Seit 1999 ist Viviane Reding Luxemburgs EU-Kommissarin in Brüssel. In den vergangenen fünf Jahren bekleidete die 57-Jährige das Amt der Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien. Bei den Wahlen zum Europaparlament am 7. Juni führt Viviane Reding als Spitzenkandidatin die CSV-Europaliste an.
Interview: Jakub Adamowicz
Wort: Wie war die europapolitische Großwetterlage, als die Kommission unter Barroso ihre Arbeit aufnahm?
Viviane Reding: Nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Volksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich bestand die Gefahr, dass der europäische Einigungsprozess beträchtlichen Schaden nehmen könnte.
Wort: Welche Konsequenz zogen Sie daraus?
Viviane Reding: Die EU-Kommission musste Handlungsfähigkeit und Bürgernähe beweisen. Und wir mussten schnell handeln. Wir hatten keine Zeit, mehrere Jahre auf die Umsetzung komplizierter Vorschriften zu warten.
Wort: Die Roaming-Verordnung war der richtige Befreiungsschlag?
Viviane Reding:Die EU-Kommission wollte als Reaktion auf diese Situation den Verbraucherschutz insgesamt stärken. Präsident Barroso unterstützte mich bei der Idee, die Roaming-Preise nach oben hin festzuschreiben.
Wort: Wie haben Sie Skeptiker der Roaming-Verordnung überzeugt?
Viviane Reding: Zu Beginn hatte ich alle Regierungen der Mitgliedsstaaten gegen mich. Innerhalb der Kommission waren mit Peter Mandelson und Günter Verheugen zwei sozialdemokratische Kommissare prinzipiell gegen die Festsetzung der Roaming-Preise. Schlussendlich haben sich aber die Substanz der Verordnung und der ge-sunde Menschenverstand durchgesetzt.
Wort: Die Roaming-Verordnung ist ein Teil der EU-Telekom-Politik. Welche Bedeutung kommt dieser in Krisenzeiten zu?
Viviane Reding: Die Telekom-Politik hilft der EU, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Kommunikationstechnologien sind ein Instrument, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Seit ich EU-Kommissarin bin, sind die Preise für Telekommunikation in den EU-Staaten um 34,5 Prozent gefallen. Roaming ist 60 Prozent billiger geworden. Gleichzeitig haben die Telekom-Betreiber Arbeitsplätze geschaffen.
Wort: Was folgern Sie daraus?
Viviane Reding: Intelligenter Wettbewerb schafft Innovation, fördert Investitionen, schafft Arbeitsplätze und sorgt für niedrigere Verbraucherpreise. Dieses Rezept müssen wir bei Investitionen im Telekom-Sektor auch in Luxemburg anwenden.
Wort: Die Dienstleistungsrichtlinie ist gut für Luxemburg?
Viviane Reding: Die Investitionen der Regierung etwa in Glasfaser macht im Rahmen der EU-Telekom-Politik Sinn. Ich verstehe nicht, wie sich manche Politiker im Wahlkampf gegen die Dienstleistungsrichtlinie aussprechen können. Sie ist die Rettung für Luxemburg.
Wort: Wie meinen Sie das?
Viviane Reding: Luxemburg ist darauf angewiesen, seine Dienstleistungen außerhalb seiner Grenzen anbieten zu können. In Luxemburg ansässige Unternehmen brauchen den Binnenmarkt, weil der nationale Markt schlichtweg zu klein ist. Es ist im Interesse Luxemburgs, klare Regeln für die Nutzung des gemeinsamen Binnenmarkts zu haben.
Wort: Die Dienstleistungsrichtlinie wurde vom Europaparlament grundlegend überarbeitet. Wo war Ihr Beitrag als Kommissarin?
Viviane Reding: Ich habe veranlasst, dass die Medien aus dem Geltungsbereich des Richtlinienentwurfs ausgenommen wurden. Damit sicherte ich das Ursprungslandprinzip für die Medien ab. Auch nachdem das Parlament den Entwurf grundliegend überarbeitete. So bliebt der Standort Luxemburg für SES Astra und RTL Group langfristig attraktiv.
Wort: Ist die Europäische Union im weltweiten IKT-Wettbewerb gut aufgestellt?
Viviane Reding: Bei der Anzahl an Breitband-Internetanschlüssen sind mehrere EU-Länder weltweit führend. Bei erfolgreichen Projekten wie der digitalen Bibliothek Europeana oder der Internet-Domäne „.eu“ nutzen wir die neuen Technologien konsequent, um unsere Spitzenposition zu behaupten.
Wort: LSAP-Europa-Spitzenkandidat Robert Goebbels wirft Ihnen Etikettenschwindel vor, weil Sie weiter EU-Kommissarin bleiben wollen. Ein gerechtfertigter Vorwurf?
Viviane Reding: Nein. Wer für einen Sitz in der Abgeordnetenkammer kandidiert, nach den Wahlen aber ein Regierungsamt übernimmt, verhält sich genauso. EU-Kommissare sind keine hohen Beamten, sondern Politiker. Politiker haben sich in Wahlen den Bürgern zu stellen. In einigen Jahren werden sich alle EU-Kommissare in Wahlen zu behaupten haben. Diesen Montag sind die luxemburgischen Sozialisten übrigens eines Besseren belehrt worden: Der Europa-Spitzenkandidat der deutschen Sozialisten hat erklärt, er wolle Kommissar werden.
Wort: Das politische Klima innerhalb der EU ist in den letzen Monaten rauer geworden. Wie wichtig ist in solchen Zeiten Kontinuität auf Spitzenposten?
Viviane Reding: Das Amt des EU-Kommissars ist ein sehr kompliziertes. Man muss mit 27 Regierungen und mit über 700 EU-Parlamentariern zusammenarbeiten. Die Einarbeitungszeit ist dementsprechend lang. Eine Neubesetzung braucht Jahre, bis sie sich einen Ruf erarbeitet hat und Akzente setzen kann.
Quelle: Luxemburger Wort, 29. Mai 2009