Eine leise Modernisierung

Eine moderne, effiziente und zugängliche Justiz wünscht sich die neue Regierung. Die Verfahren sollen beschleunigt und günstiger werden. Im Familienrecht wollen CSV und LSAP ihre Reformfähigkeit unter Beweis stellen. Das Ressort wurde François Biltgen anvertraut. (Luxemburger Wort, 4. Juni 2009)

Elf Jahre stand Luc Frieden an der Spitze des Justizministeriums. Dieses Ressort gab er nur ungerne auf. Auf den früheren Wirtschaftsanwalt folgt François Biltgen, der vor seinem Ministerdasein eine Kanzlei in Esch führte und regelmäßig im „Luxemburger Wort“ in der Rubrik „Recht hunn, Recht kréien“ die Entwicklung der Rechtssprechung begleitete. Nun soll Biltgen die Modernisierung der Justiz weiter vorantreiben. In die Amtszeit seines Vorgängers fielen u. a. die Schaffung der Verwaltungsgerichte, des Verfassungsgerichts, die Aufstockung der Magistratur und der Bau des neuen Justizpalasts auf dem Heilig-Geist-Plateau.

Eine weitreichende Reform kündigt die CSV/LSAP-Koalition nun im Familienrecht an. Am Scheidungsrecht wird bereits seit zwei Legislaturperioden gefeilt. Die von der letzten Abgeordnetenkammer abgeänderte Fassung soll als Grundlage dienen, um die Reform unter Dach und Fach zu bringen. Das fehlerhafte Verhalten eines Ehepartners soll nicht länger als Scheidungsgrund dienen dürfen, auf diese Weise gedenkt die Koalition den Ablauf eines Scheidungsverfahrens befrieden zu können.

Die Ehe wird für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Im Code civil soll festgehalten werden: „Deux personnes de sexe différent ou de même sexe peuvent contracter mariage.“

Die Politik muss mit der Gesellschaft harmonieren, sie kann der Gesellschaft nicht immer nur hinterherlaufen“, begründete Premier Jean-Claude Juncker die gesellschaftspolitischen Reformen.

Auf der Tagesordnung der Koalition in den nächsten Jahren stehen auch Anpassungen am Adoptionsrecht. Hierbei soll das Interesse des Kindes Vorrang haben vor dem Recht der Erwachsenen, ein Kind zu adoptieren, haben CSV und LSAP in ihrem Abkommen festgelegt. „Wir wollen gleichgeschlechtlichen Partnern das Recht zuerkennen, Kinder ihres Partners zu adoptieren“, so Juncker in seiner Regierungserklärung. Allerdings will die Regierung darüber hinaus keinen Forderungen in Bezug auf das Adoptionsrecht stattgeben. Bei dieser Reform soll den Empfehlungen des Ombudskomitees für die Rechte der Kinder Rechnung getragen und ein Gutachten der Ethikkommission eingeholt werden.

Für Schlagzeilen sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder die Strafvollzugsanstalt in Schrassig. Die altneue Koalition hält an den Plänen fest, ein neues Gefängnis in der Gemeinde Sanem zu errichten. Die Bemühungen, den Strafvollzug menschenwürdig zu gestalten und eine Wiedereingliederung von früheren Insassen in die Gesellschaft zu ermöglichen, sollen fortgesetzt werden. Alternativen zur Inhaftierung sollen verstärkt in Betracht gezogen werden.

Als eines der Hauptanliegen bezeichnet die Koalition die Schaffung eines spezialisierten Zentrums zur Unterbringung von straffälligen Minderjährigen. Deren bisherige Unterbringung in Schrassig wird seit langem scharf kritisiert.

Die internen Regeln der Strafvollzugsanstalten sollen „modernisiert“ und in einem Code pénitentiaire festgeschrieben werden. Die Häftlinge sollen sozialversichert werden. Die Empfehlungen des Ombudsman Marc Fischbach bezüglich des Strafvollzugs will die Regierung „im Detail“ prüfen.

Im vergangenen Mai hatte die Abgeordnetenkammer nach langen Diskussionen ein Gesetz über den Opferschutz verabschiedet. Im Koalitionsabkommen heißt es nun, die Rechte der Opfer sollen bis zum Ende des Jahres verstärkt werden. Die Entschädigung von Straftat-Opfern soll angepasst werden. Die Regierung hat sich des Weiteren erneut vorgenommen, Maßnahmen zum Schutz von Zeugen auszuarbeiten. Nebenkläger in Strafprozessen sollen von Anfang an Einblick in die Akten erhalten.

Allgemein wollen Christlich-Soziale und Sozialisten die Gerichtsverfahren „vereinfachen und beschleunigen“, ohne aber genaue Wege und Mittel zu beschreiben, wie dieses Ziel erreicht werden kann.

Vereinfachungen stellt die Regierung bei den gesetzlichen Bestimmungen über die Vereinigungen ohne Gewinnzweck (Asbl) in Aussicht. Einen entsprechenden Entwurf hatte der geschäftsführende Justizminister Luc Frieden drei Tage nach den Landeswahlen auf Krautmarkt eingereicht.

Die Modernisierung des Gesellschaftsrechts will die CSV/LSAPKoalition ebenfalls auf Basis eines vorliegenden Gesetzentwurfs zu Ende führen.
Die Bedingungen des staatlichen Rechtsbeistands sollen überarbeitet, die Gerichtskosten gesenkt werden. Die bisherige tarifmäßige Vergütung der Rechtsanwälte soll abgeschafft werden.

Um die Öffentlichkeit besser über die Justiz ins Bild zu setzen, wird eine Pressedienststelle ins Leben gerufen, und die Gerichte sollen die modernen Kommunikationsmittel verstärkt nutzen.

Zur Rentrée judiciaire 2008 hatte Luc Frieden die Schaffung eines Conseil de la magistrature angeregt. Frieden wollte diesem neuen Organ u.a. die Auswahl, Ernennung und Beförderung der Richter anvertrauen, um so die Unabhängigkeit der Magistratur zu festigen. Auch eine Qualitätskontrolle der Rechtssprechung sollte in dessen Zuständigkeitsbereich liegen. Die bisherigen Vorschläge wurden in Justizkreisen allerdings eher mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die Idee eines Conseil de la magistrature wurde ins Koalitionsabkommen aufgenommen. Das Organ soll sich mehrheitlich aus Richtern zusammensetzen, wird präzisiert. Die Weiterbildungsmöglichkeiten für Richter sollen ausgebaut werden, und die Regierung will Maßnahmen vorschlagen, um Richter für heikle Fragen wie sexuellen Missbrauch oder den Menschenhandel zu sensibilisieren. 

Quelle: Luxemburger Wort, 4. September 2009, Laurent Zeimet