Minister Luc Frieden im Gespräch mit der Welt am Sonntag
Quelle: Welt am Sonntag, 24 Mai 2009
Welt am Sonntag: Herr Minister Frieden, Sie verhandeln gerade in Rekordtempo mit verschiedenen Staaten innerhalb und außerhalb der EU neue Doppelbesteuerungsabkommen. Worauf müssen sich deutsche Anleger einstellen?
Luc Frieden: Luxemburg ist kein Ort, der Interesse daran hat, als erste Adresse für Steuerbetrüger und Steuerhinterzieher zu gelten. Im Gegenteil: Wir möchten, dass die Menschen Steuern zahlen. Deshalb haben wir schon vor Jahren einer europäischen Quellensteuer zugestimmt. Deshalb haben wir vor Jahren schon einer verstärkten Zusammenarbeit der Justizbehörden zugestimmt. Und nun sind die neuen Doppelbesteuerungsabkommen – die in Zukunft konform zu allen Bestimmungen des OECD-Musterabkommens sein sollen – eigentlich nur ein zusätzlicher Schritt in diese Richtung. In konkreten Fällen sollen künftig die ausländischen Steuerbehörden mit unseren Steuerbehörden zusammenarbeiten können. Wichtig dabei ist uns, dass es einen konkreten Verdacht auf Steuerhinterziehung und Steuerbetrug gibt und dass ein klarer Hinweis auf Luxemburg vorliegt.
Welt am Sonntag: Sie haben in dieser Woche gemeinsam mit den USA ein neues Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnet. Wie weit sind Ihre Verhandlungen mit Deutschland gediehen?
Luc Frieden: Mit Deutschland sind die Verhandlungen etwas langsamer …
Welt am Sonntag: Liegt das daran, dass der Kontakt zur deutschen Regierung, insbesondere zu Finanzminister Peer Steinbrück, etwas gestört ist?
Luc Frieden: Die kürzlich aufgetretenen Zwischenfälle haben die Verhandlungen nicht vereinfacht. Die Gespräche mit Amerika verliefen sehr schnell und konstruktiv. Beide Seiten sind einander entgegengekommen in den wichtigsten Punkten.
Welt am Sonntag: Wann haben Sie Herrn Steinbrück denn zuletzt gesehen?
Luc Frieden: Wir haben uns zuletzt am 6. Mai beim Ecofin-Rat der europäischen Finanzminister in Brüssel getroffen und darüber geredet.
Welt am Sonntag: Über seinen Vergleich kleiner europäischer Staaten mit Burkina Faso?
Luc Frieden: Viele Luxemburger haben die Äußerungen der letzten Wochen als sehr verletzend empfunden. Wir möchten, dass die guten Beziehungen, die unsere Länder seit dem Krieg pflegen, auch in Zukunft fortgesetzt werden. Und deshalb denke ich, dass wir die bedauerlichen Ereignisse so schnell wie möglich vergessen sollten. Wir müssen die Sache abschließen. Punkt. Schließlich sind wir Europa beigetreten, um ein großes politisches Projekt – Freundschaft unter den Nachbarn – und den Binnenmarkt zu schaffen.
Welt am Sonntag: Dazu gehören auch Doppelbesteuerungsabkommen. Wie genau werden die denn aussehen?
Luc Frieden: Für uns ist in all diesen Verhandlungen klar, dass wir keinen automatischen Informationsaustausch, keine Fishing-Expedition wie man sagt, also keine generellen Anfragen wollen und auch keine Bestimmungen festlegen, die rückwirkend gelten. Das hat Amerika akzeptiert. Wir möchten, dass auch Deutschland und andere Staaten dem zustimmen. Und darüber verhandeln wir jetzt.
Welt am Sonntag: Können Sie als Budgetminister Steinbrücks Attacken gegen Steuerparadiese verstehen? Schließlich ist er ja Kassenwart, kein Diplomat. Er muss sich darum kümmern, dass die Steuereinnahmen fließen.
Luc Frieden: Nein, das kann ich auch inhaltlich nicht nachvollziehen. Natürlich verstehe ich, dass man als Finanzminister gegen Steuerbetrug vorgehen muss. Aber Luxemburg ist kein Steuerparadies, auch nicht nach den Kriterien der OECD. Wir sind kein Offshorefinanzplatz, an dem es keine Regel, keine Bankenaufsicht und keine Steuern gibt. Schon seit 2005 erheben wir auf Zinserträge eine Quellensteuer von 20 Prozent und leiten von den eingenommenen Beträgen 75 Prozent an Deutschland weiter. Allerdings anonym und zusammengefasst in einer Summe. Vielleicht ließe sich ein breiterer Anwendungsbereich diskutieren. Auf einen automatischen Informationsaustausch werden wir uns aber nicht einlassen.
Welt am Sonntag: Mit Blick auf eine breitere Anwendungsbasis für die Quellensteuer – was genau ist da im Gespräch?
Luc Frieden: Nun ja, man könnte die Quellensteuer auf andere Einkunftsarten über die Zinserträge hinaus ausweiten. Zum Beispiel auf Dividenden oder Versicherungen.
Welt am Sonntag: Auch auf Veräußerungsgewinne bei Aktien- oder Fondsverkäufen? In Deutschland gilt ja für diese Kapitalerträge seit 1. Januar die Abgeltungsteuer. Damit böte Luxemburg aktuell ein potenzielles Schlupfloch.
Luc Frieden: Das kann ich im Augenblick nicht sagen.
Welt am Sonntag: Ein gemeinsamer Binnenmarkt, eine gemeinsame Währung. Muss es jetzt nicht endlich als nächste Konsequenz ein einheitliches Steuersystem geben? Wie könnte das aussehen?
Luc Frieden: Nein, das muss es nicht. Zunächst einmal bin ich sehr für den europäischen Binnenmarkt und die Freizügigkeit, für die wir alle sehr viel getan haben. Und ich bin dafür, dass es gemeinsame Regeln gibt für diesen Markt. Eine gemeinsame Steuerpolitik befürworte ich hingegen nicht. Ich bin für Steuerwettbewerb in der EU und dafür, dass jedes Mitgliedsland selbst entscheidet, wie es seine Haushaltskasse füllt. Wir sind also für europäische Regeln und für einen fairen Steuerwettbewerb. Ich bin überzeugt, dieser Wettbewerb ist im Interesse der Unternehmen. Er sorgt dafür, dass wir konkurrenzfähig in der Welt bleiben.
Welt am Sonntag: Kritiker werden darin die Worte des Finanzministers einer Steueroase hören und nicht den Fürsprecher für Wettbewerb im Binnenmarkt.
Luc Frieden: Der Staat muss seinen Bürgern schon ein bisschen vertrauen. Ein freier Binnenmarkt bedeutet auch, dass man als Europäer überall ein Konto eröffnen kann. Das ist nicht gleichbedeutend damit, Steuern zu hinterziehen. Ich glaube, dass der Schutz der Privatsphäre in der EU wichtig ist. Das gilt auch für den Schutz der Privatsphäre bei Geld.
Welt am Sonntag: Aus Sicht der Finanzbehörden wird damit natürlich die Anforderung von Luxemburg, nur bei sehr konkreten Verdachtsfällen Auskunft über Gelder deutscher Steuerzahler zu geben, zur Farce.
Luc Frieden: Das finde ich nicht. Keineswegs. Noch mal: Ich glaube, dass eine Kombination aus Quellensteuer und Informationsaustausch bei konkreten Verdachtsfällen der Steuerhinterziehung der einzig richtige Weg ist.
Welt am Sonntag: Deutsche, die aus Luxemburg einreisen, werden trotz aller Freizügigkeit des Schengener Abkommens gelegentlich von deutschen Zollfahndern kontrolliert, selbst an deutschen Flughäfen. Fühlt sich Luxemburg dadurch bedrängt und gegängelt?
Luc Frieden: Nein, das stört uns nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Zollkontrollen in so großem Maße durchgeführt werden, wie Sie anklingen lassen. Es wird allerdings punktuell kontrolliert.
Welt am Sonntag: Würden Sie als Anleger Ihr Geld noch nach Luxemburg bringen?
Luc Frieden: Selbstverständlich. Und selbstverständlich gehe ich davon aus, dass sich deutsche Anleger gut informieren, Produkte aus verschiedenen Ländern und von unterschiedlichen Emittenten vergleichen und sich dann entscheiden.
Quelle: Welt am Sonntag, 24. Mai 2009