Am 9. Oktober 2011 finden Kommunalwahlen statt. In 116 Gemeinden werden die Wähler zu den Urnen schreiten, um „ihre“ Vertreter für 106 Gemeinden zu bestimmen. Zum 1. Januar 2012 nämlich – wenn die neue Amtsperiode offiziell beginnt – werden sechs Gemeindefusionen (Clerf, Äerenzdallgemeng, Esch/Sauer, Parc Hosingen, Käerjéng und Schengen) rechtskräftig. Nicht zustande kommen wird die Fusion der Gemeinden Koerich und Simmern. Im entsprechenden Referendum hatten sich die Bürger der Gemeinde Koerich dagegen ausgesprochen. Für Innenminister Jean-Marie Halsdorf ist das aber kein Grund, an der Richtigkeit des Fusionsgedankens zu zweifeln. Im Gegenteil.
INTERVIEW: CLAUDE FEYEREISEN UND MARC SCHLAMMES
Herr Halsdorf, wäre das Referendum für die Fusion der Gemeinden Niederkerschen und Küntzig – wie jenes für Koerich und Simmern – negativ ausgefallen, hätten Sie dann die Fusionsbestrebungen generell überdacht, vielleicht sogar in Frage gestellt?
Jean-Marie Halsdorf: Keinesfalls. Ich werde weiterhin am Fusionsgedanken festhalten. Der eingeschlagene Weg ist der einzig richtige, um Luxemburg im Allgemeinen und die Gemeinden im Besonderen für die Zukunft fit zu machen. Im Idealfall soll die Zahl der Gemeinden bis 2017 von jetzt 116 auf dann 71 verringert worden sein. Dann soll es nur noch ein paar Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnern geben.
Warum?
Jean-Marie Halsdorf: Das ist im Interesse eines jeden einzelnen Bürgers. Angesichts der soziodemografischen Entwicklung des Großherzogtums sind Fusionen dringend notwendig.
Und das bedeutet konkret?
Jean-Marie Halsdorf: Als Minister bin ich zuständig für das ganze Land und die gesamte Bevölkerung. Also ist es nur logisch, dass ich mich dafür einsetze, dass jeder Bürger, ganz gleich wo er wohnt, in den Genuss der gleichen Dienstleistungen kommt. Gemeindefusionen sind notwendig, um das möglich zu machen.
Ihre Sichtweise ist schlüssig und nachvollziehbar. Aber kennen auch die Bürger die tatsächlichen Vorteile, die sich durch Gemeindefusionen für sie ergeben?
Jean-Marie Halsdorf: Eigentlich müssten sie darüber auf dem Laufenden sein. Wir haben die Bevölkerung ja informiert, insbesondere die Einwohner der fusionswilligen Gemeinden. Um die Bürger noch stärker für den Fusionsgedanken zu sensibilisieren, werden wir im Frühling Informationssitzungen in den betroffenen Gemeinden veranstalten. Gleichzeitig werden wir den Anliegen und Vorstellungen der Bürger Gehör schenken. Auf der Basis der so gewonnenen Erkenntnisse werden die Distriktskommissare eine Art Lagebericht darüber erstellen, wer mit wem fusionieren könnte. Parallel dazu ist uns daran gelegen, den Bürgern klar zu machen, dass wir die Fusionen keinesfalls forcieren wollen und dass Handlungsspielraum besteht.
Die möglichen Fusionen werden doch aber vom Innenministerium vorgezeichnet …
Jean-Marie Halsdorf: Wir haben mögliche Szenarien dafür, wer mit wem fusionieren könnte, als eine Art Diskussionsbasis im Vorfeld definiert, doch sind wir für andere Vorschläge und Varianten offen. Sollte eine Gemeinde sich mit einer anderen als jener, die wir als Fusionsgemeinde auserkoren haben, zusammenschließen wollen, sind wir gerne bereit, diese Variante zu überprüfen, darüber zu diskutieren und gegebenenfalls zu akzeptieren.
Mit welchen Argumenten wollen Sie die (teils skeptischen) Bürger vom Fusionsgedanken überzeugen?
Jean-Marie Halsdorf: Mit dem Argument der bestmöglichen kommunalen Dienstleistung für jedermann und anhand des Beispiels der künftigen Fusionsgemeinde Käerjéng, bei der die ursprünglichen Gemeinden Niederkerschen und Küntzig beide Gewinner sind.
Gewinner?
Jean-Marie Halsdorf: Küntzig schafft dadurch die 3 000-Einwohner-Hürde, die Verbundgemeinde Käerjéng durchbricht durch die Fusion die 10 000-Einwohner-Grenze. Dadurch wird Käerjéng einerseits zur achtgrößten Gemeinde des Landes und andererseits auch zu einem der Hauptakteure des gesamten Korntals. So ergeben sich auf kommunaler, aber auch auf regionaler Ebene, in Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden, ganz neue Perspektiven.
In Küntzig hatten sich gut 56 Prozent der Wahlberechtigten für die Fusion ausgesprochen, in Niederkerschen waren es 58 Prozent. Ein Top-Resultat sieht aber anders aus.
Jean-Marie Halsdorf: Das Referendum gehört zu den Basisfunktionen des demokratischen Systems. Es spiegelt den Willen der Bürger wider und gibt den politisch Verantwortlichen gewissermaßen eine Marschrichtung vor. In Luxemburg glauben die Bürger offenbar, ein Referendum sei erst dann ein Erfolg, wenn 80 Prozent Ja-Stimmen 20 Prozent Nein-Stimmen gegenüberstehen. Von anderen EU-Staaten wissen wir aber, dass der Ausgang eines Referendums wie im Falle von Küntzig und Niederkerschen eher die Regel als die Ausnahme ist. Wir sollten bei jedem Referendum partei- und personalpolitische Argumente der Wähler nicht unterschätzen. Es geht in der Wahlkabine nicht immer nur um die Fusion als solche.
Durch Fusionen werden Majorzgemeinden gewissermaßen über Nacht zu Proporzgemeinden. Wie wird dieser Schritt geregelt? Inwiefern bietet das Innenministerium Hilfestellung?
Jean-Marie Halsdorf: Einige von ihnen werden durch die Fusion über 3 000 Einwohner zählen und würden somit per Gesetz vom Majorz- zum Proporzsystem wechseln. Würden, denn alle fusionswilligen Gemeinden haben sich Übergangslösungen mit dem Innenministerium ausgehandelt. Diese gelten je nach Gemeinde für eine oder zwei Mandatsperioden, also für sechs oder zwölf Jahre, und werden für die jeweilige Gemeinde individuell ausgehandelt. Pro Gemeinde wird dann auch ein entsprechendes Reglement, sozusagen „à la carte“, angefertigt. Für eine unverzügliche Anwendung des Proporzsystems, also mit Parteilisten, hat sich bislang keine Gemeinde entschieden. Alle wollen zumindest in einer ersten Phase Majorzgemeinden bleiben. Manche Gemeinden behalten das Majorzsystem nur während sechs Jahren bei, andere wollen erst nach zwölf Jahren von diesem System abrücken. Auch die Zahl der Gemeinderatsmitglieder können die fusionswilligen Gemeinden in gewissen Grenzen selbst festlegen.
Quelle: Luxemburger Wort, 20. Dezember 2010