Das Internationale Jahr der Biodiversität 2010. Eine freie Tribüne von Marcel Oberweis, CSV-Abgeordneter
Wohl standen der Klimawandel und die schleichenden Folgen im Mittelpunkt der UN-Konferenz in Kopenhagen, aber die latente Bedrohung der Artenvielfalt konnte man unterschwellig heraushören. Das Geschacher am Verhandlungstisch zeigte überdeutlich, den mächtigen Staaten liegt nunmehr angesichts der Krisenbewältigung die Haut näher als das Hemd. Den eigenen Vorteil wohl erhöhen aber die Not von 2 Milliarden Minderbemittelten stand nicht zur Debatte.
Um die globale vielschichtige Diskussion mit Blick auf den Naturschutz mit Leben zu erfüllen, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2010 zum Internationalen Jahr der Biodiversität ausgerufen. Es soll verstärkt auf den akut drohenden Verlust der biologischen Vielfalt von Tieren und Pflanzen aufmerksam gemacht werden. Die globale Erwärmung, die Umweltverschmutzung und die Ausbeutung der natürlichen Lebensräume haben laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen dazu geführt, dass bereits im Jahr 2007 zig Tausende Arten vom Aussterben bedroht waren.
Schutz unserer Ökosysteme
Die Wissenschaft schätzt die Anzahl der bekannten Arten von Tieren und Pflanzen in den Ökosystemen auf etwa 2 Millionen und es verbleiben noch viele unentdeckte Arten auf dem Planeten. Leider hat die Gesamtzahl der Arten während der Zeitspanne 1970 bis 2000 bereits um 40 Prozent abgenommen und es sterben täglich etwa 150 Tier- und Pflanzenarten aus, so dass das natürliche Gleichgewicht an vielen Orten der Welt gestört wird; im Gefolge drohen ganze Ökosysteme zu verschwinden.
Die Ökosysteme erbringen jedoch Umweltleistungen, die für das Überleben der Gattung Mensch von grundlegender Bedeutung sind: die Bindung des Kohlenstoffs der Atmosphäre und die Produktion von Sauerstoff, der Schutz der Böden gegen Erosion und die Erhaltung ihrer Fruchtbarkeit, das Ausfiltern von Wasser und das Auffüllen der Grundwasserreservoirs. Die meisten Menschen halten die enormen Dienste, welche die Ökosysteme ihnen kostenlos leisten, für selbstverständlich und sind sich der verursachten Frevel nicht bewusst.
Paul und Anne Ehrlich haben in ihrem Buch „Extinction“ mit den Worten „Niemals in den 500 Millionen Jahren der terrestrischen Evolution hat dieser Mantel, den wir die Biosphäre nennen, unter so schonungsloser Attacke gestanden“ auf diese Tatsache hingewiesen. Und der seit dem Beginn der industriellen Revolution vor 250 Jahren stattfindende Prozess der Unterwerfung des Planeten im Namen des Fortschritts führt unweigerlich zum Zusammenbruch des Gesamtsystems.
Es herrscht deshalb Einigkeit in der wissenschaftlichen Welt darüber, dass die aktuellen Schäden eine Rekordzahl von Tier- und Pflanzenarten an den Abgrund des Überlebens treiben. Die Experten erklären, dass das Tempo des Artenverlustes aufgrund der negativen Umwelteinwirkungen durch die Menschheit um etwa das Tausendfache höher ist als dies natürlicherweise der Fall wäre.
Die hohe genetische Vielfalt innerhalb einer Art stellt hingegen die Voraussetzung für die evolutionäre Anpassung der Arten dar. Diese Anpassung von Ökosystemen an sich ändernde Umweltbedingungen ist meist umso besser, je größer die Vielfalt der Arten ist. Verschwinden zu viele Arten in kurzer Zeit, dann werden die verbleibenden Arten ebenfalls bedroht, so dass sich die Stabilität des gesamten Ökosystems verringert. Die genetische Vielfalt der Natur stellt somit ein hohes Potenzial für die Weiterentwicklung der Menschheit dar.
Den Verlust an Biodiversität stoppen
Anlässlich der UN-Konferenz in Rio im Jahr 1992 war die globale Allianz zur Förderung des Lebens auf der Erde ausgerufen worden. Die Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) sollte in den Mittelpunkt des politischen Geschehens gerückt werden. Die aktuelle Kampagne hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Biodiversität im Jahr 2010 zu erzielen, damit der voranschreitende Verlust an Ressourcen gestoppt wird; dies im Anschluss an das Darwin-Jahr 2009.
Dem jüngsten Bericht des „World Wide Fund for Nature“ entnimmt man, dass viele Arten der Fauna und Flora die großen Verlierer während der letzen Dekade waren, auch wenn sich für einzelne Arten eine Verbesserung abzeichnet. Die Ursachen sind vielfältiger Natur u.a. die Zerstörung der großflächigen Lebensräume, die zunehmende Wüstenbildung infolge des Ausbleibens von Niederschlägen, die Wilderei sowie die Übernutzung.
Den größten Frevel erlaubt sich die Menschheit derzeit durch das Abholzen und Abbrennen des Regenwaldes in einem erschreckenden Maß. Während Brasilien jährlich etwa 2,8 Millionen ha verliert, verbrennen 1,9 Million ha in Indonesien. Durch die weltweit steigende Nachfrage nach Palmöl werden immer mehr Flächen für den Anbau von Ölpalmen bereitgestellt. Neben der Nutzung des Palmöls in den Schokoriegeln, der Kosmetika, als Zusatz in Waschmitteln, wird zusehends das Palmöl in der Beritstellung von Wärme und Elektrizität eingesetzt. Die Absicht der Europäischen Union, den Anteil von Agrokraftstoffen am Gesamtenergieverbrauch auf mindestens 10 Prozent bis 2020 zu erhöhen, hat den Run auf die Regenwälder fernab Europa erst bedingt und beschleunigt ihn nunmehr. Wenn aber im Regenwald die Torfmoore abgebrannt werden, um dort Ölpalmen anzupflanzen, wird das Mehrfache an CO2 emittiert als üblicherweise über den Weg der Nutzung von Dieselkraftstoff.
Gemäß der rezenten Studie des Umweltprogramms UNEP muss damit gerechnet werden, dass bis 2020 der gesamte Regenwald Indonesiens zerstört sein wird. Es sei darau hingewiesen, dass Indonesien die Heimat für etwa sechs Prozent aller Tierarten auf der Erde darstellt. Auch unterstreicht die Studie, dass die in freier Wildbahn lebenden Menschenaffen, die Orang-Utan, bis 2030 praktisch ausgerottet sein werden. Als Lichtblick möge jedoch die Absicht der brasilianischen Regierung dienen, welche die Abholzung des Regenwaldes im Amazonasbecken um 80 Prozent bis 2020 verringern möchte.
"Wir sind verantwortlich für das sechste große Artensterben der Erdgeschichte", heißt es in einer rezenten Studie, die anlässlich der 8. UN-Konferenz über Biologische Vielfalt im brasilianischen Curitiba vorgestellt wurde. Das derzeit stattfindende Artensterben sei das größte seit dem Verschwinden der Saurier vor 65 Millionen Jahren.
Nur wenn die Menschheit einsieht, dass es nun angebracht ist, das ethische Fundament zwischen den drei Partnern der UN-Konferenz in Rio de Janeiro aus dem Jahr 1992, der Wirtschaft, der Umwelt und der Gesellschaft zu schweißen, dann erwacht die globale Chance für die gewünschte nachhaltige Entwicklung des Planeten, auf welchem auch die Biodiversität die notwendige Achtung findet. Hier müssen sowohl die Industrieländer, als auch die Schwellen- und die Entwicklungsländer zu einer Solidargemeinschaft finden. Die Politik ist gefordert, die nachhaltige Entwicklung einzuklagen resp. zu fördern, damit die Gesellschaft sich dieser Aufgabe bewusst wird. Als die wichtigste und kosteneffizienteste Art der Vorbeugung gegen die angeführten Probleme sind wir genötigt, die uns umgebenden Ökosysteme intakt zu erhalten. Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Bürger und insbesondere die Jugendlichen, für diese Aufgabe gewonnen werden.
Auch Luxemburg wird sich in diesen lebenswichtigen Prozess einbringen. Die fast 500.000 Menschen, die hier leben, dürften aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Fläche von 258.600 ha nur einen ökologischen Fußabdruck von 0,5 ha aufweisen, jedoch liegt dieser derzeit bei etwa 6 ha pro Person, also dem Zwölffachen, eine Aussage, die zum Nachdenken anregen soll. Wenn wir so weitermachen, werden die reichen Länder der Erde für sich im Jahr 2050 zwei Planeten zum Überleben benötigen.
Wir beherbergen, bedingt durch die geologische und mikroklimatische Beschaffenheit, eine erstaunlich große Artenvielfalt. Über 1300 höhere Pflanzenarten wurden bisher hierzulande festgestellt. Zudem sind einige für die Großregion oder Westeuropa bemerkenswerte Arten wie u.a der Schwarzstorch anzutreffen. Der Lebensraum der natürlichen Tier- und Pflanzenwelt reduziert sich jedoch durch die Ausdehnung der Wohngebiete, die Entwicklung des Straßennetzes, die Flächenzusammenlegungen und die Landwirtschaft. Man schätzt, dass zwischen 1962 und 1999 etwa 80 Prozent der Feuchtgebiete, 34,9 Prozent der Trockenrasen und 58,8 Prozent der Obstgärten verschwunden sind. Man geht des Weiteren davon aus, dass heute über 34 Prozent der 1323 einheimischen Blütenpflanzen, rund 54 Prozent der Säugetiere sowie 24 Prozent der Brutvögel gefährdet sind.
Damit diese Tendenz gestoppt werden kann, wird der nationale Naturschutzplan unter der Leitung des Umweltministerium und der Forstverwaltung, dies in Zusammenarbeit mit den Gemeindesyndikaten, den Naturparks und den Naturschutzorganisationen seit Mai 2007 konsequent mittels dem Nationalen Plan für Naturschutz (PNPN), welcher bis 2012 einer Reform unterzogen wird, umgesetzt. Über 35 km2 sind bisher als nationale Naturschutzgebiete ausgewiesen worden und 452 km2 gehören dem europäischen NATURA 2000 Netzwerk an.
Wenn demzufolge das von den Vereinten Nationen ausgerufene Internationale Jahr 2010 der Biodiversität die gewünschten Resultate vorzeigen soll, dann werden wir umgehend die nötigen Schritte einleiten müssen; dieser Aufgabe kann sich niemand entziehen.
Dr.-Ing. Marcel Oberweis, 11. Januar 2010