Wohlstand hat wachsen lassen, ist einzigartig. Es ist die Verwirklichung einer Vision, die dem Land und den Leuten zu Gute kam.
Und heute? Der soziale Frieden bröckelt, weil Wohnen zur Eliteveranstaltung wird und viel zu viele Landsleute keine andere Wahl mehr haben, als enttäuscht jenseits der Grenzen zu ziehen. Auch viele andere drehen Tag ein Tag aus in einem Hamsterrad. Sie konnten während der Pandemie teilweise endlich wieder Luft holen, mehr Zeit mit ihren Familien verbringen und die Natur neu entdecken und geniessen. Zugleich hat die Pandemie Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen, Alleinerziehende und Selbstständige verstärkt getroffen. Und hart getroffen.
Nein, Verteilungsgerechtigkeit sieht definitiv anders aus. Und sie bleibt ein Kernauftrag der CSV. Mit der neuen Generation an Verantwortungsträgern mehr denn je.
Denn «Vollekspartei» bedeutet im Luxemburg des Jahres 2021 ein nachhaltiges Sozialmodell zu entwerfen, in dem jeder Einzelne auf die Solidarität seiner Mitbürger zählen kann. Es bedeutet, der breiten, vielfältigen und sich wandelnden Bevölkerung eine gemeinsame und langfristige Sicht von Gesellschaft anzubieten und zu vermitteln, in der wir alle wohnen, leben, arbeiten, unsere Familie ernähren und uns über den Weg laufen können. Egal, ob sie vorher schon bei der CSV nebeneinander saßen oder nicht.
«Vollekspartei» zu sein ist keine Wahlkampf-Strategie, sondern ein politischer Anspruch, breit und weit zu denken. Und gerade weil dies heute so schwierig erscheinen mag, ist es genau diese Zukunftsvision die wir brauchen. Wie Phil Jackson es formulierte: eine Vision, die uns fasziniert, ein Teil davon zu sein.
Stéphanie Weydert und Elisabeth Margue, Vize-Präsidentinnen,
Paul Galles, geschäftsführender Generalsekretär
Source : « Lëtzebuerger Land »