Regulierung der Finanzmärkte, der Präsident der Eurogruppe Juncker im Gespräch, Deutschlandradio Kultur, 4. September 2009
Jean-Claude Juncker: Guten Morgen.
Marcus Pindur: Was sind denn aus Ihrer Sicht die Essentials auf die sich die G20 einigen müssen mit Blick auf die stärkere Regulierung der Finanzmärkte?
Jean-Claude Juncker: Es geht darum, dass man konkret umsetzt was beim letzten G20-Gipfel beschlossen wurde. Im Grundsatz geht es darum, dass alle Finanzprodukte, egal wo sie gehandelt werden und egal von wem sie gehandelt werden, alle Finanzakteure und alle Finanzplätze unter Kontrolle und Aufsicht gestellt werden, damit es keine schwarzen Deregulierungslöcher in der Welt gibt.
Marcus Pindur: Was halten Sie denn von dem französisch-deutschen Vorstoß zur Begrenzung der Bonuszahlungen?
Jean-Claude Juncker: Davon halten wir relativ viel, und ich bin sehr einverstanden mit den Vorschlägen die aus Paris kommen und die von Berlin übernommen wurden.
Ich denke mir, wie viele Andere auch, dass wir es hier mit einer regelrechten Gerechtigkeitslücke zu tun haben, in der Gestalt, dass Staaten, Regierungen und damit direkt und indirekt Steuerzahler in die Bresche haben springen müssen um die Finanzwirtschaft und die Realwirtschaft wieder auf Trab zu bringen. Dann kann es nicht sein, dass man auf Managerebene in den gehobenen Etagen der internationalen Bankhäuser so tut, als ob die Allgemeinheit nicht da gewesen wäre, als man sie brauchte. Und dann kann man sich nicht, während andere in die Tasche greifen müssen, die Taschen füllen. Das geht nicht, das ist eine Gerechtigkeitslücke, die Menschen akzeptieren dies nicht, werden sich auch dagegen wehren. Und klug beraten ist nur der, der sich dieser Sachlage ernsthaft annimmt. Das tun wir als europäische Finanzminister intensivst.
Marcus Pindur: Das ist auch eine ordnungspolitische Frage, denn diese Boni bieten ein falsches Anreizsystem für die Banker. Aber es ist die Frage, welche Aussichten auf Erfolg haben die Europäer, wenn sie sich noch nicht einmal selber konkret einigen können? Denn die britische Regierung hat ja gegen bestimmte Schritte auch schon Einspruch erhoben.
Jean-Claude Juncker: Wir haben uns auf Ebene der 16 Mitgliedsstaaten der Eurogruppe verständigt [wird unterbrochen]
Marcus Pindur: Da sind die Briten nicht dabei, Herr Juncker.
Jean-Claude Juncker: Da sind die Briten nicht dabei. Und wenn Briten und Amerikaner nicht mitmachen, dann bin ich sehr nachdrücklich der Auffassung, dass wir dies dann auf Ebene der Eurozone und auf Ebene aller EU-Staaten machen, so wie die es dann wollen. Der Hinweis darauf, dass man dies nur tun kann, diese Bonibegrenzungen, wenn alle das tun, ist wohl richtig, aber das ist zu einfach. Der Hinweis auf amerikanische oder britische Umsetzungsdefizite hat nichts zu tun. Die Menschen akzeptieren dieses Wirtschaftssystem nur so lange es gerecht ist, und es ist diesbezüglich, auf dem präzisen Punkt, nicht gerecht.
Marcus Pindur: Sollten die Europäer sich, um grösseres Gewicht zu haben, nicht vor dem G20-Gipfel noch einmal zu einem ausserordentlichen EU-Gipfel treffen und sich dann wirklich zusammenraufen?
Jean-Claude Juncker: Die schwedische Ratspräsidentschaft hat für den 17. September einen EU-Gipfel einberufen. Dort wird es darum gehen, dass wir uns auf Ebene der 27 auf ein einvernehmliches Vorgehen einigen. Ich werde alles tun, gemeinsam mit Angela Merkel und anderen, um Briten und andere etwas leiser Tretende in Schwung zu bringen.
Marcus Pindur: Wie sehen Sie die Chancen für Reformen auf diesem Markt? Lässt da etwas der Leidensdruck nach? Die Konjunkturkrise scheint durchschritten zu sein, die Banken scheinen sich wieder stabilisiert zu haben. Meinen Sie, eine Regulierung von Finanzprodukten ist besonders mit den USA und Grossbritannien durchzusetzen?
Jean-Claude Juncker: Wir sind ja nicht am Ende der Krise angekommen. Wohl ist wahr, dass es erste Anzeichen gibt, die in Richtung Erholung zeigen, aber man muss immerhin wissen, in der Eurozone beispielsweise, dass wir im zweiten Quartal 2009 wirtschaftspolitisch betrachtet 4,7% schwächer, ärmer also waren, als im zweiten Quartal 2008. Die Talsohle ist erreicht, aber das Treppensteigen um wieder aus dieser Talsohle heraus zu kommen wird aussergewöhnlich schwierig sein.
Ich stelle trotzdem mit einiger Besorgnis fest, dass auf Ebene der Finanzmarktakteure jetzt schon fast wieder so getan wird, als wäre nichts passiert; business as usual scheint wieder angesagt, der Mehltau legt sich auf die Ruinen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Man wird diesen Staub wieder aufwirbeln müssen, damit man genau sieht welche Reformen unternommen werden müssen, damit sich dies nicht wiederholt, was uns im Laufe des letzten Jahres auf den Buckel gefallen ist.
Und deshalb ist es absolut notwendig, dass, von der politischen Seite her, Reformanstrengungen nicht nachlassen. Man darf die Banker, die Manager und andere sich nicht selbst überlassen.
Marcus Pindur: Herr Juncker, kommen wir zu einer weiteren Massnahme die Bundeskanzlerin Merkel ins Spiel gebracht hat. Sie hat für eine Beschränkung der Grösse von Banken plädiert, damit die nämlich im Fall einer Pleite die Regierungen nicht erpressen können, weil sie eben sagen, wir sind zu gross um pleite zu gehen. Ist das aber überhaupt machbar, die Banken in der Grösse einzuschränken?
Jean-Claude Juncker: Dies ist ohne jeden Zweifel wünschenswert, weil zu grosse Akteure über ein erhebliches, objektives Erpressungspotenzial Regierungen gegenüber verfügen. Wie dies allerdings im Konkreten gemacht werden kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich sehe noch nicht ganz klar wie man derartiges erreichen könnte, aber wünschenswert wäre es ohne jeden Zweifel.
Marcus Pindur: Wie sehen Sie die Chancen für den G20-Gipfel Ende September? Meinen Sie, da kommt es zu nennenswerten und richtigen Schritten?
Jean-Claude Juncker: Ich denke schon, dass die dort vertretenen Regierungen, und auch die Regierungen die dort von den dort Vertretenen mitvertreten werden, grossen Wert darauf legen, dass es zu konkreten Vereinbarungen kommt. Die G20-Staaten können sich auch den Luxus nicht leisten dicke Backen gemacht zu haben und nicht gepfiffen zu haben. Das wird nicht gehen.
Marcus Pindur: Jean-Claude Juncker, luxemburgischer Premier und Präsident der Eurogruppe. Herr Juncker, vielen Dank für das Gespräch.
Jean-Claude Juncker: Bitte.
Quelle: Deutschlandradio Kultur, 4. September 2009