Das Bruttoinlandprodukt – kein Fortschrittsindikator

Der Wohlstand und die Lebensqualität der Menschen sind tragende Säulen des politischen Geschehens. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) stellt die klassische Kennzahl dar, mittels welchem der summierte Wert der hergestellten Güter sowie der angebotenen Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft berechnet wird und somit eine Aussage über die wirtschaftliche Größe eines Landes liefert. Es ist aber auch ein Gradmesser für den Ressourcenverbrauch, die soziale Ungerechtigkeit und die Umweltzerstörung. Im Rahmen des anstehenden Klimapartenariat muss darauf hingewirkt werden, das bisherige rein wirtschaftlich ausgerichtete BIP weiterzuentwickeln und um die soziale, kulturelle und ökologische Kriterien ergänzen

Das Bruttoinlandprodukt – kein Fortschrittsindikator
Dr.-Ing. Marcel Oberweis

Der Wohlstand und die Lebensqualität der Menschen sind tragende Säulen des politischen Geschehens. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) stellt die klassische Kennzahl dar, mittels welchem der summierte Wert der hergestellten Güter sowie der angebotenen Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft berechnet wird und somit eine Aussage über die wirtschaftliche Größe eines Landes liefert. Es ist aber auch ein Gradmesser für den Ressourcenverbrauch, die soziale Ungerechtigkeit und die Umweltzerstörung. Im Rahmen des anstehenden Klimapartenariat muss darauf hingewirkt werden, das bisherige rein wirtschaftlich ausgerichtete BIP weiterzuentwickeln und um die soziale, kulturelle und ökologische Kriterien ergänzen

Bereits der „Club of Rome“ hatte im Jahr 1972 mit seinem Aufsehen erregenden Bericht „Grenzen des Wachstums“ darauf hingewiesen, dass das BIP nicht als die Richtschnur des Wohlergehens eines Landes dienen kann. Wieso sollten die Reparaturen, bedingt durch einen Unfall und die Behandlungskosten der Verletzten resp. die Bestattungsgebühren zur Erhöhung des BIP beitragen? Und die Behebung der Schäden an der Umwelt, verursacht durch grobe Fahrlässigkeit von Unternehmen und Haushalten? Hier kann wohl nicht von positiven Effekten des Wohlergehens geredet werden!

Für das Allgemeinwohl

 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht die Weltgemeinschaft vor wichtigen Entscheidungen, die keinen Aufschub tolerieren. Die nachhaltige Zukunft kann nur erreicht werden, wenn die notwendigen Messinstrumente zum Einsatz kommen. Die Menschheit verbraucht heute über mehr als 1,5mal mehr Ressourcen, als die Erde aufbieten kann. Wenn hier keine Remedur geschaffen wird, dann werden die 8 Milliarden Menschen im Jahr 2030 zwei Planeten brauchen. Die Wasser- und die Nahrungsmittelkrisen werfen ihre langen Schatten voraus und Hunderte Millionen Menschen warten sehnsüchtig auf positive Signale bezüglich der Nahrungsmittelversorgung, der modernen Energieversorgung und der hygienischen Sanitäreinrichtungen.

Der „World Energy Outlook“ hat ebenfalls in einer rezenten Publikation mitgeteilt, dass der weltweite Primärenergieverbrauch um 47 Prozent während der Zeitspanne 2010 bis 2035 ansteigen wird. Allein der Verbrauch an elektrischer Energie wird sich um 75 Prozent erhöhen und der Bedarf an Erdöl wird von derzeit 88 Millionen Barrel auf 102 Millionen Barrel täglich ansteigen. Man darf sich fragen, woher die benötigten Mengen an Erdöl und Erdgas kommen sollen? Des Weiteren muss man sich der Tatsache bewusst machen, dass der „oil peak“ für das konventionelle Erdöl bereits im Jahr 2006 überschritten wurde. Das Angebot kann nur gesteigert werden, wenn verstärkt auf die unkonventionellen Reserven Erdölschiefer und Erdölsand gesetzt wird, welche mit hohem Energieaufwand und Investitionen gefördert werden. Dies geschieht jedoch nicht ohne gewaltige Eingriffe in die Natur und gravierende Konsequenzen für die Weltmeere. Wissend, dass Erdöl zu 90 Prozent im Mobilbereich Verwendung findet, kann man sich den Druck auf diesen Energieträger leicht ausmalen. Nur noch diejenigen, die über die finanziellen Mittel verfügen, werden sich demnächst den Luxus des mobilen Lebens erlauben können. Die kurzfristigen Eigeninteressen müssen demzufolge der Vergangenheit angehören und dem langfristigen weltweit geltenden Allgemeinwohl weichen.

In diesem Zusammenhang warnen die Wissenschaftler, dass die Basis der natürlichen Ressourcen, die einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität unserer Gesellschaften leistet, vor dem Kollaps steht. Der Verlust der Biodiversität, die aufziehende Energiekrise, der schleichende Klimawandel und die prekäre Nahrungsmittelknappheit, die sich vergrößernden Dürregebiete, das katastrophale Angebot an Trinkwasser und die anwachsenden Flüchtlingsströme können wohl nicht als positive Elemente in das BIP der einzelnen Länder dienen, vielmehr verringern sie deren Grundlagen des Gedeihens.  

Ein neues Wirtschaftssystem entwickeln

Angesichts dieser Erkenntnisse macht es Sinn, eine neue Strategie für die gemeinsame zukünftige Entwicklung einzuleiten. Dies kann nur geschehen, wenn wir die wirtschaftlichen und die umweltschützerischen Interessen miteinander vernetzen; ich halte dies für den wichtigsten Ansatz des nachhaltigen menschlichen Verhaltens. Das ausgemachte Ziel des Bemühens muss die Ausarbeitung eines Leitbildes sein, welches das Wachstum und den gesellschaftlichen Fortschritt zusammenführt. Sollten nicht auch Zufriedenheit, soziale Sicherheit, die Verfügung von Arbeitsplätzen und Gesundheit im nachhaltigen BIP erfasst werden? Sicher, deren Monetarisierung ist nicht einfach, aber ohne diese Elemente kann es keinen wachsenden Wohlstand für alle Erdenbürger geben.

Ein Wirtschaftssystem aufbauen, welches Wohlstand für alle Menschen garantiert und die Belange des Planeten respektiert, heißt die Devise. Neue dauerhafte Partnerschaften und eine enge Kooperation zwischen der Wirtschaft, der Gesellschaft sowie der Politik einfädeln, stellen den vernetzten Lösungsweg dar. Die Strategie zur Einführung der Kreislaufwirtschaft wird zur Recycling-Gesellschaft führen, in welcher wir das Abfallaufkommen verringern und der Abfall als Wertstoff wiederverwertet wird, ein positives Element im BIP. Der EU-Umweltkommissar Jan Potocnik fordert in diesem Zusammenhang eine effizientere Ressourcennutzung als gemeinsamer Nenner aller Politikbereiche der EU-Staaten, dies nach dem Motto: „Wir können uns den aktuellen Ressourcenverbrauch im bisherigen Umfang nicht mehr leisten“. Die sich in der Entwicklung befindlichen kohlenstoffarmen Technologien werden zur Verringerung der Abhängigkeit an fossilen Energieträgern sowie der Treibhausgasemissionen beitragen, sie gelten als Exportschlager der europäischen Unternehmen. Seit dem Jahr 1990 hat die Europäische Union ihre Emissionen um 10 Prozent verringert, obwohl die Wirtschaftsleistung um 40 Prozent anstieg.

Den vorstehenden Ausführungen darf entnommen werden, dass die bisherige Berechnung des BIP überholt ist. Die Wissenschaft, die Politik und die Zivilgesellschaft sind angehalten, die wirtschaftliche Leistung kritisch auf ihre monetäre Qualität zu hinterfragen und die Erfassung von negativen Begleiterscheinungen der Volkwirtschaft nicht außer zu Acht zu lassen, dies gemäß der Aussage: Das Bruttoinlandprodukt – ein nachhaltiger Entwicklungsindikator.